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# taz.de -- Regisseur über Serie „We Are Who We Are“: „Universelle Ident…
> Regisseur Luca Guadagnino kennt man für den schwulen Coming-of-Age-Film
> „Call Me By Your Name“. Nun läuft seine Serie über adoleszente Suche an.
Bild: Zunächst verbindet die Menschen nichts außer, dass sie in einer US-Mili…
taz: Herr Guadagnino, man kennt Sie für Kinofilme wie „Call Me By Your
Name“ oder „Suspiria“, gerade feiert in Venedig Ihr Dokumentarfilm über
[1][den Schuhdesigner Salvatore Ferragamo] Premiere. Mit „We Are Who We
Are“ haben Sie nun allerdings erstmals eine Fernsehserie gedreht, die im
US-Fernsehsender HBO startet. Fühlte sich das an wie etwas ganz Neues?
Luca Guadagnino: Ich habe dieses Projekt keine Sekunde lang wie eine Serie
behandelt. Wir waren ja auch weit von der üblichen TV-Herangehensweise
entfernt, wo die Folgen von mehrere Regisseuren inszeniert werden. Hier lag
alles ausschließlich in meiner Hand. Deswegen habe ich nicht anders
gearbeitet, als ich es bei einem Film getan hätte. Unser Drehplan war kein
bisschen chronologisch; auf eine Szene aus der ersten Episode konnte eine
aus der dritten oder vierten folgen.
Warum haben Sie diese Geschichte dann nicht als Kinofilm erzählt?
Mir wurde das Projekt schon in Serienform angeboten. Der Produzent Lorenzo
Mieli klopfte mit der Idee zweier Drehbuchautor*innen bei mir an und
fragte, ob ich nicht Lust hätte, eine Serie über Jugendliche und fluide
Identitäten in einem US-amerikanischen Vorort zu drehen. Letzterer Aspekt
interessierte mich nicht, aber ich schlug vor, stattdessen den Mikrokosmos
einer Militärbasis unter die Lupe zu nehmen. Davon ausgehend habe ich dann
zusammen mit Francesca Manieri und Paolo Giordano die Drehbücher
geschrieben.
Im Zentrum der Serie stehen der 14-jährige Fraser und die etwa
gleichaltrige Caitlin. Mit Teenagern auf Identitätssuche beschäftigen Sie
sich nicht das erste Mal.
Moment, ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, „We Are Who We
Are“ sei eine Serie über Teenager. Vielmehr geht es hier um zwei Familien
und deren Umfeld. Eltern, Jugendliche, junge Erwachsene. Zwei sehr
spezifische und unterschiedliche Familien noch dazu: eine bestehend aus
zwei Ehefrauen und dem Sohn der einen, die andere eine afroamerikanische
Familie, der Vater ein schwarzer Amerikaner, die Mutter Nigerianerin. Die
Spannung lag für mich konkret in diesen Konstellationen, zu der auch
Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen gehören. Und darin, dass diese
Personen auf den ersten Blick nichts verbindet außer der Tatsache, dass sie
in dieser seltsamen Welt leben, [2][einer US-Militärbasis mitten in
Italien].
Sie werden trotzdem zustimmen, dass gerade die Kids und ihr Alltag hier im
Vordergrund stehen.
Dass Spannende an Teenagern ist einfach, dass ihr Dasein noch kein bisschen
definiert ist. Die eigene Identität befindet sich in einem konstanten
Stadium der Mutation, körperlich genauso wie innerlich. Und man muss
irgendwie mit einer Welt kommunizieren, die einen nicht versteht: weder die
Erwachsenen, die vergessen haben, was man als junger Mensch durchmacht,
noch die Gleichaltrigen, die zwar in der gleichen Situation stecken, aber
trotzdem ganz individuelle Erfahrungen machen. Die Subjektivität
jugendlicher Veränderungserfahrungen ist einfach so interessant wie wenig
andere Lebensphasen.
Glauben Sie, dass das Erwachsenwerden heute noch der gleiche Prozess ist
wie in Ihrer Jugend?
Ja, sicher. Wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke, oder daran, wie
meine Schwester sich mit 16 Jahren den Kopf rasiert hat – das könnten Kids
heute genauso nachvollziehen. Natürlich hat sich die Gesellschaft
verändert, Werte und Moralvorstellungen sind heute andere. Aber der Prozess
der Identitätsfindung an sich ist gewiss ein universeller.
All die popkulturellen Referenzen in „We Are Who We Are“ – von der Musik
von Blood Orange über Klaus-Nomi-Poster bis hin zu den Gedichten von Ocean
Vuong – lassen doch sicherlich Rückschlüsse auf Ihren persönlichen
Geschmack zu, oder?
