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# taz.de -- Ein Feldversuch am Neusiedler See: Bewehrte Spione der Wildnis
> Vogelbeobachtung am Neusiedler See. Die Birder sind fast alle mit
> Ferngläsern, Spektiven oder großkalibrigen Teleobjektiven bewehrt.
Bild: Wer beäugt hier wen: Eine Sumpfohreule
Mein lieber Schwan! Wie diese Großtrappen sich beim Liebesspiel
verausgaben. Mit allem, was sie haben, machen die Hähne den Hennen den Hof.
Und das ist ziemlich viel; ein kapitales Exemplar kann sechzehn Kilo
wiegen. Großtrappen sind die Vorstufe zum Truthuhn, gerade noch flugfähige
Laufvögel. In der Moorlandschaft östlich des Neusiedler Sees balzen sie bis
in den Mai. Ein stolzer Hahn macht den Anfang. Sein Publikum besteht aus
fünf Hennen, die näherer Bekanntschaft nicht abgeneigt scheinen, zwei
pikierten Rivalen – und hundert begeisterten Vogelfreunden, die entlang des
Dammwegs Aufstellung genommen haben.
Fast alle sind mit Ferngläsern, Spektiven oder großkalibrigen
Teleobjektiven bewehrt. Nun kommen auch die anderen Hähne in Stimmung. Sie
manövrieren etwa so wie die spanischen Galeonen in alten Seeräuberfilmen,
mit breitem Bug, gravitätischer Schleichfahrt und ruckartigen Drehungen.
Mit Brauntönen von Karamell bis Umbra ist ihr Gefieder der
Steppenlandschaft angepasst. Bei der Balz aber klappen sie Schwanz und
Flügel um und plustern die weißen flauschigen Unterfedern auf, sodass sie
wie tanzende Schneebälle aussehen.
Der Dammweg von Andau zur ungarischen Grenze war für das Burgenland, was
Steinstücken für Westberlin war: der hinterste Winkel, verbarrikadiert
durch den Eisernen Vorhang. Auch heute verirrt sich sonst kaum ein Mensch
hierher. Jetzt aber ist der Straßenrand zugeparkt, Radfahrer und Fußgänger
wuseln hin und her, und entnervt rumpelt der Bauer mit seinem Traktor
direkt über die Felder.
Ein paar Kilometer weiter westlich führt ein langer Steg vom Seeufer zu
einem Beobachtungsstand, der wie ein prähistorischer Pfahlbau im Schilf
aufragt. Es rätscht, schnattert, zirpt und trällert rundherum. So klingt
Österreich nur hier – in pannonischer Polyphonie, horizontal, unbegrenzt
und östlich. Zwei bärtige Herren in Tarnbekleidung stehen mit Kamera und
Spektiv im Anschlag. „Da sind drei Zwerge. Wo, ich seh keine Zwerge? Na,
auf zehn Uhr.“
Die Rede ist von Zwergtauchern; zehn Uhr bedeutet schräg links vom
Beobachter. „Ganz schön was los heute. Schau mal, auf ein Uhr sind
Limikolen. Aber welche? Bekassinen? Na, wie war’s in Afrika? Ach, jetzt
sind die Zwerge weg. Mach doch mal den Lockruf.“
## Alle Vöglein sind schon da
Der eine, Systemtechniker aus München, verbringt seine Ferien regelmäßig in
Vogelschutzgebieten. Er weiß es zu schätzen, dass der Beobachtungsstand
mitten im Schilf steht, wo man sonst weder zu Fuß noch mit dem Boot
hinkäme. Der andere ist Frührentner und übers Wochenende aus Graz gekommen.
Er strahlt über das ganze Gesicht, konnte er doch am Morgen schon
Bartmeisen und Rohrammern aus kurzer Distanz fotografieren. Das zählt was
in der Szene.
Das seichte Steppengewässer hat fast die dreifache Fläche der Müritz. Wenn
im Frühjahr und Herbst Scharen von Zugvögeln Station machen, geben sich
hier über 300 Arten ein Stelldichein – etwa sechzig Prozent aller
europäischen Arten. Der Jackpot für jeden Birdwatcher, geht es dieser
speziellen Spezies doch insbesondere darum, möglichst viele Arten zu
Gesicht oder zumindest zu Gehör zu bekommen. Abends gleichen sie dann ihre
Listen ab, und wer die meisten Häkchen setzen konnte, darf sich fühlen wie
ein Großtrappenhahn.
Ob sie sich nun Birder nennen, Feldornithologen oder Avifaunisten –
Vogelbeobachtung ist auf dem besten Weg zur Volkssportart. Immer mehr Leute
frönen ihr, besonders Engländer und Skandinavier, wobei die deutsche
Vogelkunde ihre eigenen ehrwürdigen Traditionen hat, verbunden mit Namen
wie Naumann, Brehm und Thienemann.
