# taz.de -- taz-Sommerserie: „Sommer vorm Balkon“: Der Blick schweift weit | |
> Raus mit der S-Bahn fahren und dann mit neugierigen Pferden plaudern? Das | |
> kann man nur in der Hobrechtsfelder Rieselfeldlandschaft. | |
Bild: Auch Heimat für Konik-Pferde: die Rieselfelder rund um Hobrechtsfelde im… | |
BERLIN taz | Eigentlich ist es im Winter fast noch herrlicher dort. Aber | |
auch im Sommer hat man in der sogenannten Rieselfeldlandschaft rund um das | |
Dorf Hobrechtsfelde im Norden von Berlin manchmal das Gefühl, man befinde | |
sich in einem Traum. Egal, wo in dieser Landschaft man gerade steht oder | |
geht: Der Blick schweift stets in die Weite. Und fast jedes Mal, wenn man | |
dort wandern geht, schließt man die Bekanntschaft mit einem anderen halb | |
wilden, aber sehr neugierigen Pferd, mit einer urigen, aber ebenfalls sehr | |
naseweisen Kuh. | |
Das erste von zwanzig Großrieselfeldern für Berlin entstand 1876 in Osdorp | |
im Süden der Stadt – aber der größte Rieselfelderkomplex wurde mit 1.700 | |
Hektar genau an dieser Stelle angelegt, um Hobrechtsfelde herum, und zwar | |
im Jahr 1898. Insgesamt wurden dort 37 Millionen Kubikmeter Abwässer im | |
Jahr gereinigt. Hobrechtsfelde, das zur Bewirtschaftung der Rieselfelder | |
erbaut wurde, erhielt 1908 den Namen des preußischen Stadtplaners und | |
Erfinders der modernen Stadtentwässerung, James Hobrecht. | |
Erst 1985 wurden die Rieselfelder außer Betrieb genommen. Anwohner in den | |
angrenzenden Einfamilienhaussiedlungen von Panketal berichten immer noch | |
von dem Gestank, wenn der Wind schlecht stand. Reste der Anlagen findet man | |
vor allem südlich und nordöstlich im Gelände. | |
Bis heute ist die Hobrechtsfelder Rieselfeldlandschaft der größte bislang | |
unbebaute Freiraum im Berliner Norden. Naturschützer starteten vor | |
inzwischen fast zwanzig Jahren auf mehr als der Hälfte der Fläche das | |
größte deutsche Waldweideprojekt. Auf abgezäunten Flächen, die teilweise | |
durchwandert werden können, grasen ungefähr 120 Rinder und 80 Konik-Pferde | |
– also Ponys aus dem mittel- und osteuropäischen Raum, die Wildpferden | |
ziemlich stark ähneln. | |
Weil die Tiere nachwachsende Bäume fressen, bleiben nur alte Gehölze | |
stehen. Der ursprünglich dichte Wald wird lichter, es entsteht eine halb | |
offene Waldlandschaft. Im Spätherbst und im Winter, wenn sich Kletten in | |
den Schweifen und Mähnen der Ponys verfangen haben, trifft man sie manchmal | |
mit regelrechten Elvis-Tollen an, und es fällt manchmal nicht leicht, den | |
erwünschten Abstand zu halten – besonders dann nicht, wenn die freundlichen | |
Tiere Butterbrote im Rucksack wittern. | |
Das Tolle an halb offener Landschaft ist, dass sie manchmal an englische | |
Landschaftsgärten erinnert: Man blickt in weites Grasland, und nur selten | |
stellen sich einzeln wachsende Bäume oder kleine Gruppen von Büschen in den | |
Weg. | |
Früher, vor der Industrialisierung und vor der Einführung immer größerer | |
Traktoren und Mähdrescher, waren solche Landschaften gang und gäbe, | |
inzwischen gelten sie wegen der geringen Erträge als unrentabel. Die | |
meisten halb offenen Landschaften findet man heute noch in Form von | |
Streuobstwiesen, von Olivenhainen im Mittelmeerraum oder von Almen im | |
Gebirge. Fans solcher Landschaften meinen oft, dass man sich bis heute auch | |
deshalb so wohl in ihnen fühlt, weil der Mensch noch immer von der | |
Steinzeit geprägt ist – und damals war er gut beraten, in der freien Natur | |
den Überblick zu behalten. | |
Noch sind die Rieselfelder von Hobrechtsfelde kein Naturschutzgebiet, | |
sondern lediglich Teil des Naturparks Barnim. Die Belastung mit | |
Schwermetallen ist infolge der vergangenen Nutzung stark, das Wasser knapp. | |
Trotzdem finden Naturinteressierte zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die | |
dort, wo konventionelle Landwirtschaft betrieben wird, immer seltener | |
vorkommen. | |
Wer genau guckt, der findet am Wegesrand, was man am liebsten selbst auf | |
dem Balkon oder im Garten hätte, aber in keinem normalen Gartencenter | |
kaufen kann: Natternkopf und Lungenkraut, Baldrian und Dost, Moschus-Malve | |
und Ehrenpreis. Manchmal sieht man auch tote Mäuse an Dornbüschen hängen, | |
die der Neuntöter dort als Vorrat aufgespießt hat, oder seltene, wirklich | |
witzig aussehende Vögel wie den Kiebitz oder den Wiedehopf. | |
Und wenn gerade kein Pferd in der Nähe ist, mit dem man ein wenig plaudern | |
kann, erweisen sich auch die Kühe als wunderbare Ansprechpartner. Oft | |
wirken sie ein wenig gelangweilt, aber mit etwas Fantasie sind sie leicht | |
aus der Reserve zu locken. Man braucht beim Gehen nur etwas schrullig mit | |
dem Armen zu wedeln, und schon machen sie lange Hälse oder laufen einem gar | |
eine Weile hinterher. | |
Manche mögen bemängeln, dass es in der Gegend kaum Orte zum Einkehren gibt, | |
aber das kann man auch als Pluspunkt empfinden, denn die gibt es in der | |
Stadt ja zu Genüge. Dafür braucht man kein Auto, um hinzukommen: Vom | |
S-Bahnhof Röntgental ist man spätestens in einer halben Stunde mittendrin. | |
Und warum ist es dort im Winter sogar noch schöner? Wenn es kalt wird, sind | |
die Pflanzen verwelkt und verblüht, vielleicht sogar mit etwas Schnee oder | |
Eis überzogen. Dann leuchten die Wiesen regelrecht golden. | |
Und die Bäume haben ihr Laub verloren, und man kann noch weiter sehen. | |
30 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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