Nein, ich präsentiere mich nie selbst vor der Kamera, auch nicht auf diese
Weise. Ich denke immer nur an die Figuren, mich in sie hinein. So toll ich
Ocean Vuong als Dichter und Schriftsteller finde, so sehr ist das in diesem
Fall doch eher der Geschmack meines Protagonisten Fraser als mein eigener.
Ich hatte ein sehr klares Bild von diesem jungen Kerl, der gleichzeitig
ganz versunken ist in der neusten Gegenwartskultur, aber gleichzeitig auch
Joan Didion liest und – wie Poster von Klaus Nomi oder „Blue Velvet“ in
seinem Zimmer zeigen – einen Bezug zur Vergangenheit hat.
Die authentische Nähe, die Sie zu Ihren Protagonist*innen haben, erstreckt
sich auch auf die intimeren Momente und Szenen, auf alles, was mit
Nacktheit und Sexualität zu tun hat. Griffen Sie dafür, wie es jüngst bei
Serien wie „Sex Education“ oder „Normal People“ üblich war, auf die Hi…
eines sogenannten Intimitätskoordinatoren zurück?
Nein, warum sollte ich?
Viele Ihrer Kolleg*innen und nicht zuletzt junge Schauspieler*innen finden
es offensichtlich hilfreich, wenn jemand darauf achtet, dass gewisse
Grenzen nicht überschritten werden und sich alle wohlfühlen.
Vermutlich macht ein Intimitätskoordinator Sinn, wenn es um Fragen der
Haftung und Verantwortlichkeit geht. So wie es Stuntkoordinatoren gibt,
Sicherheitsbeauftragte oder jemanden, der sich um die Tiere am Set kümmert.
Also eine Person, die im Zweifelsfall gegenüber dem Konzern im Hintergrund
oder deren Versicherung Aussagen treffen kann über die Regeln und Zustände
am Set – und die verantwortlich ist, wenn etwas schiefläuft. Die jegliche
Form von Unklarheiten und Grauzonen ausräumt, die ja in der Tat ein
Arbeitsklima komplett vergiften können.
Warum wollen Sie so jemanden nicht engagieren?
Bei meinen Arbeiten habe ich die Notwendigkeit bislang nicht gesehen. Ich
selbst sorge dafür, dass gar nicht erst Grauzonen entstehen. Von Anfang an
bin ich jemand gewesen, der sehr eng und vertraut mit seinen
Schauspieler*innen arbeitet. Ich nehme sie immer ernst und behandle sie als
mündige Menschen. Offenheit, Sorgfalt und Respekt sind das A und O an
meinen Sets, da herrscht immer eine Arbeitsatmosphäre, in der jeder alles
aussprechen kann und man sich auf Augenhöhe begegnet. Ich wüsste gar nicht,
was ein Intimitätskoordinator bei mir noch zu tun hätte.
In den vergangenen Monaten wurden gleich mehrere neue Projekte bekannt, an
denen Sie arbeiten, darunter Remakes von „Scarface“ und „Der Herr der
Fliegen“ sowie ein Film über den Hollywood-Zuhälter Scotty Bowers. Arbeiten
Sie an all diesen Filmen gleichzeitig?
Keines dieser Projekte habe ich selbst offiziell bestätigt. Wenn es nach
mir ginge, gäbe es diese Branchenmeldungen nicht. In der Tat sind das alles
Optionen, die ich habe, und es ist alltäglich für Filmemacher*innen,
mehrere Projekte gleichzeitig zu haben. Allerdings ist es müßig, sie
laufend zu kommentieren, denn ob und wann welche tatsächlich realisiert
werden, liegt nicht in meiner Hand. Aber solange ich nicht drehe, kann ich
sehr gut meine Aufmerksamkeit auf verschiedene Projekte verteilen. Und
solange nicht das Gegenteil feststeht, gehe ich auch bei allen davon aus,
dass sie irgendwann umgesetzt werden.
Gehört dazu auch noch die mit Spannung erwartete [3][Fortsetzung von „Call
Me By Your Name“]?
Das Wort Fortsetzung können Sie gleich streichen. Wie ich schon sehr oft
gesagt habe, liebe ich diese Figuren und ich liebe ihre Darsteller*innen
und würde mich freuen, sie zurückkehren zu lassen. Aber ohne ein zweites
Mal auf die gleiche Hülle zurückzugreifen. Mir schwebt so etwas vor, wie es
François Truffaut mit seinem Protagonisten Antoine Doinel gemacht hat. Der
kam nach „Sie küssten und sie schlugen ihn“ in weiteren Filmen vor, aber
das waren keine Sequels, sondern es wurde der Antoine-Doinel-Zyklus daraus.
Vielleicht wird es eines Tages von mir den
Oliver-Elio-Samuel-Annella-Zyklus geben. Warten wir’s ab.
14 Sep 2020
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## AUTOREN
Patrick Heidmann
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