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# taz.de -- Diskriminierung an Schulen: „Lehrkräfte müssen reflektieren“
> Der zurückgetretene Antidiskriminierungsbeauftragte, Derviş Hızarcı,
> zieht eine ernüchternde Bilanz: An de Strukturen habe er wenig ändern
> können.
taz: Herr Hızarcı, nach nur einem Jahr haben Sie Ihren Job als
Antidiskriminierungsbeauftragter des Senats für Schulen wieder aufgegeben.
Warum?
Derviş Hızarcı: Die Alfred Landecker Stiftung hat mir ein gutes Angebot
gemacht, wo ich als Programmdirektor viel Gestaltungsraum und
Wirkungsmöglichkeiten habe, insbesondere in den Themen Minderheitenschutz,
Bekämpfung von Antisemitismus und Demokratieförderung. Und da ich beim
Senat weniger als gehofft an den Strukturen ändern konnte und mehr mit
Einzelfällen beschäftigt war, habe ich mich für den Wechsel entschieden.
Wie meinen Sie das, Sie konnten wenig an „den Strukturen“ ändern?
Wenn es zu einem Diskriminierungsfall an einer Schule kommt, muss man viel
Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten. Bevor wir uns also eines
Falles überhaupt annehmen können, gibt es lange Diskussionen darüber, was
Diskriminierung ist. Wenn wir aber alle ein Bewusstsein dafür hätten,
könnten wir schneller zur Lösung des Problems kommen. Dafür bedarf es
diskriminierungskritischer Professionalisierungsmaßnahmen für Lehrkräfte
und Schulleitungen sowie für jegliches Verwaltungspersonal der
Bildungsverwaltung, inklusive der Führungskräfte.
Aber solche Schulungen für Schulleitungen und Führungskräfte sollte es doch
geben?
Ja, das ist aber großenteils noch nicht geschehen.
Sie hatten also viel mit Einzelfällen zu tun, wo Lehrkräfte SchülerInnen
diskriminieren und das nicht einsehen?
Ja, richtig. Sehr oft gibt es eine fast reflexhafte Abwehrreaktion.
Nach dem Motto: „Ich bin doch kein Rassist“ oder „Wir sind ‚Schule ohne
Rassismus‘, das gibt es bei uns also nicht“?
So in der Art. Dabei geht es ja nicht darum, Einzelne oder eine ganze
Schule mit einem Rassismusvorwurf an den Pranger zu stellen, sondern darum,
ein Vielfaltsbewusstsein zu schaffen und den Umgang mit Diskriminierung als
selbstverständliche und professionelle Haltung zu vermitteln. Dazu gehört
aber auch, die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen. Lehrkräfte müssen
ihr Verhalten rassismuskritisch reflektieren können. Aber das findet oft
nicht statt, wenn man Teil von einem Fall ist und in die Abwehrhaltung
geht.
Ihre Vorgängerin Saraya Gomis hatte eine Statistik der ihr bekannten Fälle
veröffentlicht, wonach ein Großteil der Diskriminierungen an Schulen von
Erwachsenen ausgeht, LehrerInnen, ErzieherInnen, anderem Schulpersonal. War
das auch Ihre Erfahrung?
Ja. Kinder diskriminieren eigentlich nicht, dazu fehlt ihnen schlicht die
Macht. Sie können sich im Schulalltag beschimpfen, verletzen, das wäre zum
Beispiel Mobbing, was auch ein großes Problem an Schulen ist. Doch hier
kann und muss man pädagogisch arbeiten, man muss auch Schülerinnen und
Schüler in die Verantwortung nehmen. Dafür sind Lehrkräfte da, dafür werden
sie ausgebildet und bezahlt. Ein Großteil der Diskriminierungen, um die es
hier geht, geht von Erwachsenen aus, die in machtvollen Positionen sind,
etwa Lehrkräften. Der Lehrer benotet den Schüler, nicht andersherum, er
kann den Schüler nach Hause schicken – nicht andersherum. Hinzu kommt: Die
Kinder und Jugendlichen sind in einem Lernprozess, ein Lehrer hat einen
anderen Grad an Professionalität, Lebenserfahrung und sozialem Rang. Wenn
von ihm Diskriminierung ausgeht, hat das eine ganz andere Qualität.
Können Sie ein Beispiel sagen?
Ich will so etwas eigentlich nicht reproduzieren, aber um es deutlich zu
machen, muss ich das wohl. Ein Lehrer in einer Grundschule sagt zu seinen
Schülerinnen und Schülern: ‚Aus euch wird sowieso nichts. Und selbst, wenn
ihr Ärzte werden würdet, würde ich mich von euch nie behandeln lassen.‘ Er
glaubt das sagen zu dürfen, weil er die Religion und die Kultur dieser
Kinder verachtet. Viel schlimmer ist jedoch, dass er noch vorher als
Pädagoge auf ganzer Linie versagt.
Und was passiert, wenn Sie mit dem Lehrer reden?
Dann höre ich vielleicht: ‚Sie wollen, dass ich Verständnis zeige für eine
rückständige Religion, die auch noch weltweit für den globalen Terrorismus
verantwortlich ist?‘ Da muss man erst mal schlucken. Aber wir haben ja
grundsätzlich ein großes Problem als Gesellschaft mit dem Umgang mit
Religionen. Hier plädiere ich unbedingt für einen wertschätzenden Umgang
mit Vielfalt, auch religiöser Vielfalt.
Haben Sie deshalb kurz vor Ihrem Weggang öffentlich gemacht, dass Sie in
der Frage von Lehrerinnen mit Kopftuch sprich: des Neutralitätsgesetzes,
nicht der Meinung der Bildungssenatorin sind?
