| # taz.de -- Polizeigewalt in den USA: Die Tage von Minneapolis | |
| > Der Afroamerikaner George Floyd wird von einem weißen Polizisten | |
| > umgebracht. Seither protestieren die Menschen dort gegen Rassismus. | |
| Bild: Minneapolis brennt: Proteste gegen den Mord an George Floyd am Freitag | |
| Vier Tage nachdem ein weißer Polizist in Minneapolis sein Knie so lange in | |
| den Nacken eines am Boden liegenden unbewaffneten schwarzen Mannes gedrückt | |
| hat, bis George Floyd tot war, herrscht Aufruhr in der Stadt im Mittleren | |
| Westen. Angetrieben von dem Video über die Tat, das eine Augenzeugin am | |
| Montag gemacht hat, gehen immer mehr Menschen auf die Straße. | |
| Zu Zigtausenden, Junge und Alte sowie auffallend viele Weiße, verlangen sie | |
| die Inhaftierung des zwar aus dem Polizeidienst entlassenen, aber immer | |
| noch frei herumlaufenden Täters und seiner drei Komplizen in Uniform. Im | |
| Windschatten der Demonstrationen werden mehrere Kaufhäuser geplündert. In | |
| einer neuen Eskalation in der Nacht zu Freitag geht die Polizeiwache, in | |
| der die Polizisten gearbeitet haben, in Flammen auf. | |
| Lokalpolitiker äußern Verständnis für das Entsetzen und die Wut. Und sie | |
| rücken sie in einen größeren historischen Zusammenhang. Hinter dem, was | |
| sich jetzt entlädt, stecken „nicht nur fünf Minuten Horror, sondern 400 | |
| Jahre Geschichte“, erklärt Minneapolis’ Bürgermeister Jacob Frey die | |
| Reaktionen in seiner Stadt. | |
| Der erst 2018 gewählte weiße Mittdreißiger ist ein Demokrat vom linken | |
| Parteiflügel. Sein Kollege Melvin Carter, Bürgermeister der unmittelbar | |
| angrenzenden Stadt St. Paul, fügt hinzu: „Ich wäre längst im Gefängnis, | |
| wenn ich es getan hätte.“ Er ist ein schwarzer Demokrat. Der von Frey | |
| angestellte schwarze Polizeichef von Minnesota, Medaria Arradondo, | |
| entschuldigt sich öffentlich bei den Angehörigen von George Floyd und | |
| spricht von dem „Trauma und den Emotionen“ in der Stadt. | |
| In der schwierigen Gemengelage in den Twin Cities verlangen beide | |
| Bürgermeister die Verhaftung der involvierten Polizisten. Aber zugleich | |
| fordern sie die Demonstranten auf, zu Hause zu bleiben. Wegen der | |
| fortdauernden Covid-19-Pandemie. Und um weitere Randale zu vermeiden. Tim | |
| Walz, der Gouverneur des Bundesstaates, ebenfalls ein Demokrat, unterstützt | |
| sie. | |
| Um die örtliche Polizei zu verstärken, schickt er am Donnerstag zusätzlich | |
| seine Nationalgarde in die Stadt. Am frühen Freitagmorgen nehmen Polizisten | |
| vor den rauchenden Trümmern der Polizeiwache in Minneapolis ein Team von | |
| CNN vor laufender Kamera fest. Reporter Omar Jimenez kommentiert seine | |
| eigene Festnahme live. „Warum?“, fragt er, bekommt aber keine Antwort. Es | |
| ist eine Premiere in den USA. Ein paar Stunden später wird Jimenez wieder | |
| freigelassen, und der Gouverneur von Minnesota entschuldigt sich bei CNN. | |
| Während die Lokalpolitiker ein für US-Verhältnisse ungewöhnlich | |
| vorsichtiges Krisenmanagement versuchen, entdeckt Donald Trump das | |
| Potenzial für ein neues Thema und für ein neues Ablenkungsmanöver in seinem | |
| eigenen Wahlkampf. Er eröffnet mehrere neue Fronten. | |
| Am Freitagmorgen beschimpft er die Menschen, die in Minneapolis gegen | |
| [1][Polizeigewalt] demonstrieren, pauschal als „Gangster“. Er wirft den | |
| Führungskräften der Stadt „totale“ Unfähigkeit vor. Und er droht der Sta… | |
| dass er überlege, das Militär zu schicken. Dann eskaliert der US-Präsident | |
| seinen Vielfrontenkrieg mit einer offenen Gewaltdrohung: „Wenn Plünderungen | |
| anfangen, beginnt das Schießen“, schreibt er in einem Tweet. | |
| Dem Medium, auf dem Trump seine jüngste Drohung veröffentlicht, hatte er am | |
| Tag zuvor ebenfalls den Krieg erklärt. Am Donnerstag veröffentlichte Trump | |
| im Weißen Haus ein neues Dekret, das Twitter und andere soziale Medien für | |
| alle Veröffentlichungen auf ihren Seiten verantwortlich macht. | |
| [2][Es ist ein Racheakt.] Trump benutzt Twitter seit Jahren für seine | |
