| # taz.de -- Öffentliche Gelder in Corona-Pandemie: Das Geschäft mit dem Impfen | |
| > Die öffentliche Hand bezahlt Entwicklung und Herstellung von | |
| > Corona-Impfstoffen, übernimmt die Risiken – und hat keinerlei Einblick in | |
| > die Verträge. | |
| Bild: Ein Mitarbeiter des Pharmaunternehmens Curevac untersucht einen Corona-Im… | |
| Die Schweden sind bis heute traumatisiert, wenn jemand einen schnellen | |
| Impfstoff während einer Pandemie verspricht, so wie jetzt gegen das | |
| Coronavirus. Ein Drittel würde zögern, sich oder seine Kinder gegen | |
| Sars-Cov-2 impfen zu lassen, ergab eine Umfrage im Juli. | |
| Die Skepsis rührt von der vergangenen Pandemie im Jahr 2009, als das Virus | |
| H1N1, alias die Schweinegrippe, grassierte. Damals kam es nach Impfungen zu | |
| Narkolepsie-Erkrankungen, oft bei Kindern und Jugendlichen, mit | |
| lebenslangen Folgen. Bis heute sind in Schweden 421 Fälle bestätigt. | |
| Die jetzige Pandemie ist ungleich schwerer als die Schweinegrippe. Corona | |
| forderte bisher offiziell weltweit 1 Million Opfer, die Dunkelziffer liegt | |
| wahrscheinlich deutlich höher. Schwerer ist auch die Entwicklung eines | |
| Impfstoffes, die Pharmaindustrie startete praktisch bei null. Die Risiken | |
| sind höher, der Druck größer, immer wieder fällt deshalb warnend das | |
| Stichwort Pandemrix, wie vergangene Woche in einer Anhörung des | |
| EU-Parlaments. | |
| Pandemrix, so hieß der Impfstoff gegen H1N1A. Auf Basis eines älteren | |
| Impfstoffes entwickelte der britische Konzern GlaxoSmithKline damals das | |
| Präparat, über 30 Millionen Menschen in der EU ließen sich impfen. | |
| ## Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen | |
| Schweden entschädigte die Geschädigten später mit je 1 Million Euro – auch | |
| wenn bis heute nicht eindeutig geklärt ist, ob der Impfstoff oder das Virus | |
| die Narkolepsie ausgelöst hat. In Deutschland meldete das | |
| Paul-Ehrlich-Institut 86 Fälle. | |
| Wird es bei Corona genauso laufen? Unerwartete Nebenwirkungen bei einzelnen | |
| Menschen sind bei der gewaltigen Zahl an Impfungen praktisch nicht | |
| auszuschließen, sagen Experten. Mittlerweile sind elf Impfstoffe in der | |
| finalen, dritten Testphase vor einer Zulassung. Für jeden Wirkstoff | |
| erhalten mindestens 30.000 Proband*innen eine Probeimpfung. | |
| Die Entwicklungsorganisation Oxfam [1][hat kürzlich ausgerechnet], dass die | |
| EU, USA, Australien, Japan, die Schweiz, Großbritannien, Hongkong und | |
| Israel bereits über Vorverträge 2,7 Milliarden Impfdosen bei AstraZeneca, | |
| Gamaleya/Sputnik, Moderna, Pfizer und Sinovac bestellt haben. Die jährliche | |
| Kapazität allein dieser Unternehmen ist doppelt so hoch. | |
| Vergangene Woche löcherten sowohl der Industrie- als auch der | |
| Umweltausschuss des EU-Parlaments Vertreter der Pharmaindustrie und der | |
| EU-Kommission. Diese verhandelt gebündelt für die ganze Staatengemeinschaft | |
| die Vorabverträge mit den Konzernen. | |
| ## Konzerne sichern sich ab | |
| Bisher hat sie zwei abgeschlossen, aber was steht da eigentlich drin? Was | |
| muss die Öffentlichkeit noch für einen Impfstoff zahlen, der bereits fast | |
| komplett mit Steuermitteln finanziert wird? Welche Risiken übernimmt die | |
| Industrie, wenn es nicht nur zu unerwarteten, sondern angesichts der Zahl | |
| der zu Impfenden fast schon unvermeidbaren Nebenwirkungen kommt? | |
| Pascal Canfin, französischer Vorsitzender des Umweltausschusses, fasst die | |
| Lage im Gespräch mit der taz in einem Satz zusammen: „Bisher haben wir null | |
