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# taz.de -- Konzert trotz Corona: Wir tun mal so, als wäre das echt
> Nena tritt zum Autokonzert in Brandenburg an: „Hallo ihr Lieben in euren
> Autos, ist das krass, ist das krass.“ Love-Ballons steigen auch, logo.
Bild: Nena, hier allerdings beim Konzert am 3. Oktober 2018 auf der Bühne vor …
Man hört ja, dass die Sozialforscher jetzt schon überall Projekte am Laufen
haben, was das Coronading so mit uns macht, weil ja alles nicht mehr normal
ist hier. Wir leben nämlich in einer historischen Zeit. Was hier seit März
abgeht, erinnert einen bei der Wende Dabeigewesenen aus dem Osten
tatsächlich ein bisschen an vor 30 Jahren. Jeden Tag irgendwas Neues. Für
Sonntag war wieder was Neues angekündigt, diesmal von Nena. Eine „völlig
neue Live-Erfahrung“, Sitzkonzert im Auto, das hätte „ja auch fast schon
was Historisches“. Okay, fast, denn einige Autokonzerte gab es zuletzt
schon, aber nicht in Berlin. Nun also auch hier im Autokino in Schönefeld.
Für mich ist es tatsächlich historisch, denn im Juni war ich zwar erstmals
in einem Autokino an der Ostsee, aber da spielte keine Band, sondern Hansa
Rostock im Fernsehen. Dritte Liga, gegen Waldhof Mannheim. Hansa verlor
0:1, aber der Service war gut. Per SMS konnte man Pommes und Bier
bestellen, was einem dann ans Auto gebracht wurde.
Im Schönefeld läuft das anders. Hier werden keine Bestellungen
entgegengenommen, sondern Anweisungen gegeben. Am Parkplatz-Checkpoint
bekommt man einen Infozettel. Oben steht „Herzlich Willkommen im Autokino
Berlin“, darunter wird’s ernst. Die Stichpunkte lesen sich wie von
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach diktiert: „Das Verlassen des
Fahrzeugs zum direkten Toilettengang ist genehmigt“, „Das Hupen ist während
der gesamten Veranstaltung strengstens verboten. Zuwiderhandlung führt zum
Platzverweis“.
Nach Empfang der schriftlichen Sicherheitsbefehle werden die Autos von
Securitylotsen auf die Stellplätze verwiesen. Dort stehen bald rund 600
Autos aus allen Klassen und Schichten – SUVs, Carsharing-Minis, Porsches
und abgefahrene Opel-Möhren – und blicken auf eine riesige LED-Wand, unter
der eine Bühne mit dem Konzertequipment steht.
## Ein winziges Pünktchen auf der Bühne
Neben ihr erhebt sich eine Kulisse aus DDR-Plattenbauten, einem Betonsilo
und Strommasten. Irgendwo weiter hinten rechts soll auch der sagenumwobene
BER liegen. Sieht man aber nicht, und Flugzeuge hört man auch keine vom
Schönefeld-Flughafen nebenan. Was schon mal weitere Lärmprobleme beim
Konzert verhindert.
Halb neun kommt Nena. Aus 200 Metern Entfernung in der hintersten Reihe ist
sie – rotes Glitzerjacket, dunkle Hose – als winziges Pünktchen auf der
Bühne zu sehen. Und groß auf LED. „Hallo ihr Lieben in euren Autos, ist das
krass, ist das krass.“ Die Regeln hier seien ja sehr streng, in Stuttgart
habe man wenigstens aussteigen dürfen und hupen. Das ist echt verrückt: In
Stuttgart geht was, aber nicht in Berlin! Okay, eigentlich ist das hier
auch Brandenburg.
Einige hupen. Und Nena singt „Nur geträumt“. „Wir tun alle so, als wäre…
hier heute ganz echt“, sagt sie. „Ich fühle euch.“ Eingeschlossen die
Leute, die sich die 89 Euro für ein Autoticket sparten und hinterm
Sichtschutzzaun Rotkäppchen trinken. Etliche Fans in den Wagen tun das
auch, während sie übers Autoradio die Musik hören und von Nenas spontaner
Flashmobidee: „Wir gehen alle mal gleichzeitig aufs Klo.“
Es folgt ein Nordkorea-Moment. Auf der LED-Wand wird Nena ausgeblendet und
eine Mahnung gesendet: Bleibt im Kfz, ansonsten wird die Veranstaltung
sofort abgebrochen. Nicht nötig, alles easy. „Wir werden diese absurden
Zeiten überstehen, es wird anders, aber viel geiler“, prophezeit Nena,
„Zeiten, wo es egal ist, welches Auto man fährt.“ Auch die SUVs lichthupen
und blinken ihr freundlich zu.
Aus dem Autoradio kommen „99 Luftballons“ und über dem Parkplatz schweben
echte „Love“-Luftballons. Alle blinkern und hupen und scheinen sich einig
mit Nena, als sie sagt: „Das Konzert in Berlin werde ich nie vergessen.“
28 Jul 2020
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
Nena
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