# taz.de -- Brief der Landwirtschaftsministerin: Kirchlicher Beistand erwünscht | |
> Julia Klöckner fordert von Bischöfen mehr Unterstützung für Bauern – de… | |
> die hätten 2019 weniger gespritzt. Doch das hat wenig mit ihrer Politik | |
> zu tun. | |
Bild: Wirbt für Wertschätzung: Julia Klöckner bei einem Hofbesuch im Jahr 20… | |
Es klingt nach einer Wende. „Wir müssen auch den Blick lenken auf die | |
positiven Entwicklungen. Im Jahr 2019 hat der Absatz von | |
Pflanzenschutzmittelwirkstoffen in der Landwirtschaft den drittniedrigsten | |
Wert seit 1977 erreicht.“ An diesem Mittwoch wird CDU-Bundesagrarministerin | |
Julia Klöckner vor die Presse treten und erklären, wie viele Pestizide die | |
deutschen Landwirte im vergangenen Jahr gekauft haben. Ihre Botschaft hat | |
sie mit dem Satz in einem offenen Brief vorweggenommen. Dieser zeigt, wie | |
Klöckner Agrarpolitik versteht. | |
Sie schreibt den Brief – vier Seiten, Anrede „Sehr geehrte Exzellenzen“ �… | |
an drei niedersächsische Bischöfe, macht klar, was sie von Bauern hält: | |
viel. Und was von Städtern oder Nichtlandwirten, die sich in die große | |
gesellschaftlichen Debatte zur Zukunft der Landwirtschaft einschalten: | |
wenig. | |
Hintergrund des Briefs ist, dass Umweltschützer in Niedersachsen, dem | |
Agrarland schlechthin, derzeit Unterschriften sammeln – für das | |
[1][Volksbegehren „Artenvielfalt. Jetzt!“]. „Vom Harz bis an die Küste, … | |
der Ems bis zur Elbe sind Lebensräume und Arten in ihren Vorkommen | |
gefährdet“, schreiben die Initiatoren vom Naturschutzbund Niedersachsen. | |
Jeden Tag würden Flächen zugebaut, asphaltiert und betoniert. Das sei ein | |
Grund. Der andere: die Intensivlandwirtschaft. An ihren Infoständen habe es | |
Übergriffe von Bauern gegeben, beklagen die Naturschützer, Bauernvertreter | |
weisen das zurück. Die Stimmung: gereizt. | |
Mitte Juli dankten dann der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der | |
Hildesheimer Heiner Wilmer und der Weihbischof Wilfried Theising aus Vechta | |
via offenem Brief den Bauern „von Herzen“ für ihre Arbeit. Zwei von ihnen | |
sind selbst auf Bauernhöfen aufgewachsen, der eine im Emsland, der andere | |
im Münsterland. Der dritte kommt aus einem Dorf bei Paderborn. | |
## Ist das eine Wende? | |
Die drei erklären: „Extreme Wetterlagen nehmen zu. Zudem erhöhen politische | |
Entscheidungen der letzten Monate bei vielen Landwirten ihre | |
Existenzsorgen. Sie zeigen das insbesondere durch [2][Demonstrationen], | |
Mahnfeuer und das Aufstellen der grünen Kreuze, aber auch in vielen | |
Diskussionen mit politisch Verantwortlichen und in unterschiedlichen | |
Medien. Wir begrüßen Ihr gesellschaftliches Engagement.“ Und sie enden: | |
„Seien Sie sicher: Diesen Zukunftsdialog führen wir auf positiv kritische | |
Weise an der Seite der Landwirt*innen, also an Ihrer Seite.“ | |
Für diesen Brief, so schreibt Klöckner den Bischöfen zurück, „danke ich | |
Ihnen!“. Und weiter: „Gute Ratschläge bekommen Bauern viele, aus dem | |
städtischen Milieu, von Nicht-Landwirten und Nicht-Praktikern“. Bei vielen | |
Bauern gehe es aber „schlichtweg um die Existenz“. Und ja, schreibt sie: | |
„Wir müssen noch nachhaltiger-, klima- und tierwohlgerechter werden“ – | |
bevor das „Aber“ folgt und der Hinweis, dass seit Ende der siebziger Jahre | |
selten so [3][wenige Pestizide] verkauft wurden wie zuletzt. Nur: Ist das | |
eine Wende? | |
Ein Blick in den Jahresbericht des Industrieverbandes Agrar – darin sitzt | |
die deutsche Pflanzenschutz- und Düngemittelindustrie. Im Kapitel „Der | |
Pflanzenschutzmarkt 2019, Nettoinlandsumsatz im freien Fall“ steht, dass | |
dieser Umsatz 2019 rund 1,19 Milliarden Euro betrug – fast 7 Prozent | |
weniger als im Jahr zuvor. Wer dann weiterliest, versteht allerdings: Das | |
lag vor allem an der Trockenheit. | |
Sonst werden Getreide, Obst und Wein mit Fungiziden gespritzt, damit sich | |
etwa kein Mehltau breitmachen kann. Bei Dürre ist das nicht so nötig. Auch | |
Unkraut sprießt weniger, wenn es trocken ist. Das mindert den | |
Herbizideinsatz. Anti-Schnecken-Mittel verkauften sich auch schlechter. | |
## Greenpeace sieht kein Umdenken | |
Mit Umdenken, mit einer neuen Agrarpolitik, mit Ministerin Klöckner habe | |
das Minus bei der Agrarchemie nichts zu tun, sagt Martin Hofstetter, | |
Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. Es gebe keinen neuen Trend zu | |
weniger Agrarchemie, auch kein großes Plus an Ökoflächen. Bauern säten auch | |
nach wie vor nur selten unterschiedliche Pflanzen auf ihren Feldern, um es | |
Schädlingen schwer zu machen. | |
Stattdessen dominierten bei konventionellen Landwirten vor allem | |
ertragreicher Mais und Getreide – aus ökonomischen Gründen. Wer das ändern | |
wolle, müsse jene besser stellen, die den Einsatz von Pestiziden mindern, | |
und die milliardenschweren EU-Subventionen für Landwirte entsprechend neu | |
verteilen. | |
Klöckner bedauerte in ihrem Brief indes, dass nicht alle Kirchenvertreter | |
ähnlich freundliche Töne anschlagen wie die drei niedersächsischen | |
Bischöfe. Die Ministerin schreibt: „Nicht selten bekommen | |
Landwirtsfamilien, deren Ansinnen es ebenfalls ist, die Schöpfung zu | |
bewahren, von kirchlichen Gruppierungen schnell gemachte Forderungen ’vorm | |
Hoftor abgeladen'.“ | |
11 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.artenvielfalt-niedersachsen.jetzt/ | |
[2] /Bauernbewegung-in-Niedersachsen/!5667204 | |
[3] /Entwurf-fuer-Insektenschutzgesetz/!5700228 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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