# taz.de -- Studie zum Rückgang von Populismus: Die Bilder trügen | |
> Die Botschaft der Bertelsmannstudie ist eindeutig: Die Bundestagswahl | |
> 2021 wird im Ringen um die Mitte entschieden, die gemäßigte Angebote | |
> schätzt. | |
Bild: Besseres „Aufregerthema“ als Migrationspolitik: Wohnungspolitik | |
Als Zehntausende [1][gegen das vermeintliche Coronaregime demonstrierten] | |
beugten sich PolitikerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und | |
KommentatorInnen ratlos und [2][besorgt] über [3][diese unberechenbare | |
Melange von Rechtsextremisten, libertären Staatsskeptikern, Exalternativen | |
und Esoterikern]. Manche sehen eine neue Pegida-Bewegung entstehen, eine | |
Frischzellenkur für den Rechtspopulismus. Die Mitte, magischer Ort und | |
zentraler Pfeiler der bundesdeutschen Demokratie, so die Befürchtung, | |
driftet wie nach 2015 gefährlich ins Rechtsautoritäre ab. | |
Die [4][Populismus-Studie von Bertelsmann und dem Wissenschaftszentrum | |
Berlin für Sozialforschung (WZB)] zeigt ein anderes Bild. Populistische | |
Einstellungen, Demokratieskepsis, Elitenfeindlichkeit und Neigung zu | |
autoritären Lösungen, sind auf dem Rückzug. Das ist in der Coronakrise, in | |
der die Regierungen fast überall Vertrauen gewinnen, auch wenig | |
überraschend. Doch dieser Trend begann viel früher. Corona war der | |
Verstärker, nicht der Grund. | |
Die politische Mitte um Union und FDP steht zu Recht im Verdacht, in Krisen | |
anfällig für rechte Muster zu sein. Die Studie zeigt, dass der Populismus | |
zwar auch bei Linkspartei- und SPD-Klientel auf dem Rückzug ist – doch ganz | |
besonders auffällig ist dies in der Anhängerschaft von Union und Liberalen. | |
Das ist, bei aller Vorsicht, eine gute Nachricht: Die zivile Substanz ist | |
größer als vermutet. Das zeigt, dass wir auf Bilder wie das vom [5][„Sturm | |
auf den Reichstag“] misstrauischer schauen sollten und generell den | |
Suggestionen der Aufmerksamkeitsökonomie, die auf Ereignisse scharf | |
gestellt und für Strukturen blind ist, mit mehr Vorsicht begegnen sollten. | |
Dass einfache Lösungen 2020 demnach eher unattraktiv erscheinen, ist direkt | |
mit der Deaktualisierung eines Themas verkoppelt: Migration und | |
Geflüchtete. Das ist doppelt deutbar. Pessimistisch kann man es als Zeichen | |
lesen, wie die übersteigerte Angst vor den Flüchtlingen das kollektive | |
Bewusstsein nach rechts verschoben hat, optimistisch als Zeichen, dass der | |
Rechtspopulismus ohne diesen Trigger enorm an Anziehungskraft verliert. | |
Politisch ist die Botschaft dieser Studie eindeutig: Die Bundestagswahl | |
2021 wird, wenn sich dieser Trend fortsetzt, im Ringen um die Mitte | |
entschieden, die gemäßigte Angebote schätzt, wenig empfänglich für | |
nationalistische Muster und solide offen für Europa ist. | |
Für die Linkspartei, die immer mal wieder mit populistischen Bildern | |
flirtet, hat die Studie eine ambivalente Aussage. Grobe, populistische | |
Anti-Botschaften zünden auch in ihrer Klientel nicht mehr so richtig. Dafür | |
ergibt sich eine neue Chance. Weil Migration als Identitätsmarker | |
verblasst, kehre das Soziale, vor allem Wohnungspolitik „als Aufregerthema“ | |
zurück, so die Studie. Das ist, für das linke Parteienspektrum und für den | |
rationalen Diskurs, eine erfreuliche Aussicht. | |
3 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Politologe-ueber-Demo-von-Coronaleugnern/!5706393 | |
[2] /Antisemitismus-und-Verschwoerungstheorien/!5710885 | |
[3] /Protest-gegen-Coronamassnahmen-in-Berlin/!5710608 | |
[4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Graue… | |
[5] /Berichterstattung-Anti-Corona-Demo/!5706576 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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