# taz.de -- Prostitution: "Die Frauen werden bestraft und zahlen" | |
> In Hamburg sollen Bußgelder für Freier Straßenprostitution verhindern - | |
> und damit die Anwohner befrieden. Kritiker fürchten nun eine Verdrängung | |
> der Prostiuierten. Ein Streitgespräch | |
Bild: Beide vertraut mit St. Georg, aber uneins, wie dort mit Straßenprostitut… | |
taz: Warum ist die Diskussion über das Kontaktverbot für Freier auf St. | |
Georg so emotional? | |
Emilija Mitrovic: Weil Prostitution immer noch ein Tabuthema ist und | |
Menschen sich sehr schwer sachlich dazu positionieren können. Es ist immer | |
die Frage: Bist du dafür oder dagegen? Ich finde, die Frage ist eher: | |
Begreift man Prostitution als Arbeit und garantiert den Frauen und Männern, | |
die hier auf der Straße in St. Georg als SexarbeiterInnen anschaffen, | |
gewisse Menschen- und Arbeitsrechte? | |
Also eine eher abstrakte Frage. | |
Mitrovic: Es ist Arbeit, es ist kein Vergnügen für die Frauen. Ob es eine | |
Arbeit ist, die wünschenswert ist, die sehr würdig ist, das ist nicht die | |
Frage. | |
Helmut Voigtland: Ich bin seit 1978 hier im Stadtteil und ich kann mich | |
daran erinnern, dass sie auf jeder Versammlung des Bürgervereins ein Thema | |
war. Es wurde mit wechselnden Schwerpunkten darüber diskutiert, wie man sie | |
eindämmen könnte. Ich denke, dass man sich heute gesellschaftlich daran | |
gewöhnt hat, dass es Prostitution gibt. Wir wenden uns nur gegen die | |
Straßenprostitution in St. Georg. Prostitution ist hier seit 1980 durch die | |
Sperrgebietsverordnung eingeschränkt, aber bislang wurde diese Verordnung | |
nicht mit Leben erfüllt, weil sie polizeilich nicht kontrollierbar war. | |
Mitrovic: Wir halten die Sperrgebietsverordnung für lebensfern, weil in den | |
Vierteln hinter den Bahnhöfen traditionell Prostitution stattfindet. Aber | |
es stimmt, was Sie sagen: Es geht der Behörde nicht darum, insgesamt gegen | |
Prostitution vorzugehen. Wir haben einige Edelbordelle in der Gegend, die | |
sehr teuer sind. Wen es trifft, sind die armen Frauen. Es sind nicht nur | |
osteuropäische Frauen, sondern auch deutsche, die zum Teil schon sehr alt | |
sind, die hier anschaffen, zum Teil mit Stammfreiern. | |
Voigtland: Das ist auch wieder ein schiefes Bild. Wenn ich einen | |
Stammfreier habe, muss ich mich nicht auf die Straße stellen. Und es ist | |
nur eine Eingrenzung für St. Georg, niemand hindert die Prostituierte | |
daran, in Hohenfelde zu stehen. | |
Mitrovic: Sobald die Frauen dort stünden, würde sich da auch Widerstand | |
ergeben. Das Perverse der Sperrgebietsverordnungen ist doch, dass sie immer | |
da hin gesetzt werden, wo Prostitution bereits stattfindet. | |
Voigtland: Auf St. Pauli können sie ohne weiteres stehen. | |
Mitrovic: Von abends acht bis morgens um sieben - das ist doch auch keine | |
besonders würdige Situation für die Frauen. Wenn man ins St. Pauli-Theater | |
geht, sieht man, wie abends um acht oben die Zuhälter stehen und die Frauen | |
aufmarschieren. | |
Voigtland: Ich finde, dass Straßenprostitution nie etwas Würdiges ist. Aber | |
wir kommen hier ja zum Knackpunkt. Die Politiker und auch die Bürger des | |
Stadtteils haben immer gesagt: Wir wollen den Wohnstandort St. Georg | |
stärken. Wenn ich im Stadtteil wohne und neben mir stehen eins, zwei, drei, | |
vier Prostituierte ständig auf der Straße, kann das zu Problemen führen. | |
Welchen genau? | |
Voigtland: Die Menschen hier erzählen mir, dass die Frauen belästigt | |
werden, dass die Männer und Kinder ab einem gewissen Alter angesprochen | |
werden. | |
Sollte jemand, der nach St. Georg zieht, nicht wissen, worauf er sich dort | |
einstellen muss? | |
Voigtland: Das würde bedeuten, dass man auf Dauer festschreibt, wie ein | |