Die ersten Fremdenzimmer am Neusiedler See wurden an Vogelkundler
vermietet. Das war in den zwanziger Jahren, als das frühere
Deutsch-Westungarn als Burgenland zu Österreich kam. Schon damals wurde
überlegt, einen Nationalpark einzurichten. Was stets eine komplizierte
administrative Angelegenheit darstellt – doch zugleich einen beinah
sakralen Akt. Im Namen der heilen, ja heiligen Natur erfolgt eine
Verbeamtung des Raumes. Ein Zwergstaat der Wildnis wird ausgewiesen,
welcher der Natur Urlaub vom Menschen gewähren soll. Gerade dadurch aber
wird sie für Menschen auf Urlaub attraktiv. Doch die Tiere begreifen
schnell, dass diese Sorte Zweibeiner nicht auf sie schießt, und dank der
Fernoptik bleibt die Fluchtdistanz gewahrt.
„Ohne Ferngläser gäbe es keine Disziplin. Nur dadurch bleiben die Leute auf
den Wegen“, meint Alois Lang von der Nationalparkverwaltung. Sie
organisiert jedes Frühjahr auch die Pannonian Bird Experience, eine
Publikumsmesse, auf der sich Ausrüster, Reiseveranstalter und Naturparks
präsentieren, während zugleich ein Marathon an Schulungen und Exkursionen
geboten wird.
## Es fliegt, es fliegt, es fliegt!
Ein Stück weiter späht ein Vogelfreund aus Ostfildern über einen der vielen
salzhaltigen Tümpel, die Namen tragen wie Fuchslochlacke oder Oberer
Stinkersee. „Ich bin erst drei Tage hier und konnte doch schon die
Kopulation von Uferschnepfen und von Säbelschnäblern filmen.“ Wobei er,
ganz Connaisseur, anmerkt, dass das Vorspiel bedeutsamer sei als die
Begattung. „Was ein Vogel alles tut, bevor er zur Sache kommt, das ist das
eigentliche Erlebnis.“
Mögen manche sie auch als Piepmatzpaparazzi belächeln, so haben die
Fotofreunde doch maßgeblichen Anteil am Birding-Boom. Bilder sind ihre
Trophäen. Für viele Beobachtungsfernrohre gibt es mittlerweile auch Adapter
für Smartphones, um Belegaufnahmen machen zu können. Die sind unabdingbar,
wenn es um die Sichtung von Raritäten geht, wie etwa vor ein paar Wochen,
als ein Blauwangenspint gesehen wurde. Dieser schmucke Verwandte des
Bienenfressers lebt eigentlich in so fernen Gefilden wie Algerien oder dem
Iran – doch auf einem burgenländischen Campingplatz gefiel es ihm offenbar
besser.
Die Fernglashersteller, früher vor allem Jagdausrüster, verkaufen
inzwischen mehr Geräte im Freizeitbereich als an Weidmänner. Wobei eine
gewisse Seelenverwandtschaft offenkundig ist. Jäger und Sammler in einem,
begeben die Birder sich auf eine pazifistische Jagd, die alle Freuden und
Leiden der Pirsch bietet, ohne dass Blut fließt. Der Sammeltrieb äußert
sich im Streben nach Systematik und Vollständigkeit und in der peinlichen
Befolgung der Regularien.
## Gutsituierte Vogelfreunde
Die Outdoor-Industrie kann entsprechende Kleidung und Utensilien absetzen,
und natürlich kurbeln die meist gutsituierten Vogelfreunde auch den
Fremdenverkehr an. „Indem man hier Urlaub macht, unterstützt man ja auch,
dass das erhalten bleibt“, bekennt der Gast aus dem Schwäbischen. Wobei
Alois Lang die Fixierung auf plakative Arten wie die Großtrappe manchmal
stört: „Wir wollen die ganze Vielfalt der Tierwelt zeigen, und vor allem
wollen wir vermitteln, welche Bedingungen sie jeweils brauchen, damit sie
fortbestehen können.“
Die vielen ökologischen Nischen und das Mikroklima des Sees begünstigen
auch den Weinbau. Selbst mitten im Schilfland kann man schmale Weinrieden
entdecken. Umgekehrt tummeln sich die Wasservögel im Spalier der Reben.
Wo noch vor Kurzem zwei Weltreiche aufeinandertrafen, finden sich heute nur
mehr fließende Übergänge. Relikte des Kalten Kriegs werden nun für den
grenzübergreifenden Nationalpark genutzt: Wachttürme dienen als
Vogelwarten, und das ungarische Parkzentrum residiert in einer ehemaligen
Grenzkaserne.
Allmählich gerät der Eiserne Vorhang zum Mythos. Er verlief übrigens
erstaunlich genau entlang der großen östlichen Vogelzugroute von
Skandinavien bis zum Bosporus. Vielleicht fasziniert uns die Welt der Vögel
ja auch deshalb so, weil sie die Freiheit schlechthin verkörpern.
8 Oct 2016
## AUTOREN
stefan schomann
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Reiseland Österreich
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