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# taz.de -- Denkmal für Wehrmacht-Soldaten: Warum Verbrecher ehren?
> Ein Gericht soll entscheiden, was mit dem Lüneburger Denkmal für die 110.
> Infanterie-Division der Wehrmacht passieren soll. Die Antwort: Weg damit!
Bild: Sichtbar unbeliebt: Der mit Beton beschmierte Wehrmacht-Gedenkstein in L�…
Nehmen wir an, ein paar ehemalige Offiziere haben Ende der 1950er-Jahre die
hübsche Idee, einen Gedenkstein für die gefallenen Soldaten einer
Wehrmachtseinheit aufzustellen. Nehmen wir an, genau diese Einheit war
daran beteiligt, im Jahre 1944 in Weißrussland 50.000 Menschen,
hauptsächlich Frauen, Kinder und alte Menschen, mitten im Winter in das
Konzentrationslager Osaritschi zu verschleppen, sie dort ungeschützt der
Kälte zu überlassen, Fliehende zu erschießen und rings um das Lager Minen
auszulegen.
Nehmen wir an, neun- bis zwanzigtausend Menschen sind in diesem Lager
gestorben. „Super Idee, diese Männer müssen geehrt werden“, denkt sich der
Oberbürgermeister, der auch ordentliches Mitglied der sogenannten
„Deutschen Partei“ ist, von der ein Teil der Mitglieder es sich bald in der
NPD gemütlich macht.
Nehmen wir das alles gar nicht an, denn: Es ist wahr. Das Denkmal wird
aufgestellt, in Lüneburg – genau gegenüber dem Gebäude, in dem 2017 ein
berühmter [1][Prozess gegen einen gewissen Oskar Gröning] stattgefunden
hat. Oskar Gröning war Unterscharführer in Auschwitz und stand wegen
Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen in jenem Haus vor Gericht. Zum Prozess
reisen auch Angehörige der in Auschwitz Ermordeten an, und was müssen sie
da im grünen, deutschen Laub erblicken? Ein „Denkmal für die Täter“, so
drücken sie es aus, eine „Demütigung“, sagen sie.
Oskar Gröning entging seiner Strafe durch natürlichen Tod. [2][Das Denkmal
steht] (und ehrt) bis heute. Die Angehörigen schrieben deshalb einen Brief
an den aktuellen Oberbürgermeister, der Mitglied der SPD ist. Er antwortete
flott: Er freue sich, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit
auseinandersetzten, aber die Sache mit dem Stein werde man im Herbst
klären. Wie meint er das? Schön, dass ihr euch mit dieser Holocaust-Sache
auseinandersetzt? Finde ich auch: Dufte Sache, dass die sich da so
reinknien.
Soweit die gute, alte Zeit. Nun soll also [3][vor Gericht] entschieden
werden, was mit dem Stein geschieht, denn so ein Stein ist ein wichtiges,
historisches Zeitzeugnis, das uns daran erinnert, dass 1952–1954 und
1955–1958 in Lüneburg ein Rechtsradikaler in freundschaftlicher
Übereinkunft mit ehemaligen Wehrmachtsoffizieren in der Stadt
Entscheidungen traf.
Aber leider steht das alles nicht auf dem Stein. Sondern: „Es sage keiner,
dass unsere Gefallenen tot sind“, in moderner Rechtschreibung, denn es gab
schon damals kein großes ß. Was soll dieser Satz uns sagen? Wenn die
Gefallenen nicht tot sind, wie können sie dann „gefallen“ sein? Und wenn
man nicht sagen dürfen soll, dass sie tot sind, wie soll dann jemand um sie
trauern können? Aber ich ahne, dass die ganze hohe Bedeutung dieses
Spruches ist: In unseren Herzen leben sie weiter. Das steht auf vielen
Grabsteinen auf vielen Friedhöfen.
Jetzt ist natürlich nicht jeder deutsche Soldat, der ja meist gar nicht
freiwillig Soldat geworden ist, schuld an jedem einzelnen Verbrechen, das
die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begangen hat. Manch ein Soldat ist
nichts mehr als ein armer Mensch gewesen, verbraucht in einem Krieg, der
gar nicht nach seinem Sinn war. Wie sich diese Aussage auf so viele
Soldaten in allen Kriegen anwenden lässt: Da haben wir die, die Befehle
gegeben und Verbrechen ganz auf eigene Verantwortung sich erst ausgedacht
haben. Und die, die einfach nur die Befehle befolgt und dem dann vielleicht
mehr oder weniger eigene Grausamkeit hinzugefügt haben. So ist das halt im
Krieg, da stumpft der Mensch ab, das lässt sich gar nicht vermeiden.
Warum soll man jetzt aber sowohl die einen, die reinen Verbrecher, als auch
die anderen, die unglücklich Mittuenden, ehren, und wofür? Für das
unglückliche Mittun? Für die Verbrechen? Ich las in den Kommentaren, nicht
von 1960, sondern von heute, dass es um die Ehrung von Soldaten ginge, die
für „unser Volk“ kämpften. Was hatte „unser Volk“ denn für gerechtfe…
Interessen in Weißrussland zu vertreten? Wozu brauchen wir so ein Denkmal?
Wozu die Ehre? Wem soll es nützen? Weg damit!
16 Sep 2020
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## AUTOREN
Katrin Seddig
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