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# taz.de -- Antisemitismusbeauftragter über Corona-Leugner: „Kuschelpädagog…
> Tausende wollen am Bodensee gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren. Der
> Südwest-Antisemitismusbeauftragte erklärt, wie sie denken.
Bild: Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen auf dem Cannstatter Wasen,…
taz am wochenende: Herr Blume, am Wochenende soll es in Konstanz zur großen
Demonstration der [1][Coronaleugner] kommen. Warum ballt sich gerade im
Südwesten der Protest der sogenannten Querdenker?
Michael Blume: Knapp gesagt trifft hier süddeutscher Platonismus auf
norddeutschen Zentralismus. Wir haben in Süddeutschland eine lange
Tradition von Obrigkeitsskepsis und Wissenschaftskritik. Das liegt zum
einen an der evangelischen Strömung des [2][Pietismus], der sagt, man muss
die Wahrheit selbst überprüfen. Die meisten heute schauen dafür dann aber
nicht mehr in die Bibel, sondern ins Internet. Und wir haben die
Anthroposophie, die sagt, wir haben ein überzeitliches Wissen. Da soll man
sich von den Wissenschaften nicht unbedingt reinreden lassen.
Dazu kommt eine traditionelle Skepsis gegenüber Berlin. So war schon der
König von Württemberg 1871 bei der Reichsgründung eigentlich dagegen, dass
nun Württemberg unter einem preußischen Kaiser Teil des Deutschen Reichs
wird. Dieses Gefühl der Fremdbestimmung, dass man in Berlin eh macht, was
man will, das ist im Südwesten sehr stark.
Deshalb hat sich die Bewegung nun nach Süden an den Bodensee orientiert?
Ja, es ist so, dass wir hier kulturell und medial stärker an Österreich und
die Schweiz gebunden sind. Es gibt die Vorwürfe an die Medien aus Berlin
und Hamburg, dass sie nur auf die Menschen herunterschauen. Dagegen
verklärt man die direkte Demokratie in der Schweiz oder einen Kanzler wie
Sebastian Kurz. Dazu passt auch, dass Baden-Württemberg im Moment in der
Bundesregierung keinen Minister stellt. Das verstärkt das Gefühl, man werde
in Berlin nicht mehr gehört.
Im Ernst? Danach dürfte es kein Pegida geben, denn die Ostdeutschen können
sich mit einer Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern bestens repräsentiert
fühlen.
Ich sehe auch bei Pegida, dass wir es weniger mit einem Ressentiment Ost –
West zu tun haben, sondern längst mit Nord – Süd. Auch Sachsen hat in
seiner Geschichte immer eher nach Süden tendiert und sich gegen Preußen
abgegrenzt. Wir erleben da eine Glokalisierung. Die Menschen reagieren auf
die Globalisierung, indem sie sich auf ihre eigenen Bezugspunkte
zurückziehen. Geografisch, aber auch indem sie ihre eigenen Medien nutzen.
Das ist kein rein deutsches Phänomen.
Nein, wir sehen das gerade in allen großen Demokratien. Adorno sprach
davon, dass der Faschismus sich da organisiert, wo die Menschen das Gefühl
haben, sie leben in der Provinz. In Deutschland haben wir da ja noch Glück,
denn es ist bei uns bisher keine Mehrheitsbewegung.
Wie gefährlich ist es denn nun, wenn Zehntausende in Berlin Putin und Trump
huldigen und man [3][den Reichstag stürmen] will?
Ich sage immer wieder, dass es die Antisemiten diesmal nicht schaffen
werden, unsere Demokratie zu vernichten. Aber Populisten waren immer stark
darin, die Gefühle von Menschen auszubeuten. Ich sehe keine Gefahr für den
Bestand der Republik, aber ich sehe es als eine Problemanzeige.
Sind denn die selbsternannten Querdenker automatisch Antisemiten?
Der Antisemitismus bildet beim Verschwörungsglauben immer die Spitze, weil
alles darauf hinausläuft, dass Juden die Weltverschwörer sind. Bei
Querdenkern war das von Anfang an sehr stark. Michael Ballweg hat zu seiner
ersten großen Demonstration den Antisemiten Ken Jebsen eingeladen. Sein
Pressesprecher ist in der Reichsbürgerszene aktiv. Dazu kommt das
Bekenntnis zur QAnon-Bewegung, die die Erzählung verbreitet, eine Elite, zu
der natürlich auch Juden gehören, halte sich durch die Körperzellen von
Kindern jung. Das ist nur die etwas modernisierte Fassung von
antisemitischen Mythen aus dem Mittelalter.
Warum haben diese Mythen gerade jetzt so eine große Konjunktur?
Auch durch die Digitalisierung. Immer wenn neue Medien in die Welt kommen,
erleben wir solche Umbrüche. Mit der Verbreitung des Buchdrucks hatten wir
die Ausbreitung des Hexenglaubens. Radio und Film wurden von Nazis und
Ku-Klux-Klan genutzt. Der andere Faktor sind die Krisen, die wir derzeit
erleben. Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise und jetzt die Pandemie. Wenn
man sieht, dass da bei uns beides zusammenkommt, können wir eigentlich sehr
froh sein, dass über 90 Prozent der Menschen sehr vernünftig sind und nur
eine kleine, aber laute Minderheit wettert.