Stadtteil ist, aber der lebt, verändert sich. St. Georg war 1978 im | |
Absterben begriffen, bedingt durch die Spekulation um die | |
Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat, die St. Georg platt machen wollte. | |
Später problematisch durch die Prostitution und die Drogenszene. | |
Mittlerweile haben viele Menschen entdeckt, dass St. Georg zentral an der | |
Alster liegt. Deshalb wollen mittlerweile viele hierher ziehen - was dazu | |
führt, dass wir zum ersten Mal seit langer Zeit viele Kinderwagen in den | |
Straßen haben. Das beißt sich schon mit offener Prostitution. | |
Mitrovic: Ich lebe seit 25 Jahren hier, habe damals schon die Alster | |
entdeckt. Natürlich hat sich viel verändert - es wird ja auch beklagt, dass | |
die Fleischer und Fischläden verschwinden, stattdessen haben wir jede Menge | |
Friseure und Cafés. Ich bin nicht eine derjenigen, die sich immer in | |
Nostalgie nach hinten wendet. Es ist durchmischter worden. Aber die Szene | |
ist inzwischen so etabliert, dass es deutlich schicker und teurer geworden | |
ist. Die Prostitution war früher bis zur Langen Reihe ausgedehnt... | |
Voigtland: ... Wir hatten an der Langen Reihe den Babystrich, ich erinnere | |
noch, dass in der Langen Reihe die Frauen im Fenster saßen... | |
Mitrovic: ... und jeder kannte die und das waren Nachbarn. Das war nicht | |
nur negativ. | |
Voigtland: Aber auch das ist für das Erscheinungsbild einer Straße nicht | |
toll, wenn das Prostituierte im Schaufenster sitzen. Aber jetzt geht es ja | |
um aggressive Straßenprostitution, die zu massiven Beschwerden geführt hat. | |
Ich sehe natürlich, dass viele neue Menschen hierher gezogen sind, die | |
möglicherweise die Schwierigkeiten, die wir in den 1980er Jahren gehabt | |
haben, gar nicht kennen: mit der Drogenszene und verelendeten | |
Drogenabhängigen, die, wenn sie der Prostitution nachgingen, noch stärker | |
geschädigt waren. | |
Was ist aus dieser Drogenszene geworden? | |
Voigtland: Natürlich haben wir noch Drogen hier, aber die Drogenabhängigen | |
sind nicht mehr so sichtbar, weil sie jetzt am Rande des Stadtteils sind. | |
Es war immer Konsens, dass die Drogenberatungsstellen im Stadtteil | |
notwendig sind. Aber irgendwo kommt der Punkt, wo es sich beißt. | |
Der Begriff "beißen" ist jetzt schon mehrmals gefallen. Geht es eigentlich | |
um die Frage, wer welches Recht auf die Straße hat? | |
Mitrovic: Im Moment würde ich sagen, dass nicht die Anwohner beißen, | |
sondern ganz bestimmte Leute, die sich Wohnungen hier am Hansaplatz gekauft | |
haben. | |
Voigtland: Das sind doch auch Anwohner. | |
Mitrovic: Das stimmt. Aber es hat etwas damit zu tun, dass man am | |
Hansaplatz vor zehn Jahren sehr billig Wohnungen kaufen konnte. Diese | |
Käufer sind jetzt etabliert und wollen, dass man am Hansaplatz ohne Störung | |
durchkommt. Die Wohnungen waren aber nur deshalb so billig, weil es ein | |
Platz war, wo Störungen auftauchten. Ich finde, dass es jetzt an der | |
Hansaplatz-Initiative ist, ins Gespräch darüber zu kommen, wo was | |
stattfinden kann. Wir vom Ratschlag Prostitution haben ein zwölf-sprachiges | |
Info-Blatt für die Frauen gemacht. Darin stehen ihre Rechte, aber auch, | |
dass es verboten ist, Männer auf der Straße anzufassen, dass Lärm | |
eingeschränkt werden muss. Wir haben überlegt, dass man Workshops für die | |
Prostituierten in ihrer Sprache machen könnte, damit ihnen klar wird, wie | |
die Grundlage hier in St. Georg ist. Sie bekommen oft falsche | |
Informationen, wenn sie sich aus Rumänien oder Bulgarien aufmachen. | |
Glauben Sie nicht an weitere weiche Schritte, Herr Voigtland? | |
Voigtland: Letzten Endes haben wir es umgedreht. Durch die | |