Das hat nichts mit meinem Weggang zu tun, aber ich denke, dass das
Neutralitätsgesetz nicht seinen Zweck erfüllt. Es schafft keine
Neutralität, sondern führt zu einer Ungleichbehandlung und das ist
Diskriminierung. Ich glaube nicht, dass religiöse Symbole gefährlich für
den Schulfrieden sind. Und zu dem Lehrer in meinem Beispiel: In gewisser
Weise kann ich ihn sogar verstehen. Er ist geprägt von einem einseitigen
negativen Blick, der auch in der Gesellschaft stark verbreitet ist.
Nichtsdestotrotz ist das Diskriminierung und hier sollte man
dienstrechtlich vorgehen.
Wie viel Fälle hatten Sie insgesamt in dem einen Jahr auf dem Tisch?
Es gab insgesamt mehr als 300 Meldungen, davon waren 150 Fälle, in denen
Diskriminierung vom Lehrpersonal ausging. Solche Zahlen haben aber nur
begrenzte Aussagekraft: In vielen Fällen wird eine Diskriminierung ja gar
nicht angezeigt, weil man sich nicht traut, weil man befürchtet, dadurch
weitere Nachteile zu haben. Es muss eine Dunkelfeldforschung betrieben
werden, um das ganze Ausmaß des Problems zu erfassen. Andererseits sagen
die Zahlen auch nichts über die große Zahl von Lehrkräften aus, die
sensibel bei dem Thema sind und Diversität fördern. Viele Lehrkräfte
wandten sich auch an mich, um proaktiv an ihren Schulen etwas zum Thema
Vielfalt und gegen Rassismus zu tun. Es gibt an Schulen durchaus ein großes
Potenzial, das Thema anzupacken. Diese Lehrerinnen und Lehrer müssen wir
stärken und unterstützen.
Hätten Sie für die anderen Fälle, die Uneinsichtigen, mehr Befugnisse
gebraucht?
Ich glaube, an einem längeren Entwicklungsprozess führt kein Weg vorbei.
Ein festes Reglement und Befugnisse für den oder die Beauftragte, was zu
tun ist, wenn zum Beispiel Lehrkräfte nicht bereit sind, ihre
diskriminierende Praxis zu ändern, ist zwar zwingend notwendig, aber wir
müssen uns klar werden, dass das nicht die Ausgangslage, sondern das Ziel
unserer Arbeit ist. Ansonsten haben wir das Grundgesetz als stärkste
Handhabe, die die Menschenwürde schützt, ebenso wie das Recht auf freie
Religionsausübung. Und das Schulgesetz …
Aber da steht nicht drin, was passiert, wen einem Kind diese Rechte
verwehrt werden …
Genau, das muss weiter konkretisiert werden. Das Schulgesetz ist da
eindeutig: Wir verpflichten uns, Kindern und Jugendlichen eine
diskriminierungsfreie Bildung zu ermöglichen und sie vor Diskriminierung zu
schützen.
Hätten Sie mehr Unterstützung von der Hausleitung, sprich: Schulsenatorin
Sandra Scheeres (SPD), gebraucht?
Ich hätte mir gewünscht, dass man sich mehr auf dieses Thema einlässt. Als
zum Beispiel die Coronakrise aufpoppte, hätte man sagen können: Herr
Hızarcı, nehmen Sie doch bitte teil an unseren Krisengesprächen und denken
Sie mit, was wir in puncto Antidiskriminierung beachten müssen.
Sie meinen wegen Kindern, die beim Homeschooling wegen fehlender Computer
oder zu geringer Sprachkenntnisse der Eltern benachteiligt sind?
Ja, das hätte man als Haus von Beginn an stärker mitdenken müssen. Aber
Corona war für alle eine große Herausforderung.
Liegt es vielleicht auch daran, dass die Schulverwaltung samt ihrer Spitze
weiß-deutsch ist? Während Sie wie auch Ihre Vorgängerin Saraya Gomis als
Nicht-Weiße die Dringlichkeit des Themas ganz anders spüren?
Das kann gut sein. Natürlich haben wir beide unser ganzes Leben lang andere
Erfahrungen gemacht als weiße Deutsche und wissen daher, wie Familien unter
Diskriminierung leiden und wie existenziell wichtig es ist, sie zu
bekämpfen. Aber dieser Kampf ist nur zu gewinnen, wenn die Mehrheit der
weißen Deutschen mitzieht. Ich will auch nicht dem sprichwörtlichen „weißen
Mann“ die Schuld geben, damit ist nichts gewonnen. Ich möchte, dass er
begreift, dass er eine sehr dominante Rolle spielt in diesem Spiel. Und
dass er sagt, o. k., ich muss etwas verändern. Bis das passiert, muss noch
viel passieren! Ich befürchte, wir von den nicht-weißen Communities müssen
uns drauf einstellen, dass dieser Prozess noch dauern wird.
Wie sollte es mit ihrer Ex-Stelle weitergehen? Die Grünen fordern jetzt,
dass der oder die Beauftragte behördenunabhängig wird und zum Beispiel beim
künftigen Bürgerbeauftragten angesiedelt wird. Wäre das eine Idee?
Man müsste evaluieren, was die Stelle des oder der
Antidiskriminierungsbeauftragten, die es nun vier Jahre gibt, bislang
gebracht hat. Welche Wirkung hat diese Struktur bisher entfalten können,
welcher Erweiterungen bedarf es noch? Den Vorschlag der Grünen habe ich
schon vorher unterstützt und tue das jetzt mehr denn je: Diskriminierung
findet man nicht nur in Schulen, sondern überall. Diese Stelle bei der
Bildungsverwaltung ist wichtig und gut, es ist aber an der Zeit, größer zu
denken. Warum nicht schon heute?
22 Sep 2020
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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