| Transparenz.“ Die immens große Mehrheit der Parlamentarier unterstütze zwar | |
| die Bemühungen der EU-Kommission. „Der Impfstoff wird dringend erwartet, | |
| schließlich stehen wir offenbar vor einer zweiten Coronawelle“, sagt | |
| Canfin. | |
| Das Parlament musste aber aus der Presse erfahren, dass es eine wie auch | |
| immer geartete Deckelung bei Haftungsfragen durch die EU-Kommission gibt, | |
| wenn bei Impfungen etwas schiefgeht. Politisch kann die EU-Kommission | |
| natürlich niemandem verbieten, einen Pharmakonzern zu verklagen, wenn man | |
| glaubt, durch eine Impfung geschädigt worden zu sein. Aber sie kann und | |
| wird laut Nachrichtenagentur Reuters die Haftung dafür übernehmen. | |
| Eine Vertreterin der Lobbyorganisation Vaccines Europe sagte den | |
| EU-Parlamentariern, es gehe um versteckte Dinge, die auftreten, wenn eine | |
| so große Bevölkerung geimpft würde. „Es gibt eine Regelung, wonach | |
| Kommission und Mitgliedstaaten Unternehmen schadlos halten gegen Klagen auf | |
| diesem Gebiet“, sagte sie. Offenbar wollen die Pharmakonzerne also eine | |
| zusätzliche Absicherung im Großexperiment Corona-Impfung. | |
| ## Transparenz gegen Verschwörungsmythen | |
| Die Europäische Arzneimittelagentur EMA ist in der EU für die Zulassung | |
| zuständig und versichert, man werde trotz des Zeitdrucks so prüfen wie | |
| immer. Keine Kompromisse bei der Sicherheit, die sei das „wichtigste | |
| Kriterium“, sagten auch Industrievertreter. | |
| Doch der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken, SPD, sieht bereits in den | |
| Haftungsklauseln einen schädlichen Kompromiss: „Das ist ein | |
| Sicherheitsrisiko. Wer weniger Risiken trägt, der gibt sich vielleicht auch | |
| weniger Mühe“, sagt er der taz. | |
| Und er sieht ein zweites Problem: „In Zeiten, in denen ständig | |
| Verschwörungstheorien über Impfstoffe verbreitet werden, müssen wir mit | |
| maximaler Transparenz antworten.“ Alles andere gefährde die Akzeptanz von | |
| freiwilligen Impfungen. Eine Pflicht lehnt Wölken ab, die ist in | |
| Deutschland ohnehin vom Tisch. | |
| Die Intransparenz geht so weit, dass weder Parlamentarier noch | |
| Öffentlichkeit wissen, wer für die EU überhaupt mit den Pharmakonzernen | |
| verhandelt. Das würde diese Verhandlungen gefährden, sagt ein Sprecher der | |
| Kommission der taz. „Wir sind uns voll bewusst, dass alles, was wir tun, | |
| später überprüft werden könnte“, sagt er. | |
| ## „Öffentliche Gelder, öffentliche Regeln“ | |
| Deutschland hat Vertreter in das Team entsandt. Es seien ausschließlich | |
| Mitarbeitende des Bundesgesundheitsministeriums, die eine Erklärung über | |
| das Nichtvorliegen jeglicher Interessenkonflikte abgegeben hätten, schreibt | |
| das Ministerium auf Anfrage. „Bei Informationen wie Preisangaben sowie | |
| Entwicklungs- und Produktionsplänen handelt es sich um sensible Betriebs- | |
| und Geschäftsgeheimnisse, die auch nach deutschen Recht einem besonderen | |
| Schutz unterliegen“, so das Ministerium. | |
| Parlamentarier Wölken lässt das nicht gelten: „Wir haben eine Pandemie. Das | |
| öffentliche Interesse wiegt in dieser Ausnahmesituation deutlich mehr als | |
| das kommerzielle Interesse“, sagt er. | |
| Ein EU-Parlamentarier drückte es so aus: „Öffentliche Gelder, öffentliche | |
| Regeln.“ Doch der Deal der EU mit den Pharmakonzernen entbindet diese von | |
| fast allen Risiken. | |
| Jean Stéphenne, Aufsichtsratschef beim neuen Star der deutschen | |
| Impfstoffhersteller, dem Tübinger Unternehmen Curevac, beschrieb vor dem | |
| EU-Parlament, wie genau das läuft: Derzeit verhandelt die Kommission mit | |
