Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Radikaler Protest der NBA-Basketballer: Auf dem Feld der Konfrontat…
> Der Streik der Basketballprofis in den USA gegen Rassismus entspringt
> einem wachsenden Machtbewusstsein. Zudem sind viele Akteure selbst
> betroffen.
Bild: Mehr als Basketball im Sinn: Giannis Antetokounmpo von den Milwaukee Bucks
Seit einer Woche sind die NBA-Playoffs wieder im Gange. Liga und Spieler
haben sich nach dreitägiger Arbeitsniederlegung und zähen Verhandlungen auf
ein Fortsetzen der Saison geeinigt. Vorangegangen war ein [1][historisch
beispielloser Akt des Widerstands] der Athleten: Nur Minuten vor Anpfiff
ihres Playoff-Spiels entschieden sich die Spieler der Milwaukee Bucks nicht
anzutreten – aus Protest gegen rassistische Gewalt in den USA.
Diesem politischen Streik schlossen sich wenig später ihre Gegner wie auch
die Spieler der anderen NBA-Partien an. Im Laufe des Abends folgten
Sportlerinnen und Sportler anderer Ligen dem Vorbild ihrer NBA-Kollegen.
Kurzzeitig lag gar die Idee eines dauerhaften Streiks auf dem Tisch.
Dieser wilde Streik war eine Antwort auf einen erneuten Fall polizeilicher
Gewalt gegen einen Schwarzen US-Bürger sowie auf die sich anschließenden
Proteste. Am Sonntag, den 23. August, war Jacob Blake von einem
Polizeibeamten sieben Mal in den Rücken geschossen worden. Die Tat
ereignete sich in Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin, 45 Autominuten
entfernt von der Spielstätte eben jener Milwaukee Bucks. Im Verlaufe der
anschließenden Proteste erschoss [2][ein 17-jähriges Mitglied einer rechten
Bürgerwehr zwei Demonstranten] und verletzte einen weiteren schwer.
Es waren diese Vorfälle wie auch das gesellschaftliche Klima in den USA
insgesamt, die die Spieler zu diesem drastischen Schritt veranlassten. Denn
trotz aller Proteste auf der Straße und im Profisport bleiben zentrale
Forderungen unerfüllt. Stattdessen stellt sich die US-Regierung in Worten
und Taten der Black-Lives-Matter-Bewegung entgegen: Am Tag bevor in Kenosha
das Mitglied einer rechten Bürgerwehr zwei Demonstranten erschoss, hatte
ein Ehepaar auf dem Parteitag der Republikaner gesprochen, das einzig dafür
bekannt ist, eine Black-Lives-Matter-Demonstration mit Schusswaffen bedroht
zu haben. Die Polizeibeamten, die die 26-jährige Breonna Taylor im März
dieses Jahres in ihrer Wohnung in Louisville, Kentucky erschossen hatten,
wurden bis heute weder verhaftet noch angeklagt. Stattdessen zählte auch
der Generalstaatsanwalt eben jenes Bundestaates Kentucky zu den Rednern auf
dem Parteitag der Republikaner.
## Appell an das Parlament
Auch im Fall Jacob Blake fehlt bislang eine Anklage gegen den Beamten, der
die Schüsse abgegeben hatte. In einem Statement prangern die Bucks-Spieler
dieses Versagen staatlicher Institutionen an: „Immer wenn wir auf dem
Spielfeld Milwaukee und Wisconsin repräsentieren, […] wird von uns
erwartet, dass wir maximalen Einsatz zeigen und für einander verantwortlich
sind. Wir legen diesen Maßstab an uns selbst an, und jetzt verlangen wir
das Gleiche von unseren Abgeordneten und Strafverfolgungsbehörden.“
Was genau sie sich wünschen, formulieren sie ebenfalls deutlich: „Wir
fordern Gerechtigkeit für Jacob Blake und verlangen, dass die
Polizeibeamten zur Rechenschaft gezogen werden. Damit dies geschieht, ist
es zwingend erforderlich, dass das Parlament von Wisconsin nach Monaten der
Untätigkeit wieder zusammenkommt und sich der Themen Polizeiverantwortung,
Polizeigewalt und Strafjustizreform annimmt.“
Es gibt weitere Gründe dafür, dass ausgerechnet die Milwaukee Bucks den
politischen Streik der NBA-Spieler ins Rollen brachten: [3][Im Januar 2018
hatten mehrere Beamte] des Milwaukee Police Department gewaltsam und unter
Einsatz einer Elektroschockpistole den afroamerikanischen Bucks-Spieler
Sterling Brown verhaftet – wegen eines Parkvergehens. Selbst der
Polizeipräsident Milwaukees gab später zu, bei dem Einsatz habe es sich um
exzessive Gewaltanwendung seitens der Polizisten gehandelt.
