# taz.de -- Wald der Zukunft: Tanz der Glühwürmchen | |
> Der Nationalpark Thayatal ist der kleinste in Österreich und der | |
> versteckteste. Hier wird nicht nur bewahrt, sondern auch experimentiert. | |
Bild: Paradies für Glühwürmchen und Menschen: der Nationalpark Thayatal, Nie… | |
Ja, was hatten wir eigentlich erwartet? Fledermäuse vielleicht wie die | |
Kleinen Hufeisennasen, die wir eben im Bergfried der Ruine Kaja hoch über | |
dem Thayatal, wo die Nachtwanderung losging, versehentlich gestört haben. | |
Einen Siebenschläfer, wie er Ranger Bernhard Schedlmayer kurz vorher über | |
den Weg gelaufen sein soll. Oder sogar eine der so seltenen europäischen | |
Wildkatzen, die in Österreich längst als ausgestorben galten, als sie vor | |
einigen Jahren hier im Nationalpark wieder gesichtet wurden. | |
Aber was uns plötzlich in der Dämmerung zwischen den Bäumen umgibt, ist | |
ganz besonders zauberhaft. Erst ist es nur ein kleiner Lichtpunkt, wie ein | |
schimmernder Reflex auf einem Wassertropfen. Dann kommt ein zweiter, ein | |
dritter dazu, ein Dutzend, plötzlich überall gelbes, hellgrünes Funkeln. | |
Hunderte, vielleicht Tausende von Glühwürmchen geben sich hier am Ufer des | |
leise vor sich hinplätschernden Kajabaches ihr letztes Stelldichein und | |
tanzen den Tanz ihres Lebens. | |
Zwar können die Würmchen, die eigentlich Käfer sind, auch als Eier und | |
Larven qua Bioluminiszenz ein leises Leuchten erzeugen, aber erst wenn sie | |
sich in ihren letzten Tagen auf Partnersuche begeben, um sich | |
fortzupflanzen, strahlen sie so richtig hell und verwandeln ihre Umgebung | |
in eine Märchenwelt. | |
Im Thayatal finden Glühwürmchen ideale Bedingungen vor. Bedingungen, die es | |
anderswo immer seltener gibt. Feuchte Wiesen und Laubwälder etwa, ein | |
naturbelassenes Bach- und Flussufer, organische, kaum von künstlichem Licht | |
verschmutzte Dunkelheit, in der sich männliche und weibliche Käfer auch | |
finden können. | |
## Die unglaubliche Vielfalt | |
Zwei Dinge seien für den mit 1.360 Hektar kleinsten österreichischen | |
Nationalpark charakteristisch, sagt Schedlmayer. „Die vielfältigen | |
Wiesenformen und der Schluchtenwald.“ Dem schlaksigen Ranger, der stets | |
alle Sinne zugleich eingeschaltet zu haben scheint, sieht man nicht an, | |
dass er in grauer Vorzeit mal als Jungmanager in der Wirtschaft unterwegs | |
war. | |
Nun zeigt er den Besucher*innen des Nationalparks Thayatal die | |
unglaubliche Vielfalt. Von den 2.950 Pflanzenarten, die bislang in ganz | |
Österreich bestimmt werden konnten, kommen mindestens 1.290 im Thayatal | |
vor. Ähnliches gilt für Insekten, Vögel oder Säugetiere. | |
Und für Flusskrebse. Unter der nächsten Brücke streckt ein einzelner | |
Edelkrebs im Kajabach im Licht der Taschenlampe seine von unten rot | |
gefärbten Scheren aus. Früher seien die Flüsse in Niederösterreich voll mit | |
diesen Gliederfüßern gewesen, sagt Schedlmayer. Heute gehört der Edelkrebs | |
zu den stark gefährdeten Arten und hat hier im nördlichen Waldviertel einen | |
seiner letzten Rückzugsorte gefunden. | |
„Miteinander gehen und sich überraschen lassen“, so lautet die Philosophie | |
