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# taz.de -- Nachruf auf Emilija Mitrović: Kämpferin für jene am Rand
> Emilija Mitrović hat sich für die Rechte von Huren und Papierlosen
> eingesetzt. Nun ist die Sozialwissenschaftlerin und Gewerkschafterin
> gestorben.
Bild: Emilija Mitrović beim taz-Streitgespräch über Prostitution am Hansapla…
Hamburg taz | Emilija Mitrović ist tot. Sie starb im Alter von 67 Jahren.
Die Hamburger Sozialwissenschaftlerin kämpfte für die Rechte von
Sexarbeiterinnen, Papierlosen und Migranten und hat durch ihre Studien,
wissenschaftlichen Recherchen und Bücher unter anderem zum Thema „Der
gesellschaftliche Wandel im Umgang mit Prostitution“ viel Anerkennung und
Renommee erreicht.
Mitrović gilt zudem als Pionierin in der Dienstleistungsgewerkschaft
Ver.di, was gewerkschaftliches Engagement in Berufsfeldern mit prekärer
Beschäftigung in der Arbeitswelt angeht. Denn genau diese prekären
Beschäftigungsverhältnisse hatten die traditionellen Gewerkschaften des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) lange Jahre nicht im Blick hatten.
Emilija Mitrović ist am 18. Juli 1953 im serbischen Belgrad
(Ex-Jugoslawien) geboren worden und hat eine heute 31-jährige Tochter. Seit
25 Jahren lebte Mitrović in Hamburg und lehrte 20 Jahre lang als freie
Sozialwissenschaftlerin und Dozentin an der Hochschule für angewandte
Wissenschaften Hamburg (HAW) und an der Evangelischen Fachhochschule Rauhes
Haus.
Bundesweit bekannt wurde Mitrović 2004 durch ihre Studie „Arbeitsplatz
Prostitution“, die sie auf dem gleichnamigen Kongress von Ver.di. in
Hamburg vorstellte. Zwei Jahre lang hatte Mitrović für die HAW und den
Bundesvorstand von Ver.di bundesweit erforscht, ob durch das am 1. Januar
2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz für die Sexarbeiterinnen eine
Verbesserung eingetreten ist. Das Gesetz, beschlossen von der rot-grünen
Bundesregierung, legalisierte die Prostitution und wollte die Arbeit der
Sexarbeiterinnen durch Sozialversicherungspflicht sowie Arbeitsrechte und
Arbeitsschutz lenken.
Mitrović hatte nicht nur mit Bordellbetreibern und Vermietern, mit
Polizisten, Finanzbeamten und Sozialarbeiterinnen über Sexarbeiterinnen
gesprochen, sondern auch mit vielen Huren. „Überall wird anders mit dem
Prostitutionsgesetz umgegangen“, fasste Mitrović die Ergebnisse ihrer
Erhebung zusammen, „aber nirgendwo wirklich zugunsten der Prostituierten.“
Nahezu keine der befragten Prostituierten habe eine Besserstellung ihrer
rechtlichen Situation wahrgenommen.
Auf Grundlage von Mitrović’ Studie versuchte Ver.di, den Job der
Sexarbeiterinnen aus der „gewerkschaftlichen Brille“ neu zu bewerten und
Emilija Mitrović übernahm die Leitung des Projektbüros „Arbeitsplatz
Prostitution“ bei Ver.di in Hamburg. Dieses Büro gehört zum Fachbereich 13
„Besondere Dienstleistungen“ und sollte nicht nur Sexarbeiterinnen
gewerkschaftlich organisieren, sondern sollte sich auch für die Belange der
Huren und Prostituierten einsetzen. „Obwohl Prostitution jetzt offiziell
legal ist, werden Sexarbeiterinnen weiterhin diskriminiert“, konstatierte
Mitrović damals. „Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere, aber es
müssten dort Rechte wie in jeden anderen Berufe gelten.“
In Hamburg spielte Mitrović in den nächsten Jahren in diesem Bereich eine
bedeutende Rolle, organisierte den „Ratschlag Prostitution Hamburg“, wo
sich die Hilfsprojekte und Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen
zusammengeschlossen hatten. Sie machte gegen das Kontaktanbahnungsverbot
für Freier auf dem Kiez in Hamburg St. Georg mobil, wodurch der SPD-Senat
2012 die Prostitution unter dem Deckmantel der Bekämpfung der
Zwangsprostitution und des Frauenhandels im gentrifizierten Viertel durch
Bußgelder für Sexkunden auszutrocknen versuchte – vergeblich.