| Propaganda. Wenige Tage vor seinem Dekret aber hatte Twitter zum ersten Mal | |
| Meldungen des Präsidenten wegen ihres Mangels an Wahrheit kommentiert. | |
| Trump hatte darin behauptet, dass es im November massive Wahlfälschungen | |
| geben werde. Am Freitag wiederholt Twitter seine Geste gegenüber Trump. Die | |
| Plattform setzt eine Gewaltwarnung vor den Tweet, in dem der Präsident | |
| ankündigt hatte, auf Plünderer werde geschossen. | |
| Vieles, was nach der Polizeigewalttat in Minnesota geschieht, ist neu in | |
| den USA. Schon eine Entlassung von Polizisten, die rassistisch gewalttätig | |
| sind, ist selten. Aber eine Entlassung von gleich vier Polizisten binnen | |
| weniger als 24 Stunden nach der Tat, wie sie am Dienstag in Minneapolis | |
| erfolgte, ist noch nie da gewesen. | |
| Es ist auch nie zuvor in der an rassistischer Gewalt reichen | |
| Polizeigeschichte der USA passiert, dass sich fast alle örtlichen Politiker | |
| auf die Seite des Opfers stellen. Völlig neu ist auch, dass nach einer | |
| solchen Tat ein breiter Querschnitt der Bevölkerung auf die Straße geht. In | |
| den meisten Fällen bleiben schwarze Demonstranten nach rassistischer | |
| Polizeigewalt in den USA unter sich. In Minneapolis waren schon am | |
| Dienstagabend, bei den ersten Protesten am Tatort, auffallend viele weiße | |
| Menschen beteiligt. In den Tagen seither steigt ihre Zahl weiter. | |
| Selbst die weit rechts stehende Polizeigewerkschaft „Fraternal Order of | |
| Police“, die sich sonst hinter ihre Polizisten stellt, hat das gefährliche | |
| Potenzial der Gewalttat vom Montag erkannt. In einem Kommuniqué erinnert | |
| die Gewerkschaft an die Selbstverständlichkeit, dass Polizisten zu | |
| Hilfeleistungen für Menschen in Not verpflichtet sind. | |
| In Washington spricht die Chefin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, | |
| von einer „Exekution vor laufender Kamera“. Und kurz zuvor macht Trump | |
| tatsächlich den Versuch einer Kehrtwende und demonstriert ein bisschen | |
| Verständnis: Am Donnerstag erklärt er im Weißen Haus zu dem Video, dass er | |
| sich „sehr, sehr schlecht fühle“. Als wären seine Gefühle das Wichtigste. | |
| Aber der Polizist, der das Leben aus George Floyd herausgepresst hat, und | |
| seine drei Komplizen, sind auch am Freitag noch auf freiem Fuß. „Nicht | |
| genug Beweise“, erklärt der Bezirksstaatsanwalt, der ihre Verhaftung | |
| anordnen könnte, bei einer Pressekonferenz. Mike Freeman will sich Zeit für | |
| die Ermittlungen nehmen, „um es richtig zu machen“. | |
| George Floyd hat sein Leben wegen einer Bagatelle verloren. In einem | |
| Lebensmittelladen, der wenige Schritte vom Ort seines Todes entfernt ist, | |
| hat er mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt. Darauf hat die | |
| Kassiererin wie in solchen Fällen üblich die Polizei verständigt. | |
| Entgegen der ursprünglichen Behauptung der Polizei zeigt das Video einer | |
| Überwachungskamera, dass George Floyd keinen Widerstand gegen seine | |
| Festnahme geleistet hat. Der Besitzer des Lebensmittelladens kannte ihn als | |
| einen freundlichen Stammkunden. „Vielleicht wusste er gar nicht, dass der | |
| Schein gefälscht war“, fügt Mahmoud Abumayyaleh hinzu. | |
| Eine weiße Freundin des Toten sagt: „Wir haben einen Engel verloren“. | |
| Philonise Floyd, ein Bruder des Toten, schluchzt vor einer Kamera des | |
| Fernsehsenders CNN, als er über die Randale in Minneapolis sagt: „Natürlich | |
| möchte ich, dass die Leute friedlich bleiben. Aber ich verstehe sie. Sie | |
| sind es satt, dass schwarze Männer getötet werden. Da ist jede Menge | |
| Schmerz“. | |
| In Minneapolis ist die Vizepräsidentin des Gemeinderates eine schwarze | |
| Transgenderfrau. Am Donnerstag singt Andrea Jenkins bei einer | |
| Pressekonferenz „Amazing Grace“. Anschließend verlangt sie, dass der | |
| Rassismus zu einer Frage der öffentlichen Gesundheit erklärt wird. „Solange | |
| wir die Krankheit nicht benennen“, sagt sie, „können wir sie nicht heilen.… | |
| 29 May 2020 | |
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