Den strukturellen Rassismus und die Kadermentalität der Polizei bekam die
NBA-Öffentlichkeit erst jüngst vor Augen geführt: Im Juni 2019 wurde ein
Polizist gegenüber Masai Ujiri, dem afrokanadischen Präsidenten der Toronto
Raptors, handgreiflich. Obwohl sich der Vorfall mitten in einer Sportarena
vor 20.000 potenziellen Zeug:innen und vor unzähligen Kameras zugetragen
hatte, behauptete die Polizei monatelang, der Schwarze sei der Aggressor
gewesen, verklagte Ujiri gar auf Schadenersatz. Ein nur Tage vor den
Schüssen von Kenosha veröffentlichtes Bodycam-Video widerlegte nun
endgültig das Narrativ der Beamten; bis zuletzt hatte die Polizei
behauptet, ein solches Video existiere nicht.
Prominente NBA-Spieler nutzten seit Jahren ihre öffentliche Plattform, um
gegen rassistische Polizeigewalt zu protestieren. Lange war dieser
Aktivismus jedoch auf einzelne Statements in Social-Media-Kanälen oder auf
symbolische Gesten beschränkt. [4][Spätestens der Mord an George Floyd]
durch Polizeibeamte in Minnesota vor drei Monaten und die anschließend
wiedererstarkte antirassistische Protestbewegung radikalisierte jedoch auch
die Profisportler in den USA. NBA-Spieler beteiligten sich an
Black-Lives-Matter-Demonstrationen, riefen zu Protesten und zur
Wahlregistrierung auf.
Während der Verhandlungen um eine Wiederaufnahme der NBA-Saison nach
mehrmonatiger Coronapause im Frühsommer äußerten mehrere prominente Spieler
dann Bedenken, ihr Sport könnte von der Protestbewegung ablenken. Daher
knüpfte die NBA-Spielergewerkschaft ihre Einwilligung zum Neustart der
Spiele an die Bedingung, die NBA müsse auch zur Plattform für soziale
Gerechtigkeit werden. Seitdem prangt ein großer
Black-Lives-Matter-Schriftzug auf dem Parkett, auf vielen der Trikots
ersetzen antirassistische Slogans die Spielernamen und die Profis nutzen
ihre Interviews, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.
## Frauenliga als Vorbild
Konfrontativere Aktionsformen wählten die Basketballerinnen der WNBA. Am
ersten Spieltag verließen die Teams kollektiv das Spielfeld vor dem
Abspielen der Hymne und erzeugten so weitreichendes Medienecho. Und nachdem
die US-Senatorin und Mitbesitzerin eines WNBA-Teams, Kelly Loeffler, die
Black-Lives-Matter-Bewegung kritisiert hatte, forderten die Spielerinnen
öffentlich dazu auf, den Demokratischen Gegenkandidaten um Loefflers
Senatssitz zu wählen. Diese Bereitschaft zur direkten Konfrontation
aufseiten ihrer Kolleginnen dürfte auch die NBA-Stars zu radikaleren
Protestformen ermutigt haben.
Die Schüsse auf Jacob Blake und die Nichtanklage der Polizeibeamten führten
den Spielern nun einmal mehr vor Augen, dass ihr bisheriges Engagement
nicht ausreichte, um gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten. Kurz vor
dem Streik deutete Toronto Raptors-Spieler Fred VanFleet die Möglichkeit
radikalerer Protestformen an: „Was sind wir bereit aufzugeben? Interessiert
es uns tatsächlich einen Scheiß, was gerade passiert?“ Diese Frage
beantworteten die Spieler und Spielerinnen nur wenige Stunden später auf
eindeutige Weise. Der spontane Streik zeigte, dass die Athleten und
Athletinnen sich nicht nur ihrer enormen öffentlichen Reichweite, sondern
zunehmend auch ihrer ökonomischen Macht als Sport-Arbeitende bewusst sind.
Nach Jahren der Statements und Verhandlungen setzten sie diese Macht jetzt
ein, um Druck auf Politik und ihre Arbeitgeber – ihrerseits bestens
vernetzte, einflussreiche und oft milliardenschwere Teambesitzer –
auszuüben.
