# taz.de -- Familienkonflikte in Belarus: Warum auf die Straße? | |
> Die Großmutter versteht überhaupt nicht, warum so viele Menschen jetzt | |
> demonstrieren. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. | |
> Folge 8. | |
Bild: Was in Minsk los ist, verstehen die Alten auf dem Dorf nicht | |
Die 36-jährige Julia aus Minsk ist Direktorin einer Baufirma. Sie nimmt an | |
den [1][Protestaktionen] teil – als Zeichen der Solidarität mit denjenigen, | |
die gelitten haben. Sie glaubt daran, dass das Volk bereits darauf | |
vorbereitet ist, ein neues Belarus aufzubauen. In ihrer Familie findet sie | |
jedoch keine Unterstützung. | |
„Meine Großmutter ist 80 Jahre alt, mein Vater 59. Sie leben 300 Kilometer | |
von Minsk entfernt“, erzählt sie. Als ich einmal zu ihnen gefahren bin, | |
bekam ich Folgendes zu hören: „Ihr solltet Lukaschenko dankbar sein für | |
kostenlose Wohnungen, Schulessen und die Stabilität im Land.“ (Für | |
kinderreiche Familien gibt es günstige Kredite, um ein Haus zu bauen, das | |
Schulessen für Kinder ist kostenlos). Julias Großmutter glaubt, dass die | |
Streiks die Wirtschaft des Landes erschütterten und zum Stillstand | |
brächten, der Staat keine Steuereinnahmen mehr habe und alte Menschen ohne | |
Rente blieben. Die Großmutter schaue nur staatliches Fernsehen und nehme | |
alles, was dort gesagt werde, für bare Münze. Sie glaube nicht daran, dass | |
geprügelt werde, dabei habe sie auch das schon mit eigenen Augen gesehen. | |
Julia streitet nicht mit ihr, das bringe eh nichts. | |
Julia sagt, dass alle ihre Freunde und Bekannten für einen Regimewechsel | |
seien. Die, die ein eigenes Unternehmen haben, aber auch die, die [2][im | |
staatlichen Sektor] arbeiten. | |
„Meine engste Freundin arbeitet in der Präsidialverwaltung. Dort | |
unterstützt niemand das gegenwärtige Regime. Das Wirtschaftssystem ist | |
schon seit zehn Jahren überholt. Die realen Indikatoren haben nichts mit | |
offiziellen statistischen Daten zu tun. Die Aufrechterhaltung unrentabler | |
Staatsbetriebe behindert die Entwicklung der Wirtschaft, privates Business | |
auf allen Ebenen ist nicht geschützt. Staatlichen Organisationen werden | |
Zahlungen für drei, fünf oder zehn Jahre gestundet. Privatfirmen droht in | |
einer solchen Situation der Bankrott.“ | |
Julias Vater hat sie unlängst gefragt: „Töchterchen, ich glaube nicht, was | |
sie im Fernsehen erzählen, aber ihr seid doch nur wenige auf der Straße, | |
oder?“ Ich sage: „Nein Papa, viele. Sehr viele. Jeden Sonntag, die Menschen | |
sind ganz verschieden. Ich kaufe euch Kabelfernsehen und dann werdet ihr | |
die Wahrheit erfahren. „Warum?“, hat mein Vater gefragt. „Mach das lieber | |
nicht. Das wird mich nur verwirren.“ | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
18 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Olga Deksnis | |
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