| # taz.de -- Betriebsrat-Kündigung bei Friseurkette: Rechtlich nicht möglich | |
| > Die Friseurkette Klier kündigte den gesamten Hamburger Betriebsrat. Das | |
| > Gericht aber wies das Unternehmen nun zum vierten Mal in die Schranken. | |
| Bild: Protest-Kundgebung für die gekündigten Betriebsrätinnen vor dem Prozess | |
| Hamburg taz | Die Stimmung ist aufgeheizt. Bevor es im Veranstaltungsraum | |
| des Alster City-Geschäftshauses losgeht, wohin das Arbeitsgerichtsverfahren | |
| aufgrund des öffentlichen Andrangs verlegt wurde, tragen zwei | |
| Gewerkschafter ein Transparent durch den provisorischen Gerichtssaal. | |
| „Hände weg von der Betriebsarbeit!“, steht darauf. | |
| Schon zuvor hatten sich Betriebsrät*innen, Mitarbeiter*innen der | |
| [1][Friseurkette Klier] und Mitglieder der [2][Gewerkschaft Ver.di] ein | |
| paar Straßen weiter zu einer angemeldeten Kundgebung getroffen, um gegen | |
| Klier zu protestieren. Denn das Familienunternehmen mit Firmenzentrale in | |
| Wolfsburg, das bundesweit 1.400 Filialen unterhält, hat den [3][gesamten | |
| Hamburger Betriebsrat fristlos gekündigt] – und das, obwohl die Kündigung | |
| eines Betriebsratsmitglieds rechtlich kaum möglich ist. „Ich habe so etwas | |
| noch nicht erlebt“, sagt Gewerkschaftssekretär André Kretschmar, der bei | |
| Ver.di die Friseurbranche betreut. | |
| Drei der sechs Verfahren waren bereits erstinstanzlich abgeschlossen, die | |
| Kündigungen wurden vom Arbeitsgericht kassiert. Ein viertes befindet sich | |
| noch in der Beweisaufnahme, das sechste Verfahren soll am heutigen | |
| Donnerstag vom Arbeitsgericht Hamburg am Osterbekkanal verhandelt werden. | |
| Klier ist nach eigener Aussage Europas größte Friseurkette, beschäftigt in | |
| den Ketten Klier, Essanelle, Hair Express, Cosmo und Super Cut rund 9.000 | |
| Mitarbeiter*innen. Der Betriebsrat, mit dem sich das Unternehmen jetzt in | |
| Hamburg vor Gericht streitet, vertritt seit seiner Gründung 2013 die | |
| Interessen von etwa 110 Beschäftigten in 17 Salons in Hamburg und | |
| Schleswig-Holstein. Schon die Gründung dieses Betriebsrates sei | |
| „problematisch gewesen“, erinnert sich Kretschmar: „Es war klar, dass das | |
| Unternehmen das nicht wünscht.“ | |
| ## Das Unternehmen spricht von „Vertrauensmissbrauch“ | |
| Vor Gericht treffen sich an diesem Mittwoch der Rechtsanwalt der Klier Hair | |
| Group und Katrin Rux, die Vorsitzende des sechsköpfigen gekündigten | |
| Betriebsrats mit ihrem Rechtsbeistand. Klier wirft ihr genau wie den | |
| anderen fünf Betriebsrät*innen vor, so Firmensprecher Rüdiger Schmitt, | |
| „über einen längeren Zeitraum Arbeitszeitenbetrug begangen“ zu haben. | |
| Die teilweise freigestellten Mitglieder des Betriebsrates hätten ganze Tage | |
| für die Betriebsratsarbeit angegeben, in der Regel aber nur wenige Stunden | |
| getagt. Statt nach der Betriebsratsarbeit ihren Job in den Filialen wieder | |
| aufzunehmen, hätten sie Freizeit genommen und so ihre | |
| „Betriebsratstätigkeit missbraucht“. Die „Vortäuschung von mehr | |
| Arbeitszeit, als geleistet wurde“, stelle „einen schweren | |
| Vertrauensmissbrauch dar“, der nach Auffassung des Unternehmens eine | |
| fristlose Kündigung rechtfertige, so Schmitt. | |
| Dem Vorwurf, „dass angeblich geleistete Betriebsratsarbeit nicht | |
| stattgefunden hat“, widerspricht Anwalt Christian Lewek vehement: Allen | |
| Beteiligten sei klar gewesen, dass es sich bei der Betriebsratsarbeit um | |
| eine Pauschalisierung gehandelt habe. Zwar seien die Sitzungen meist kürzer | |
| gewesen – was gegenüber dem Arbeitgeber auch dokumentiert wurde – dafür s… | |
| die Zeit für ihre Vor- und Nachbereitung nicht extra veranschlagt. An dem | |
| Betrugsvorwurf sei deshalb nichts dran. | |
| Vielmehr vermutet Kretschmar, dass die Kündigungen ausgesprochen wurden, | |
| „um die Betriebsratsarbeit zu erschweren und Neugründungen zu verhindern.“ | |
| Auffällig sei, „dass die Kündigungen erfolgten, nachdem sich ein | |
| Gesamtbetriebsrat gegründet hat“. Auch in Hannover gehe das Unternehmen | |
| derzeit juristisch gegen die Gründung regionaler Arbeitnehmervertretungen | |
| vor, ergänzt er. | |
| Für Richterin Karen Ullmann ist der Fall klar – sie weist die fristlose | |
| Kündigung zurück. „Der Arbeitgeber hat diese Praxis fast acht Jahre | |
| hingenommen und die Regelung nie kritisiert. Dann kann man nicht einfach | |
| fristlos und ohne Abmahnung kündigen, statt den Versuch zu unternehmen, | |
| eine Regelung zu finden, mit der beide Seiten zufrieden sind“, lautet ihre | |
| Urteilsbegründung. | |
| Kretschmar appelliert nun an die Frisiersalonkette, „dass alle Kündigungen | |
| sofort zurückgenommen und die Gerichtsverfahren beendet werden, nachdem der | |
| Arbeitgeber nun viermal vom Arbeitsgericht in die Schranken gewiesen worden | |
| ist“. Kretschmar weiter: „Die Kolleg*innen wollen nichts weiter als ihre | |
| gesetzlichen Mitbestimmungsrechte wahrnehmen, das muss endlich auch die | |
| Geschäftsführung bei Klier respektieren!“ Ob das passiert, ist noch unklar. | |
| Unternehmenssprecher Schmitt kündigt an: „Erst wenn alle sechs Verfahren | |
| abgeschlossen sind und alle Begründungen vorliegen, werden wir entscheiden, | |
| ob wir die nächste Instanz anrufen.“ | |
| 27 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.klier.de/ | |
| [2] https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-07-2020/ | |
| [3] /Archiv-Suche/!5694067&SuchRahmen=Print/ | |
| ## AUTOREN | |
| Marco Carini | |
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