Statt in einen dauerhaften Streik zu treten, erstritten die Spieler
letztlich weitere reformistische Zugeständnisse: Die Teams werden ihre
Arenen im November als Wahllokale zur Verfügung stellen, TV-Sender strahlen
von nun an Werbespots zu Wahlrecht und Antirassismus während der
Playoff-Spiele aus. Und die Liga wird eine Kommission aus Spielern,
Trainern und Team-Besitzern etablieren, die ein weiteres soziales
Engagement der NBA koordinieren wird. In vielerlei Hinsicht sind diese
Verhandlungsergebnisse lediglich eine Fortsetzung dessen, was die
Spielergewerkschaft bereits im Juli erstritten hatte: materielle wie
symbolische Projekte.
Zwar bleibt die Gefahr, dass es sich dabei um zahnlose Gesten handeln
könnte. Dennoch ist es als Erfolg der NBA-Athleten zu werten, die in Teilen
konservativen, marktradikalen und trumpistischen Team-Besitzer zu
Zugeständnissen in einem Konflikt um Antirassismus und soziale
Gerechtigkeit genötigt zu haben. Der politische Streik der Spieler zeigt
eindrücklich, dass Sport nicht nur Unterhaltungsprodukt, sondern auch Feld
gesellschaftlicher Konflikte ist und dass die Athleten bereit sind, ihr
Spielfeld zur Solidarität mit sozialen Bewegungen zu nutzen. Die sozialen
Bewegungen auf der Straße mag der Widerstand der NBA-Spieler daran
erinnern, dass eine kollektive Verweigerung – in Form von Streiks oder
Boykotten – politische Macht entfalten kann.
Markus Gerke ist Sportsoziologe an der Universität Gießen und forscht zu
politischem Aktivismus im Sportkontext.
Dr. Viola Huang ist Historikerin und Amerikanistin an der Universität
Passau und forscht zur Geschichte afroamerikanischer sozialer Bewegungen.
5 Sep 2020
## LINKS
[1] /US-Sport-im-Ausnahmezustand/!5704596
[2] https://www.washingtonpost.com/nation/2020/08/26/jacob-blake-kenosha-police…
[3] /Polizeigewalt-in-den-USA/!5508058
[4] /Polizeigewalt-in-den-USA/!5689218
## AUTOREN
Viola Huang
Markus Gerke
## TAGS
Black Lives Matter
Schwerpunkt Rassismus
Streik
NBA
Antirassismus
NBA
Schwerpunkt Rassismus
NBA
American Pie
American Pie
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Black Lives Matter
WNBA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erste EU-Antirassismusbeauftragte: Erst Finnland, dann ganz Europa
Die ehemalige Profibasketballerin Michaela Moua soll Rassismus in der EU
bekämpfen. In Finnland arbeitete Moua für verschiedene NGOs.
Die NBA auf weltweitem Eroberungszug: Darf’s ein bisschen mehr sein?
Schrumpfen im Inland, Wachstum im Ausland: Die NBA startet mehr denn je als
globale Marke in die neue Basketballsaison.
Black Lives Matter im US-Baseball: Zeit für neue Zahlen
Die Major League Baseball in den USA wird die Statistiken der sogenannten
Negro Leagues anerkennen. Es ist ein später Schritt zur Gleichberechtigung.
Basketballer Schröder zu den Lakers: Zum Meister abgeschoben
Eine glückliche Fügung führt den Basketballer Dennis Schröder zu den Los
Angeles Lakers. Der deutsche Nationalspieler spielt nun um den Titel.
Nach dem NBA-Titel für die Lakers: Die zwei Größten
LeBron James war der Star der NBA-Finals. Nun tobt der Streit, ob er größer
ist als Michael Jordan. In jedem Fall ist James der politischere Profi.
LeBron James wieder in den NBA-Finals: Der Gutmacher
LeBron James steht vor seinem vierten NBA-Titelgewinn. Gegen seinen
Ex-Klub aus Miami will er die Los Angeles Lakers wieder groß machen.
Gewalt bei Protesten in den USA: Aggressionen in den USA steigen
Weiße mobilisieren gegen Black Lives Matter. In Rochester wird ein
Demonstrant angefahren. In Louisville stehen sich gegnerische Milizen
gegenüber.
Politisierung des US-Sports: Rauschhaft und revolutionär
Der Streik der US-Athleten gegen Rassismus rührt auch an den Grundfesten
des Sports. Die Grenzen des Politischen müssen neu gezogen werden.
Boykott der NBA-Basketballer: Appell an die Gleichgültigen
Im US-Sport kommt es zum Boykott. Basketballer möchten von der
Dringlichkeit des Protests gegen Polizeigewalt überzeugen. Schaffen sie
das?
Basketballerin über Rassismus: „Ich spiele locker“
Satou Sabally will in der besten Basketball-Liga der Welt Karriere machen.
Sie spricht über ihren Aufstieg und Alltagsrassismus in Deutschland.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.