# taz.de -- Corner-Verbot in Hamburg: „Wer denkt an uns? Leider niemand“ | |
> Das Verbot des Alkoholverkaufs an Wochenenden in Hamburgs Szenevierteln | |
> trifft vor allem Kioske. Besuch bei Kiosk-Besitzerin Esra Simsek. | |
Bild: Seit 16 Jahren betreibt sie einen Kiosk in der Schanze: Esra Simsek | |
Hamburg taz | Mi ttwochvormittag in der Schanze. Ein paar Tourist*innen | |
schlendern durch die Straßen, Esra Simsek steht an ihrem Platz und schaut | |
gerade aufs Handy. Seit 7 Uhr ist in ihrem Kiosk in der Susannenstraße nahe | |
der S-Bahn-Station. Ein älterer Herr in Arbeitsmontur kauft eine | |
Liter-Flasche Cola, ansonsten summt das Radio leise im Hintergrund. Die | |
Kühlschränke mit zig verschiedenen Getränken sind prall gefüllt. Viel los | |
ist gerade nicht. | |
Abends an den Wochenenden hingegen [1][sind die Plätze und Fußwege hier | |
rappelvoll]. Es sind vor allem jüngere Leute, die sich hier treffen, [2][um | |
gemeinsam etwas zu trinken]. Doch seit einigen Wochenenden gilt ein | |
Alkoholverkaufsverbot in der Schanze und auch in Teilen St. Paulis und in | |
Ottensen. Die Kioske und auch die Supermärkte dürfen ab 20 Uhr kein Bier, | |
Wein und Schnaps mehr verkaufen. | |
So wollen die Bezirksämter das Cornern unterbinden, weil die Abstandsregeln | |
wegen der Corona-Pandemie nicht eingehalten werden. Sie argumentieren: Die | |
Kioske sind die heimlichen Gastgeber für alle, die an den beliebten | |
Treffpunkten cornern. Wenn sie keine Getränke mehr verkaufen, [3][löst sich | |
auch das Problem der großen Ansammlung von Menschen auf kleiner Fläche]. | |
Was aber bedeutet das für Kioske? Wir fragen Esra Simsek, was sie von dem | |
Verkaufsverbot hält. | |
## Extremer Zulauf in der Schanze | |
Esra Simsek: Grundsätzlich finde ich für die Anwohner*innen das | |
Verkaufsverbot gut. Es war auch notwendig, weil es dieses Jahr einen | |
extremen Zulauf hier in der Schanze gibt. Es ist ständig voll hier! Das war | |
in den Jahren davor eigentlich ein bisschen rückläufig. Das habe ich auch | |
am Umsatz gemerkt. Dieses Jahr waren die Massen nicht mehr akzeptabel. | |
Früher hatte ich den Laden bis zum Schluss auf, aber in den vergangenen | |
Monaten habe ich ihn früher geschlossen. Es ist zu viel los und ich kann | |
die Abstandsregeln auch nicht mehr kontrollieren. Da verzichtete ich zwar | |
dann auf Geld, aber es bringt mir auch nichts, wenn ich krank werde. | |
Dass aber wir Kioske daran Schuld sein sollen, finde ich gemein. Wir sind | |
nicht Schuld daran. Weil einige sich nicht an die Regeln halten wollen oder | |
können, sind wir doch nicht dafür zu bestrafen. | |
Und die Leute kommen ja dennoch in die Schanze, auch wenn wir am Wochenende | |
geschlossen haben. In den letzten Wochen ist die Schanze trotzdem voll | |
gewesen. Es wird zwar gesagt, dass es an den vergangenen Wochen ruhig | |
geblieben ist, aber es ist genauso viel los und genauso laut wie vorher. Da | |
ich auch Anwohnerin bin, bekomme ich das ja ganz gut mit. | |
Manchmal denke ich, dass da eine Politik für die Gastronomie hintersteckt | |
und den Bars und Lokalen damit geholfen werden soll. In den letzten Jahren | |
wird der Versuch von allen Seiten gemacht, uns unter Druck zu setzen. Uns | |
ging es, als Corona losging, ja auch nicht gut und niemand kam in den | |
Laden. Da stand ich hier alleine und habe auf Kunden gehofft und gewartet. | |
Und ich warte auch jetzt hier auf Kunden, obwohl ich wenig Einnahmen habe. | |
Wer denkt an uns? Leider niemand. | |
## Betrieb lässt sich mit Alkoholverbot nicht aufrechterhalten | |
Auf Dauer lässt sich der Betrieb mit dem Alkoholverbot nicht | |
aufrechterhalten. Ich mache derzeit am Wochenende abends zu und gehe nach | |
Hause. Es lohnt sich nicht. Andernfalls müsste ich das Geschäft umbauen. So | |
ist es zu riskant, wenn ich geöffnet habe. Dann übersehe ich jemanden, der | |
sich einfach ein Bier aus dem Kühlschrank schnappt – es wird ja auch gerne | |
mal mitgenommen ohne zu bezahlen – und damit rausgeht. Dann habe ich die | |
Strafe zu zahlen. Das Risiko ist mir zu hoch. | |
Wir haben jetzt fünf Wochenenden geschlossen. Das Sommergeschäft ist nun | |
vorbei, der Winter wird hart. Dann muss ich jetzt langsam überlegen, was | |
ich noch machen kann. Umbauen? Andere Artikel ins Sortiment nehmen? Ich | |
habe ja noch ein relativ großes Zeitungsangebot, aber das wird immer | |
weniger. Vom Zeitungsverkauf kann ich nicht mehr leben. | |
Ich stehe seit 15, 16 Jahren hier. Früher wurde noch viel gekauft, heute | |
bin ich froh, wenn 100 Euro Umsatz am Tag reinkommen. Es sind die älteren | |
Anwohner*innen, die hier täglich ihre Zeitung holen und für die bin ich da. | |
Wovon soll ich leben? Was soll ich verkaufen, wenn es hier um die Ecke | |
Budni, Rewe und Co. gibt? Es werden viele Kioske kaputt gehen durch das | |
Verbot. Was wird aus den Leuten, die bislang davon leben? | |
30 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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