Emilija Mitrović machte 2014 auch gegen das neue Prostitutionsgesetz der
Großen Koalition mobil, das eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen
vorschreibt. „Mit der Meldepflicht für SexarbeiterInnen wird das
gesellschaftliche Stigma gegenüber der Prostitution manifestiert“, sagte
Mitrović. Sie bringe den Frauen weder Schutz noch verbessere sie die
soziale und arbeitsrechtliche Situation.
„Eine Berufsgruppe, die aufgrund der Doppelmoral in unserer Gesellschaft
schon mehrfach diskriminiert ist, darf mit der geplanten Meldepflicht nicht
noch weiter ausgegrenzt werden“, sagte sie. Diese Umsetzung der
Meldepflicht habe enorme Konsequenzen für die freie Wahl des
Arbeitsplatzes. „Wir werden unsere Ver.di-Mitglieder auf jeden Fall
arbeitsrechtlich unterstützen, wenn sie gegen diese Diskriminierung in
ihrer Berufstätigkeit vorgehen wollen“, sagte Mitrović damals. Natürlich
sei dies vor allem ein politisches Signal. „Doch wenn sich eine Frau
durchringen kann zu klagen, bekommt sie Rechtsschutz.“
2008 schrieb Emilija Mitrović noch in einem Bereich Geschichte, um
gewerkschaftlicher Ignoranz zu begegnen und ihr ein Ende zu setzen.
Parallel zum Projektbüro „Arbeitsplatz Prostitution“ leitete sie auch das
Projektbüro „Undokumentierte Arbeit“ und kam zu dem klaren Fazit:
„Arbeitsrechte sind Menschenrechte, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.“
Daher sei es Aufgabe der Gewerkschaften, diese Menschen im Blickfeld zu
haben. Sonst sei die Gefahr groß, dass sie wegen ihres illegalen Status im
Job ausgebeutet werden.
Daraufhin rief Ver.di das zweijährige bundesweite Pilotprojekt
„Gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten
Aufenthalt“ ins Leben. Die „Papierlosen“ sollten sich bei der Gewerkschaft
Ver.di organisieren und ihre Arbeitsrechte geltend machen können. Denn
trotz offener EU-Grenzen verfügten selbst EU-Wanderarbeiter oftmals über
keine gültige Arbeitsgenehmigung und mussten als Scheinselbstständige bei
Werkvertragsfirmen ohne Arbeitnehmerschutz arbeiten.
Die Beratungsstelle konnte für einen Arbeiter ohne Papiere vor dem
Arbeitsgericht Celle durchsetzen, dass ihm sieben Jahre lang vorenthaltene
Lohnbestandteile in Höhe von 25.500 Euro nachgezahlt wurden. Auch ein
Au-pair-Mädchen in Hamburg aus Chile bekam einen Großteil vorenthaltener
Vergütungen nachträglich erstattet. 2010 wurde das Projekt vom DGB-Hamburg
nach anfänglichen Bedenken der Gewerkschaft der Polizei und der
Gewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt von Ver.di übernommen und als „MigrAr –
Migration und Arbeit – Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere“ von Mitrovi…
mit Erfolg fortgeführt.
Der unerwartete Tod von Emilija Mitrović hat Bestürzung ausgelöst und reißt
viele Löcher – viele gewerkschaftliche und wissenschaftliche Kolleginnen
und Kollegen werden ihren Sachverstand sowie ihre Ideen und Expertisen
vermissen. Am Sonnabend wird sie beigesetzt.
14 Aug 2020
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Verdi
Hamburg
Prostitution
Frauenrechte
Prostitutionsgesetz
Papierlose
Verdi
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