Schedlmayers. Die vielen kleinen Entdeckungen lassen fast vergessen, dass | |
[1][der Hauptdarsteller des Nationalparks Thayatal eigentlich der Wald | |
ist]. 92 Prozent der Fläche sind mit Bäumen bewachsen, die wenigen Lücken | |
werden von Fett- und Feuchtwiesen, von Heide und Trockenrasen genutzt, die | |
größtenteils durch früher dort weidende Schafe und Ziegen entstanden sind | |
und nun zu den wichtigsten Hotspots der Biodiversität überhaupt zählen. | |
Auch der Wald ist keineswegs eintönig. Entlang der gewundenen Schleifen der | |
Thaya ändert sich das Landschaftsbild ständig. Dass die Natur so reizvoll | |
ist, liegt auch daran, dass hier zwei Klimazonen aufeinandertreffen. Der | |
Westen ist vom kontinental kühlen Klima bestimmt, das Rotbuchen, Bergahorn, | |
Eiben und sogar Bergulmen mögen. Im östlichen, durch das trockene und warme | |
pannonische Klima geprägten Teil, sind Eichen- und Hainbuchenwälder zu | |
finden. | |
[2][„Die Kernidee besteht darin, Natur Natur sein zu lassen]“, sagt | |
Nationalparkdirektor Christian Übl. In den Anfängen des Schutzgebiets galt | |
das allerdings nicht so ganz. Denn zunächst gab es hier trotz der für die | |
Forstwirtschaft schwierigen Hanglagen keineswegs nur Primärwald. Wie in | |
vielen anderen Regionen hatten die Waldbesitzer*innen lange auf schnell | |
wachsende Nadelhölzer wie Fichten, Douglasien, Lärchen oder Kiefer gesetzt. | |
„Alles eingebrachte, ortsfremde Baumarten, die gar nicht an das hiesige | |
Klima angepasst sind“, sagt Übl. | |
## Wichtige Lebensräume | |
Auch die forstwirtschaftliche Nutzung selbst hat die Entwicklung behindert. | |
Bäume, deren Holz genutzt werden soll, werden geschlagen, sobald sie nicht | |
mehr wachsen, also nach 20, 30 Jahren. „Dem Wald fehlten zwei Drittel des | |
Lebenszyklus der Bäume“, sagt Übl. Denn auch die gewaltigen Kronen älterer | |
und das Totholz sterbender Bäume sind wichtige Lebensräume für Flechten, | |
Pilze und Tiere. | |
Ein bisschen Vorlauf hatte die Natur schon, bevor der Canyon unter Schutz | |
gestellt wurde. Weil hier bis 1989 die Systemgrenze verlief, war das Gebiet | |
gut vier Jahrzehnte gesperrt gewesen und durfte nur am Rande | |
landwirtschaftlich genutzt werden. „Im Prinzip hat das die Nationalparkidee | |
schon vorweggenommen“, sagt Übl. Die österreichischen | |
Naturschützer*innen konnten ebenso darauf aufbauen wie die Kolleg*innen | |
auf der tschechischen Seite, deren Národní park Podyjí am linken Ufer der | |
Thaya nicht nur fast fünfmal größer ist, sondern auch schon neun Jahre | |
früher gegründet wurde. | |
Obwohl beide Verwaltungen zusammenarbeiten und letztlich auch die gleichen | |
Ziele verfolgen, seien die Wege erstaunlich unterschiedlich, sagt Übl. Auf | |
beiden Seiten habe man damit begonnen, die naturfremden Nadelbäume aus dem | |
Wald zu holen, „aber die Tschechen haben danach den ganzen Wald | |
kartografiert und aktiv die Bäume gepflanzt, von denen sie glaubten, dass | |
sie dort hingehören, damit es schneller geht“. Jetzt wird auch klar, was | |
Ökologe Thomas Wrbka mit dem „Konzept für den Wald“ gemeint hat: Im | |
Nationalpark Thayatal lässt man der Natur Zeit, sich selbst zu entwickeln, | |
und wartet ab, was sich in den Lücken durchsetzt. | |
