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# taz.de -- Warteschlangen vorm Ausländeramt: Anstellen nachts um 4 Uhr
> Die Ausländerbehörde in Hannover hat einen enormen Bearbeitungsrückstand.
> Leidtragende sind die Migrant:innen, die dringend Papiere brauchen.
Bild: Auch wenn die Dokumente abgelaufen sind, ist es schwierig, einen Termin z…
Hannover taz | Die ersten kommen zwischen 4 und 5 Uhr morgens. Wenn sich um
8 Uhr dann die Türen der Ausländerbehörde in Hannover öffnen und die drei
Männer vom Sicherheitsdienst mit den kostbaren Terminzetteln herauskommen,
reicht die Schlange fast immer schon einmal um die Ecke, am Schützenplatz
entlang, die Straße runter.
Schätzungsweise 200 Leute sind es an diesem Montagmorgen. Aber nur die
ersten 90 werden noch einen „Spontan-Termin“ abbekommen und dürfen dann
mit einem Zettel in der Hand weiter warten.
Einer, der darauf hofft, ist Jarwed A.: „Eigentlich sollte ich heute
anfangen zu arbeiten. Auf der Baustelle“, sagt der junge Mann, der
ursprünglich aus Afghanistan stammt und seinen vollen Namen nicht in der
Zeitung lesen möchte. Leider fehle ihm noch die erforderliche
Arbeitserlaubnis, erzählt er. Seit fast einem Monat bemühe er sich, die zu
bekommen.
Er habe E-Mails geschrieben, auf die nicht mehr als eine automatische
Antwort mit der Bitte um Geduld gekommen sei. Er habe versucht anzurufen,
sei aber nicht durchgekommen. Nun stehe er schon zum dritten Mal hier – und
hat wieder kein Glück. Er weiß noch nicht, wie er das dem neuen Chef sagen
soll, sagt er. Dem habe er bis jetzt nur etwas von „dringenden
Behördengängen“ geschrieben.
## Das Problem ist seit Wochen bekannt
Doch während Jarwed A. das Ganze noch relativ gelassen nimmt, sind andere
schlicht verzweifelt. „Ich kann nichts machen, ohne Papiere“, sagt eine
Frau, die auch anonym bleiben möchte. „Kein Geld, kein Deutschkurs, kein
gar nichts.“
Das prangern auch die Flüchtlingsinitiativen an, die einen offenen Brief an
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) verfasst haben. Dem dürfte das Problem
allerdings längst bekannt sein. Schon Anfang September berichtete die
Hannoversche Allgemeine Zeitung zum ersten Mal von den Problemen bei der
Ausländerbehörde – und auch von tumultartigen Szenen in den frühen
Morgenstunden.
Deshalb schickt die Stadt jetzt gleich drei Männer in den dunklen Uniformen
des Ordnungsdienstes vor die Tür, um die Warteplätze zu vergeben. Die
teilen erst die Nummern aus und stehen dann noch eine halbe Stunde auf dem
Gehweg in einer Traube von Menschen, die leer ausgegangen sind.
Viele bestürmen sie mit Fragen, versuchen zu erklären, wie dringend ihr
Anliegen ist, halten den Männern Zettel unter die Nase, Anschreiben, die
sie nicht verstanden haben, Duldungen, die abgelaufen sind. „Es tut uns
leid“, sagen die Uniformierten wieder und wieder. „Versuchen Sie es morgen
wieder. Oder Mittwoch, mittwochs ist weniger los.“
Mehr als um Verständnis zu werben und dafür zu sorgen, dass die Lage nicht
eskaliert, können sie allerdings nicht. „Die Behörde war drei Monate
geschlossen wegen Corona. Da sind 3.600 Termine ausgefallen. Die müssen
jetzt alle nachgeholt werden“, sagt einer und hebt beschwörend die Hände.
„Die Jungs und Mädels tun was sie können, glauben Sie mir das.“
Von einem Berg aus 5.000 unbeantworteten E-Mails spricht sein Kollege.
„Besser anrufen“, sagt er und dass die Wartenden protestieren, weil sie das
natürlich alle längst vergeblich versucht haben: „Ja, ja, ich weiß, das ist
die Hölle.“
Bei den Bürgerämtern oder der KfZ-Zulassungsstelle kann man online Termine
buchen – und hat dann zumindest eine Terminbestätigung, die man vorzeigen
kann. Bei der Ausländerbehörde geht das nicht. „Der Kalender wurde während
des Corona-Lockdowns außer Funktion genommen, da keine Termine zu vergeben
waren“, sagt Stadtsprecher Udo Möller auf taz-Anfrage. Auch jetzt seien die
Kapazitäten zu begrenzt.
## Für den Bereich Personal zu bekommen ist nicht einfach
Eine pauschale Verlängerung von Duldungen, Aufenthalts- und
Arbeitsgenehmigungen, wie sie einige Flüchtlingsorganisationen fordern,
könne die Stadt Hannover aber auch nicht im Alleingang beschließen, sagt
Möller. Dazu bräuchte es bundesweite Regelungen.
Möller weist vor allem die These zurück, die Stadtverwaltung würde hier
menschenunwürdige Zustände dulden oder in Kauf nehmen. Die Problemlage sei
allen bewusst und bekannt, sagt er. Und man versuche ständig, die
Erreichbarkeit zu verbessern und die Kapazitäten zu erhöhen. Unter anderem
seien vier ehemalige Mitarbeiter:innen in den Bereich zurückgeholt worden.
## Ähnliche Probleme auch ohne Corona
Weil die Materie so komplex ist, kann man aber auch nicht mal eben
Verwaltungsmitarbeiter:innen aus anderen Bereichen abziehen und hier
einsetzen, die Einarbeitung dauert Wochen, wenn nicht Monate.
Ab November solle es „Einlasskorridore“ nach vorheriger Anmeldung geben, um
die endlos langen Warteschlangen einzudämmen, sagt Möller. Auch dafür
braucht es allerdings erst einmal eine EDV-Lösung und zusätzliches
Personal.
Zehn Stellen habe die Behörde ausgeschrieben, erst zwei haben besetzt
werden können. Der Bereich zählt nicht zu den begehrtesten
Verwaltungsstellen, gilt als schwierig und stressig. Auch ohne Corona ist
er deshalb störanfällig, in den vergangenen Jahren ist es auch in anderen
Städten immer wieder zu ähnlichen Problemen gekommen.
24 Sep 2020
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Aufenthaltsrecht
Ausländerbehörde
Niedersachsen
Hannover
Geflüchtete
Bürokratie
Flüchtlinge
Ausländerbehörde
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