| # taz.de -- UN-Expertin über Krieg im Jemen: „Niemand hier hat saubere Händ… | |
| > Alle Kriegsparteien im Jemen verüben schwere Straftaten, schreiben | |
| > UN-Experten in einem neuen Bericht. Die Menschenrechtlerin Melissa Parke | |
| > fordert Rechenschaft. | |
| Bild: Im Kampf gegen die Regierung getötet: Beerdigung eines Huthi-Kämpfers i… | |
| taz: Frau Parke, am Dienstag wird Ihr neuer [1][Bericht] zum Krieg im Jemen | |
| vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgestellt. Darin sprechen Sie von | |
| einer Pandemie, Sie meinen aber nicht Corona? | |
| Melissa Parke: Covid-19 ist verheerend, aber es gibt eine noch größere | |
| Pandemie, die den Menschen im Jemen Leid zufügt: die Straflosigkeit. Alle | |
| Konfliktparteien im Jemen verüben schwere Verletzungen der Menschenrechte | |
| und des internationalen Rechts, und zwar ohne Folgen für die Täter. Das | |
| ermutigt sie, weitere und noch schwerere Verletzungen zu begehen. | |
| Um was für Taten geht es? | |
| Um Luftangriffe und andere Bombardierungen, bei denen nicht unterschieden | |
| wird zwischen zivilen und militärischen Zielen. Um Landminen, willkürliche | |
| Festnahmen und Verschleppungen sowie um Folter und sexuelle Gewalt. | |
| Außerdem wird eine ganze Generation ihrer Bildung beraubt, indem Kinder | |
| rekrutiert werden, um sie in Kriegshandlungen einzusetzen. | |
| Sie sagten, alle Konfliktparteien machten sich schuldig, Jemens Regierung | |
| also ebenso wie die Huthi-Rebellen, aber auch die mit der Regierung | |
| alliierte arabische Militärkoalition sowie die südjemenitischen | |
| Separatisten. Verwässert eine solche Aussage nicht wichtige Unterschiede? | |
| Die einzigen Parteien im Jemen, die Flugzeuge am Himmel haben, sind die von | |
| Saudi-Arabien geführte Koalition sowie die Emirate. Alle Verletzungen im | |
| Rahmen von Luftangriffen gehen auf das Konto der Koalition. Landminen | |
| werden mehrheitlich von den Huthis eingesetzt und auch in Sachen | |
| Kinderrekrutierung werden die meisten Verletzungen von den Huthis begangen. | |
| Aber auch andere Parteien machen das. Alle Parteien wiederum verletzen das | |
| Recht auf Bewegungs- und Meinungsfreiheit, lassen Menschen verschwinden und | |
| begehen Folter. Es gibt keine Guten in diesem Konflikt, niemand hier hat | |
| saubere Hände. | |
| Das Mandat Ihrer vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Expertengruppe | |
| umfasst das Sammeln und Analysieren von Informationen. Wie gehen Sie dabei | |
| vor? | |
| Dieses Jahr gab es viele Herausforderungen. Wir hatten kein Zutritt zum | |
| Jemen und zu den Ländern der Koalition und mussten mit Einschränkungen | |
| durch Covid-19 arbeiten. Unsere Feldbesuche mussten wir stark begrenzen und | |
| Interviews per Video führen. Aber wir konnten im Berichtszeitraum trotzdem | |
| mehr als 400 Interviews führen. Dazu haben wir Bestätigung über | |
| Satellitenbilder eingeholt. Ein Mitarbeiter wertet außerdem Äußerungen der | |
| Konfliktparteien in sozialen Medien aus. | |
| Wie groß ist Ihr Team? | |
| Ungefähr zwanzig Leute, inklusive Ermittler, Analysten, Dolmetscher und | |
| Administration. Sie haben von Beirut aus gearbeitet bis zu der | |
| [2][Explosion (im Hafen der Stadt am 4. August)], die unser Büro zerstört | |
| und einige Mitarbeiter leicht verletzt hat. Das hat unsere Arbeit weiter | |
| behindert, nachdem einige Mitarbeiter schon vor der Explosion wegen Covid | |
| umziehen mussten. Wir Experten waren auf unsere Heimatländer beschränkt, | |
| normalerweise würden wir regelmäßig nach Beirut und in die Region reisen. | |
| In Ihrem Bericht fordern Sie erstmals, dass der UN-Sicherheitsrat den Fall | |
| Jemen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) überweist. Mit | |
| welchem Ziel? | |
| Es wäre ein starkes Signal: dass niemand über dem Recht steht und dass die | |
| internationale Gemeinschaft die Schwere der Verbrechen erkennt. Die | |
| aktuelle Straflosigkeit hat auch Auswirkungen auf die internationale | |
| Gemeinschaft. UN-Mitgliedstaaten fahren ihre Waffenlieferungen an | |
| Konfliktparteien hoch, trotz der vielen Beweise für schwere Verletzungen | |
| des humanitären Völkerrechts. Niemand – keine Konfliktpartei und kein | |
| UN-Mitglied – kann sagen, man hätte davon nichts gewusst. | |
| Warum hat der Sicherheitsrat den Fall nicht schon in den letzten sechs | |
| Jahren nach Den Haag überwiesen? | |
| Einige ständige Mitglieder sind involviert, in dem Sinn, dass sie Waffen | |
| liefern. Möglicherweise haben sie keinen Anreiz, den IStGH anzurufen. Aber | |
| sie müssen ihrer Pflicht nachkommen und den Fall überweisen. Die | |
| internationale Gemeinschaft muss aktiv werden, wenn wir nicht alle Blut an | |
| unseren Händen haben wollen, weil wir die Verletzungen wissentlich | |
| ignorieren. | |
| In dem Bericht heben Sie drei Länder hervor, die ständige | |
| Sicherheitsratsmitglieder sind: Frankreich, Großbritannien und die USA. | |
| Die Staaten, die wir erwähnen – wir haben darüber hinaus auch Kanada und | |
| den Iran benannt – haben besonders großen Einfluss auf die Konfliktparteien | |
| im Jemen. Unter internationalem Recht sind sie verpflichtet, diesen | |
| Einfluss im Sinne des humanitären Völkerrechts zu nutzen. | |
| Allerdings liefern auch andere Staaten Waffen. | |
| Wir haben die genannt, die die meisten verkaufen. | |
| Deutschland findet keine Erwähnung. Hat das damit zu tun, dass die | |
| Bundesregierung Rüstungsgeschäfte mit den Saudis nach dem [3][Mord an dem | |
| Journalisten Jamal Khashoggi] gestoppt und bislang auch nicht wieder | |
| aufgenommen hat? | |
| Deutschland unterstützt unsere Arbeit sehr. Andere Länder sollten ihre | |
| Waffenverkäufe an die Konfliktparteien ebenfalls stoppen. Als | |
| nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat kann Deutschland momentan | |
| außerdem ein starker Fürsprecher dafür sein, das Thema Menschenrechte in | |
| die Arbeit des Sicherheitsrats zu integrieren. Momentan gibt es eine Art | |
| Trennung in den UN: Menschenrechte werden in Genf behandelt, | |
| Sicherheitsfragen in New York. Aber beides hängt zusammen. Ich hoffe, dass | |
| unsere Arbeit sich auch in der Agenda des Sicherheitsrats niederschlägt. | |
| 29 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/GEE-Yemen/2020-09-09-rep… | |
| [2] /Explosion-im-Libanon/!5705536 | |
| [3] /Mord-an-Jamal-Khashoggi/!5712722 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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