# taz.de -- Deadnaming von Transpersonen: Keine Beleidigung? | |
> Boris Palmer hat die Transfrau Maike Pfuderer mit ihrem früheren Namen | |
> angesprochen. Kein Vergehen, sagt die Justiz. Ein Fall für eine Debatte. | |
Bild: Boris Palmer hat nicht beleidigt, sagt die Staatsanwaltschaft Tübingen | |
BERLIN taz | Boris Palmer kann sich freuen. „Es hat sich herausgestellt, | |
dass Sie unschuldig sind“, hat ihm die Staatsanwaltschaft Tübingen | |
mitgeteilt, [1][wie der Tübinger Oberbürgermeister selbst auf Facebook | |
postete]. Damit hat der [2][umstrittene Grünen-Politiker] keine | |
juristischen Konsequenzen mehr wegen der Strafanzeige seiner Parteifreundin | |
Maike Pfuderer zu befürchten. Die Transaktivistin hatte sich durch ein | |
sogenanntes Deadnaming Palmers beleidigt gefühlt. | |
Der Begriff „Deadnaming“ bezeichnet es, wenn Menschen mit Transgeschichte | |
bei ihrem früheren Namen und Geschlecht genannt werden. Genau das hatte | |
Palmer [3][in einer Facebook-Debatte gegenüber Pfuderer getan.] Die sah | |
darin eine gezielte Provokation. Deswegen sei das Verhalten Palmers aber | |
noch nicht justitiabel, befand nun die Staatsanwaltschaft. | |
Boris Palmers Äußerungen mögen „taktlos und unhöflich sein“, die Grenze | |
einer strafbaren Handlung erreichten sie jedoch nicht, so die | |
Staatsanwaltschaft. Es sei „höchst fraglich“, ob die bloße Erwähnung des | |
früheren Vornamens bereits eine Missachtung oder Geringschätzung der Person | |
zum Ausdruck bringe, schreibt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz. | |
Dennoch könnte Pfuderers Fall eine juristische und auch politische Debatte | |
anstoßen. Sollte Deadnaming als Beleidigung eingestuft werden? | |
## Unterschiedliche Bewertungen | |
Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt Universität, hat da | |
seine Zweifel. „Eine Beleidigung muss ehrverletzend sein“, sagt er. Wenn | |
Herr Palmer Frau Pfuderer mit ihrem ehemaligen Vornamen anspreche, lege er | |
damit zwar Frau Pfuderers transsexuelle Geschichte offen. „Jemanden als | |
transsexuell zu bezeichnen wäre jedoch nur beleidigend, wenn | |
Transsexualität als anrüchig verstanden wird“, sagt Heger. | |
„Wird jemand als ‚schwul‘ bezeichnet, werten Gerichte das heute nicht mehr | |
als Beleidigung“, so Heger – und dies unabhängig vom Wahrheitsgehalt der | |
Aussage. Jemanden als schwul zu bezeichnen, könne keine Herabsetzung seien, | |
da Homosexualität nichts Minderwertiges an sich habe. Es sei in manchen | |
Fällen zwar eine inkorrekte Bezeichnung, aber keine Beleidigung. Anders | |
verhalte es sich mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“. Dieses habe einen klar | |
herabsetzenden Charakter. | |
Diese Rechtssprechung gelte wohl auch für den Fall Pfuderer. Dass Boris | |
Palmer Maike Pfuderer mit ihrem ehemaligen Vornamen und Geschlecht | |
angesprochen hat, sei zwar nicht korrekt. „Jemanden mit dem falschen Namen | |
anzusprechen, ist jedoch keine Straftat“, sagt Heger. Dafür müsste die | |
falsche Ansprache mit eindeutigem Hohn oder Spott verbunden sein. | |
Der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein hält es hingegen für möglich, | |
dass Deadnaming auch eine Beleidigung sein kann. Er vertritt mit seiner | |
Kanzlei transidente Menschen. Für die rechtliche Bewertung von Deadnaming | |
komme es auf den Kontext an, sagt er. „Wenn ein Mensch bewusst mit dem | |
ehemals geführten Namen angesprochen wird, kann das eine zielgerichtete | |
Missachtung und Herabwürdigung darstellen.“ | |
## Schwierige Beweisführung | |
Diese Intention nachzuweisen, könne allerdings schwierig sein. Deadnaming | |
sei dann eine Form der Beleidigung, wenn daraus deutlich wird, dass „der | |
Sprecher oder die Sprecherin den betroffenen Menschen prinzipiell nicht als | |
Gegenüber mit gleichen Rechten respektiert“. | |
„Strafrechtlich ist der Fall für mich abgeschlossen“, sagt Pfuderer. Auf | |
politischer Ebene will sie jedoch aktiv werden. Im Transsexuellengesetz sei | |
ein Offenbarungsverbot zwar verankert. Dieses Verbot, nach dem ehemalige | |
Namen nicht ohne gewichtige Gründe öffentlich gemacht werden dürfen, | |
richtet sich derzeit aber nur an Behörden und ist nicht strafbewehrt. | |
„Damit ist es ein zahnloser Tiger“, sagt Pfuderer der taz. „Es hilft nich… | |
wenn wir Rechte, aber keinen Rechtsschutz haben.“ | |
Mit der Arbeitsgemeinschaft „QueerGrün“ will Pfuderer auf Bundesebene nun | |
erreichen, dass Deadnaming künftig unter Strafe gestellt wird. Gemeinsam | |
wollen sie dafür kämpfen, dass die Forderung ins Wahlprogramm der Grünen | |
zur Bundestagswahl 2021 einfließt. | |
6 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/ob.boris.palmer/posts/3561626867210153 | |
[2] /Corona-Aeusserungen-von-Boris-Palmer/!5682855 | |
[3] /Gruene-gegen-Gruenen/!5694918 | |
## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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