Kontaktverbotsverordnung wird zum ersten Mal der Mann belangt und nicht die | |
Frau, wenn es denn Erfolg hat. Man muss das Ganze ja auch relativieren. Ich | |
hoffe, dass es Erfolg hat, aber jeder kann sich natürlich gegen ein Bußgeld | |
wehren und sagen: Weis mir erst einmal nach, dass das ein | |
Preis-Verhandlungsgespräch war. Aber vielleicht ist es für den ein oder | |
anderen problematisch, wenn er den Bußgeldbescheid zu Hause liegen hat. | |
Mitrovic: Das hat man in Schweden ja auch gehofft - und da war es nicht | |
erfolgreich. Was passiert, ist Verdrängung. | |
Es ist zu einer deutlichen Verringerung der Straßenprostitution gekommen. | |
Finden die früheren Straßenprostituierten dann in Bordellen oder | |
Privatwohnungen möglicherweise bessere Arbeitsbedingungen? | |
Mitrovic: Die Straßenprostitution ist nicht zwingend das unterste Ende. Es | |
gibt viele Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, weil sie sagen: Da | |
bin ich frei, ich verdiene gut, weil es viel Laufkundschaft gibt. Der | |
Bezirksamtschef wollte die Prostituierten ins Industriegebiet schicken, | |
aber wenn es in den Straßen überhaupt keine soziale Kontrolle mehr gibt, | |
sind die Arbeitsbedingungen gefährlich. | |
Und wenn die Anwohner sagen: Wir wollen nicht, dass unser Wohngebiet euer | |
Arbeitsplatz ist? | |
Mitrovic: Die Prostituierten waren zuerst da. | |
Voigtland: Anwohner waren schon immer da. | |
Mitrovic: Aber sie haben sich nicht beschwert. | |
Voigtland: Ich denke, die haben sich immer beschwert. Was wir nun haben, | |
sind Menschen im Stadtteil, die hartnäckig in der Beschwerde sind und auch | |
viermal bei der Polizei anrufen. | |
Mitrovic: Die Frage ist doch: Worüber beschwert man sich? Wenn bei mir in | |
der Straße eine Schlägerei oder starke Lärmbelästigung ist, rufe ich auch | |
die Polizei. Das ist aber nicht die Prostitution und auch keine notwendige | |
Begleiterscheinung von ihr. Ich habe Interviews dazu gemacht, die Leute | |
beschweren sich über pinkelnde Männer, die Bars, die grölende Männer | |
angezogen haben. Ich würde der Politik immer anraten, Aufklärung zu | |
versuchen. Und mit weichen Schritten und einem runden Tisch auf die Leute | |
zuzugehen und zu sehen, in welchen Straßen Straßenprostitution verträglich | |
ist und in welchen nicht. | |
Welche weichen Schritte wurden denn bereits versucht? | |
Voigtland: Die Information der Prostituierten, die Tatsache, dass Ragazza, | |
die Beratungsstelle für drogenabhängige Prostituierte, seit 20 Jahren hier | |
existiert. | |
Mitrovic: Aber es ist noch längst nicht alles getan, um ein verträgliches | |
Zusammenleben aller hinzubekommen. Ich glaube zum Beispiel, dass die Robert | |
Nhil-Straße durchaus für Straßenprostitution in Frage kommt. | |
Ist das Kontaktverbot mit all seinen praktischen Schwierigkeiten - | |
Personalaufwand, Nachweisbarkeit - eigentlich ein rein symbolischer | |
Schritt? | |
Mitrovic: Ja. Es ist der Versuch der Innensenators, Muskeln zu zeigen, und | |
zugleich tut man so, als würde man feministischem Gedankengut folgen, indem | |
man die Freier bestraft und nicht die Frauen. Dabei bekommen sie Bußgelder, | |
die auf 200 Euro hochgesetzt wurden. Ich bin sicher, nach einem Jahr werden | |
wir keine einzige Freierbestrafung haben. Aber die Frauen werden bestraft | |
und zahlen. | |
Voigtland: Es ist eine gewisse Symbolpolitik. Aber einige Prostituierte | |
haben ein Bußgeld bekommen und das hat eine gewissen Wirkung gehabt. | |
Mitrovic: Sie sind nach Baden-Württemberg gegangen und andere sind an ihrer | |
Stelle gekommen. | |
30 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Verdi | |
Sexarbeit | |
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