Wo waren diese Verschwörungsgläubigen denn früher? Oder sind das alles
ehemals vernünftige Menschen, die sich unter dem Eindruck dieser Krisen aus
dem normalen Diskurs verabschiedet haben?
Es gab diese Mythen immer, gerade der Antisemitismus war nie weg.
Autoritäre Persönlichkeiten, die glauben, dass die Welt ein böser Ort ist,
in dem man sich nur mit Gewalt schützen kann, sind anfällig für
Verschwörungsglauben. Man darf übrigens nicht vergessen, dass die
Initiatoren damit auch Geld verdienen. Die Menschen werden um Spenden
angehauen, sie sollen Abos abschließen, sie sollen Produkte kaufen. Selbst
wenn diese Bewegung nicht so erfolgreich ist wie früher, so ist es
zumindest noch ein Geschäftsmodell. Die Anbieter sind nicht dumm, sondern
sie setzen darauf, dass ihre Anhängerschaft leicht zu täuschen ist.
Wie geht man mit Menschen um, die an diese Verschwörungsmythen glauben?
Man muss sich klarmachen, dass das ein Glaubenssystem ist. Es hat eher
Charaktereigenschaften einer Sekte. Verschwörungsgläubige ziehen sich in
eine parallele Realität zurück, sie glauben anders als in Religionen an
die Weltherrschaft böser Mächte. Da kann man am Anfang noch etwas tun. Aber
wenn jemand so tief drinsteckt, dass man nicht mehr mit ihm reden kann,
dann muss man auch den Mut haben zu sagen, ich höre mir das nicht länger
an. Es war ja schon ein großer Fehler, dass man Pegida nachgelaufen ist.
Gegen erwachsene Menschen, die sich in Hass verrannt haben, darf man sich
auch abgrenzen.
Also eher ein Fall für die Therapie.
Ja genau. Wer längere Zeit in so einem Verschwörungsglauben drin war, kommt
nur noch ganz schwer heraus. Auch da haben wir in Baden-Württemberg mit dem
Philosophen Martin Heidegger ein leider berühmtes Beispiel. Ein weltweit
verehrter Philosoph, hoch gebildet, hatte jüdische Lehrer und mit Hannah
Arendt eine jüdische Geliebte. Trotzdem war er glühender Antisemit und hat
es nach dem Krieg nicht mehr geschafft, aus diesem Verschwörungsglauben
herauszufinden. Man darf heute auch nicht glauben, dass das alles
„Covidioten“ seien. In einen Verschwörungsglauben können auch
hochintelligente Menschen abdriften.
Wenn man Xavier Naidoo oder Attila Hildmann sieht, könnte man annehmen, da
hat jemand zu viele Drogen genommen.
Man darf nicht den Fehler machen, alle als geisteskrank abzustempeln. Aber
ja, bestehende psychische Probleme können durch Verschwörungsmythen noch
verstärkt werden.
Und was sollte die Politik tun?
Der Staat sollte auf alle Fälle wehrhaft sein. In Stuttgart wurde gerade
jemand, der in der ganzen Stadt „Merkel ist Jüdin“-Schmierereien
angefertigt hat, sehr schnell ermittelt und festgenommen. Ich würde mir
wünschen, dass man auch gegen Leute wie Attila Hildmann, der andere
beleidigt und bedroht, klarer vorgeht. Einfach deshalb, weil diese Menschen
autoritär denken. Die empfinden Freundlichkeit und Zuwendung als
Bestätigung. Kuschelpädagogik bringt an dieser Stelle nichts.
Und warum landen Menschen aus einem offenkundig grünen und anscheinend
progressiven Milieu in dieser Bewegung?
Antisemitismus bildet da eine Querfront für eine Bewegung, die nur durch
ein gemeinsames Feindbild verbunden sind, nicht durch eine positive Vision.
Da gibt es einen frühen Vorläufer, den Anarchisten Michail Bakunin im 19.
Jahrhundert. Er gehörte zu den Ersten, die Marxisten und die
Bankiersfamilie Rothschild gemeinsam für eine jüdische Weltverschwörung
verantwortlich gemacht haben. Dieser Glaube an die eine große Verschwörung
aller Demokratien, an der heute noch Gates und Soros beteiligt seien, ist
bei Rechtsextremen, aber auch im linken und libertären Milieu attraktiv.
Dann stehen diese Menschen plötzlich beieinander und bilden eine Querfront,
die nur durch das gemeinsame Feindbild zusammengehalten wird.
Für Deutschland ist diese Querfront aber schon ein neues Phänomen.
Es gelingt, diese Mischung digital zu mobilisieren, weil die Menschen über
soziale Medien dauerhaft in einen Erregungszustand versetzt werden. Über
Telegram und Twitter werden sie täglich mit neuen Nachrichten versorgt. Es
gibt auch immer neue Endzeittermine. Am 1. September hätte ja mal wieder
die Demokratie untergehen sollen. Die Menschen werden in einen solchen
Erregungszustand versetzt, dass sie nicht merken, was da nicht stimmt, und
es völlig normal finden, auch unter einer Reichsbürgerflagge mitzulaufen.
2 Oct 2020
## LINKS
[1] /Linke-Coronaleugner/!5709947
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus
[3] /Reaktionen-auf-die-Corona-Proteste/!5710612
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Antisemitismus
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