| dem Unternehmen noch einen Vorabvertrag über 400 Millionen Impfdosen. | |
| ## Pharmakonzerne meist fein raus | |
| Der sieht vor, dass mit jedem Meilenstein bei der Entwicklung ein Teil des | |
| Kaufpreises fließt: Erst für die klinische Phase-III-Studie und parallel | |
| für die Impfstoffe, die vorproduziert werden. Sollten die sich am Ende als | |
| wirkungslos erweisen, dann zahlt die Kommission sämtliche bis dahin | |
| hergestellten Impfdosen. | |
| Die EU übernimmt also einen Großteil der Risiken, kommt der Vertrag | |
| zustande. Und das, obwohl Curevac bereits 252 Millionen Euro Förderung von | |
| der Bundesregierung erhalten hat, dazu hat der Bund noch für 343 Millionen | |
| Euro einen Teil des Unternehmens erworben. | |
| Im Fall der Schweinegrippe zahlte GlaxoSmithKline übrigens für die | |
| mutmaßlichen Schäden durch die Impfung bis heute keinen Cent. Noch läuft in | |
| Deutschland ein Verfahren auf Schadenersatz. Generell seien solche | |
| Ansprüche gegen Pharmakonzerne aber selten und schwer durchsetzbar, sagt | |
| die Anwältin Anja Dornhoff, die die Geschädigten vertritt. | |
| GlaxoSmithKline machte 2010 1 Milliarde Euro Umsatz mit Pandemrix. Peanuts | |
| im Vergleich zu dem, was für einen Corona-Impfstoff zu erwarten ist. | |
| Mitarbeit: Eric Bonse, Reinhard Wollf | |
| 29 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.oxfam.org/en/press-releases/small-group-rich-nations-have-bough… | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Pharmakonzerne | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Curevac geht in neue Phase: Nachzügler mit Perspektive | |
| Auch das Pharmaunternehmen Curevac aus Tübingen will noch in diesem Jahr | |
| eine Massenstudie seines Corona-Impfstoffs starten. | |
| Streit um Corona-Impfstoffe: Weiterhin kein Einblick | |
| Die EU-Kommission bietet zu wenig Transparenz bei Vorverträgen mit | |
| Pharmakonzernen. Das kritisieren Grüne im Europaparlament. | |
| CSU-Chef Söder und die Grippeimpfung: Politik der leeren Gesten | |
| CSU-Chef Markus Söder hat sich öffentlich impfen lassen. Mediale | |
| Inszenierungen waren schon spektakulärer. Über Sinn und Unsinn von | |
| Publicity-Stunts. | |
| Coronastrategie für Herbst und Winter: Schnelltests für den Besuch im Heim | |
| Gesundheitsminister Jens Spahn hofft, dass es in einigen Wochen auch | |
| Coronatests für zu Hause geben wird. Das würde Arztpraxen und Kliniken | |
| entlasten. | |
| Bundesweite Corona-Studie: 34.000 Antikörper-Tests geplant | |
| Es ist die erste bundesweite Studie dieser Art: Forscher wollen | |
| herausfinden, wie viele Deutsche eine Corona-Infektion schon überstanden | |
| haben. | |
| Bund-Länder-Gipfel wegen Corona: Neue Coronaregeln beschlossen | |
| Kanzlerin Merkel hat sich mit den Länderchef:innen geeinigt: Für Partys | |
| gilt fortan ein abgestuftes Gästelimit. Wer in der Gastro falsche Angaben | |
| macht, muss zahlen. | |
| Debatte um Corona-Impfstoff: Wo Trump recht haben könnte | |
| Der US-Präsident wird belächelt, weil er als Wahltaktik einen schnellen | |
| Corona-Impfstoff in Aussicht stellt. Aber vielleicht stimmt das sogar. | |
| Kampf gegen das Coronavirus: Bund fördert drei Impfhersteller | |
| Rund 750 Millionen Euro sollen an die Pharmafirmen gehen. | |
| Forschungsministerin Karliczek rechnet mit der Zulassung möglicher | |
| Impfstoffe erst 2021. | |
| Kampf gegen die Coronapandemie: Rückschlag bei Impfstofftests? | |
| Bei der Entwicklung eines Impfstoffs gibt es Probleme. Der Pharmakonzern | |
| AstraZeneca stoppt Tests, weil ein Proband offensichtlich erkrankt ist. |