Das derzeit vielleicht spannendste Projekt beschäftigt sich mit dem | |
Klimawandel. Weltweit sind sich Forstexpert*innen und | |
Waldbesitzer*innen einig, dass der Wald umgebaut werden muss, wenn er | |
die Folgen der globalen Erwärmung meistern soll. | |
## Welche Arten kommen durch | |
Aber was genau muss passieren, [3][wie sieht der Wald der Zukunft aus], | |
welche Bäume können steigenden Temperaturen, Extremwetter und neuen | |
Schädlingen trotzen? Das wird an vielen Stellen untersucht. Die einen | |
setzen auf Arten aus jetzt schon trockeneren Gebieten, andere auf | |
prinzipiell tief wurzelnde Bäume, oft ist es eine Mischung aus Laub- und | |
Nadelhölzern. | |
Im Thayatal hat man in Kooperation mit dem Bundesforschungszentrum Wald und | |
der Universität für Bodenkultur herausgefunden, dass die dort beheimatete | |
Traubeneiche besonders gut an heiße und trockene Umweltbedingungen | |
angepasst ist. Sie wächst hier auf ungeschützt der Sonne ausgesetzten | |
steilen Hängen, wo sie einiges auszuhalten hat. | |
Übl legt die Hand an den Stamm eines mächtigen Baumes. „Diese Eiche hat | |
viel erlebt“, sagt er und zählt auf: 1956 minus 26 Grad und 25 Tage | |
geschlossene Eisdecke, ein Jahr später 39 Grad plus, 1978 nur 290 | |
Milliliter Niederschlag, 2006 Hochwasser und Starkregen. „2014 lagerte sich | |
Eis so schwer an den Ästen an, dass viele Bäume umstürzten – die jetzt noch | |
da sind, waren erfolgreich“, schließt Übl. | |
Dieser Baum steht noch und trägt deshalb nun eine weiße Kordel. Insgesamt | |
400 freistehende große Traubeneichen haben die Botaniker*innen so markiert | |
und ihnen dünne Bohrkerne entnommen. Analysen sollen zeigen, welche 100 von | |
ihnen die extremen Bedingungen am allerbesten weggesteckt haben. Ihre | |
Eicheln sollen gesammelt und als Pflanzgut für die österreichische | |
Forstwirtschaft verwendet werden. Die Ergebnisse werden wir nicht mehr | |
erleben, was aus den Setzlingen wird und wie sie den Wald verändern, wird | |
man vermutlich erst in 100 Jahren sehen. | |
Die Veränderungen, die in den letzten 20 Jahren im Thayatal stattgefunden | |
haben, sind dagegen im Kleinen schon sehr deutlich. Auf wenigen | |
Quadratmetern zeigt Übl auf junge Triebe: eine Haselnuss, eine | |
Cornelkirsche, Spindelkraut, ein Ahorn. „Die Arten kommen durch, die an den | |
Standort am besten angepasst sind.“ | |
Welche das sind, zeigt sich beim Blick von der Burgruine Kaja, in der die | |
Fledermäuse wochentags ungestört von Besucher*innen abhängen dürfen: | |
viel Laub, verschiedene helle Grüntöne, dazwischen bunte Wiesenflecken. | |
„Von 120 Hektar naturfremden Hölzern sind jetzt noch 4 Hektar übrig“, sagt | |
Übl. Und die will das Nationalparkteam bis 2030 auch noch in den Griff | |
bekommen haben. | |
Die Recherche vor Ort wurde von Nationalpark Austria unterstützt | |
5 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Waldschaeden-im-Harz/!5702305&s=Nationalpark/ | |
[2] /Die-Welt-nach-den-Menschen/!5681086&s=Nationalpark/ | |
[3] /Klima-Verguetung-fuer-Waldbesitzer/!5704052&s=wald/ | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
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