| # taz.de -- Kinder gegen Corona: „Bitte keine Patys mehr Machen!“ | |
| > Die Kinder haben die Propaganda gegen die Partybösewichte schon | |
| > verinnerlicht. Sie wollen in Urlaub fahren, dürfen aber nicht. | |
| Bild: Werden wir auch im Januar noch draußen sitzen? Kreuzberg im März, zu Be… | |
| Seit mehreren Wochen haben die Kinder das schon: Immer wieder müssen sie | |
| auf dem iPad geradezu zwanghaft die Website des Erlebnisparks Tripsdrill | |
| besuchen. Sie betrachten dann versonnen die „über 100 originellen | |
| Attraktionen“, die „Spaß und Spannung für die ganze Familie“ verspreche… | |
| das Rafting im Waschzuber, die Achterbahn „G’sengte Sau“, die Weinkübel, | |
| Kaffeetassen, Suppenschüsseln und Guglhupf-Formen, in denen man sich da | |
| unten im lustigen Schwabenland herumfahren und -wirbeln lassen kann. | |
| Sie stellen sich vor, wie wir in den Herbstferien für zwei Nächte einen | |
| Schäferwagen beziehen werden, nachts die Wölfe heulen hören und tagsüber | |
| Gaudi samt Pommes mit Ketchup haben. | |
| Jetzt aber: Wir im Hotspot, Tripsdrill in Baden-Württemberg. Stichwort | |
| Beherbergungsverbot. Die Kinder weinen und schreien. Sie hören: Die Leute | |
| da draußen feiern zu viel. Sofort stürzen zu ihrem Maltisch. Wir verstehen | |
| nur: „Paklate! Paklate!“ Dann ist es für zehn Minuten ruhig. Schließlich | |
| hören wir den Drucker rödeln. Er spuckt Dutzende Kopien aus. Darauf steht | |
| in Kreuzberger Rechtschreibung-nicht-so-wichtig-Kinderschrift: „Bitte keine | |
| Patys mehr Machen! Wir wollen in den Urlaub Fahren!“ Die Zettel sollen | |
| jetzt im Görlitzer Park und an jeder Haustür im Block aufgehängt werden. | |
| Dann, so sind die Kinder sicher, sinken die Zahlen schnell und wir können | |
| los. | |
| Wir glauben das nicht und hoffen auf die Kulanz von Brandenburg. Da aber | |
| auch die nicht gesichert ist, fahren wir lieber am Wochenende [1][noch mal | |
| raus zum Bungalow]. Es ist kalt, das Elektroöfchen muss angeworfen werden. | |
| Wir gehen Pilze suchen. Der Wald, den wir durchstreifen, hat zwar | |
| massenhaft Waldameisenhaufen, aber nur zwei Gemeine Riesenschirmlinge zu | |
| bieten. | |
| Wir ergänzen das karge Mahl mit unserer Ernte aus dem Gärtchen: mit | |
| zweieinhalb winzigen Zucchini, einer Tomate und einem Kürbis, der von einer | |
| Hand umschlossen werden kann. Dafür haben wir während des Lockdowns 30 | |
| Pflanzen auf Fensterbänken vorgezogen, gepflegt und gewässert, für viel | |
| Geld Töpfe und Erden gekauft, gewerkt, geharkt, gemacht, getan? Ein | |
| niederschmetterndes Ergebnis. | |
| Ich überlege ernsthaft, an der Hochschule in Eberswalde Ökologischen | |
| Landbau zu studieren oder an der „Wildnisschule Wildniswissen“ in Buckow | |
| den „Ancient Bushcraft“-Lehrgang zu belegen, um mir mehr von dem für eine | |
| präsentable Ernte offenbar notwendigen arkanen Wissen der Landbevölkerung | |
| anzueignen. Und ich hatte mir eingebildet, von Schlesien vertriebene | |
| bäuerliche Großeltern reichen. | |
| Zurück in der Stadt müssen wir knurrende Mägen füllen. Wir sitzen bei Mama | |
| Shabz, dem pakistanischen Imbiss auf der Reichenberger Straße. Also | |
| natürlich nicht bei, sondern davor. Wir frösteln in unseren Jacken und | |
| freuen uns über die gut gewürzten Speisen, die den Körper natürliche Wärme | |
| produzieren lassen. Werden wir auch im Januar noch draußen essen? | |
| Vermutlich. Ich verspüre ein wenig Lust auf das wilde Wissen, wie es so | |
| sein wird, bei Minusgraden auf dem Klappstuhl, die Gabel ungelenk zwischen | |
| den steifen Fingern. | |
| In diesem Moment zieht ein junges Pärchen vorbei, in taillenhohen | |
| Karottenjeans und spitz zulaufenden Creepers, die Boombox auf dem | |
| Schulterpolster des Blousons. Laut singen beide mit. Es ist „Never Gonna | |
| Give You Up“ von Rick Astley. Gestern ist heute und heute ist morgen. | |
| Die Cantienica-Lehrerin schickt ein Rilke-Gedicht: „Man muss den Dingen die | |
| eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und | |
| durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.“ Ich werde sitzen und | |
| warten, den dampfenden Linsen-Daal vor mir in frostkalter Luft, die Kapuze | |
| tief in der Stirn, die Maske unterm Kinn, und mich erinnern, wie wir 1987 | |
| gegen Aludosen demonstriert haben. | |
| 21 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kirsten Riesselmann | |
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