| # taz.de -- taz-Sommerserie „Sommer vorm Balkon“: Von der Sonne angetrieben | |
| > Ganz entspannt über Spree und Havel schippern: Eine „Sommer vorm | |
| > Balkon“-Sonntagsfahrt mit dem Solarboot Orca Ten Broke. | |
| Bild: Entspanntes Schippern mit dem Solarboot Orca Ten Broke | |
| Berlin taz | Eigentlich müssten jetzt die Motoren aufröhren und der | |
| beißende Schiffsdieselgeruch in die Nase steigen, Wasser am Heck durch die | |
| Rotation großer Schiffsschrauben sprudeln und das Boot vibrieren. Aber hier | |
| versäumt man das Ablegemanöver fast: lautlos entfernt sich das Schiff vom | |
| Anleger und gleitet ganz ruhig auf der Spree gen Westen, Richtung Havel. | |
| Mit seiner Holzverkleidung und der schlanken Silhouette mutet es nicht wie | |
| ein gewöhnliches Passagierschiff an. Und das ist es auch nicht: Denn der | |
| Antrieb der energetisch autarken Orca Ten Broke erfolgt elektrisch mittels | |
| Solarenergie. | |
| Bislang konnte das Schiff ausschließlich für Veranstaltungen gebucht | |
| werden, doch mit Beginn der Coronakrise war Eigentümer und Betreiber Felix | |
| Eisenhardt gezwungen, sich auch alternative Nutzungskonzepte zu überlegen. | |
| Seit Pfingsten kann man daher bei „Sonntagsfahrten“ ab 11 Uhr von | |
| Alt-Moabit Richtung Schildhorn, eine kleine Halbinsel in der Havel am | |
| Grunewald, schippern. Platz, um die derzeit nötigen Abstände einzuhalten, | |
| bietet das Boot genügend. Tickets gibt es ab 21 Euro. | |
| Das Ehepaar Krenz hat einige Tage zuvor zufällig die Orca Ten Broke | |
| entdeckt und ist nun mit an Deck. „Es gehört schon eine ordentliche Portion | |
| Mut dazu, sich mit so einer ungewöhnlichen Idee selbstständig zu machen“, | |
| so Michael Krenz. Und seine Frau Kerstin ergänzt: „Ich finde es toll, dass | |
| durch die Elektrifizierung der Boote in den Innenstädten die Luft sauberer | |
| wird.“ | |
| Bei der heutigen Fahrt spielt das Wetter mit: Es sind 27 Grad, eine leichte | |
| Brise weht und die Wolken ziehen zügig am Himmel entlang. Einige der | |
| vierzig Passagiere haben ihre Fahrräder mitgebracht: Wer möchte, kann beim | |
| Zwischenstopp am ehemaligen Wirtshaus Schildhorn das Schiff verlassen und | |
| durch den Grunewald zurückradeln. Auf dem Oberdeck tummelt sich Jung und | |
| Alt, in Grüppchen genießen sie den Ausblick auf die Uferpromenade des | |
| Westfälischen Viertels und Charlottenburg. Auch die drei Hunde an Bord | |
| spüren die Bewegung des Schiffes und wuseln aufgeregt herum. | |
| ## Flammkuchen und Kürbissuppe | |
| Weiter unten im kleinen Außenbereich vor dem Schiffsinnenraum geht es | |
| ruhiger zu. Er befindet sich direkt vor der sogenannten Brücke – dem | |
| „Kapitänshäuschen“. Das kleine Plateau vom Oberdeck erreicht man über zw… | |
| gegenüberliegende geschwungene Treppen. Oben haben sich die Gäste bereits | |
| drinnen an der Bar mit Getränken und Knabberzeug versorgt. Flammkuchen oder | |
| eine Kürbis-Ingwer-Suppe stehen ebenfalls auf der Karte. | |
| Kurz hinter der schmucken, über hundert Jahre alten Gotzkowskybrücke | |
| passiert das Schiff die Kreuzung von Spree, Landwehrkanal und | |
| Charlottenburger Verbindungskanal. Hier zeigt sich steuerbords prachtvoll | |
| das alte Heizkraftwerk Charlottenburg im Stil der Backsteingotik. Wer | |
| Eisenhardt während der Tour anspricht, kann Interessantes über die | |
| Geschichte Berlins erfahren: So sollte das im Jahre 1900 in den Betrieb | |
| gegangene Heizkraftwerk 25.000 Glühlampen gleichzeitig zum Leuchten bringen | |
| können – eine Machtdemonstration der damals noch eigenständigen Stadt | |
| gegenüber Berlin. Etwas später können aufmerksame Beobachter direkt hinter | |
| der Schlossbrücke durch die Baumwipfel zur linken Hand einen Blick auf die | |
| Fassade vom Schloss Charlottenburg erhaschen. | |
| Aber wie kommt man überhaupt auf die Idee, einen klimaneutralen, | |
| schwimmenden Veranstaltungsort zu entwickeln? | |
| Die Liebe für das Wasser hat Felix Eisenhardt schon in früher Kindheit auf | |
| dem Tegernsee entdeckt. Er ist begeisterter Segler – und wohl einer der | |
| wenigen in Berlin, der die so typisch hanseatischen Segelschuhe trägt. | |
| Seine Frau Uta hat er mit dieser Leidenschaft angesteckt, und so kam es, | |
| dass die beiden 2004 den Traum von einem eigenen Hausboot realisierten. Auf | |
| der Helene leben sie seitdem mit ihren beiden Kindern. | |
| ## Hundert Solarpaneele | |
| Bevor Eisenhardt sich selbstständig gemacht hat, arbeitete er im | |
| Veranstaltungsmanagement des Energieforums Berlin. Schließlich kombinierte | |
| er die gesammelte Expertise vom Bau der Helene und seine Erfahrungen mit | |
| dem Ausrichten von Firmenevents und -tagungen im Energieforum: Geboren war | |
| die Idee des Seminarschiffs. Das technische Konzept hat Eisenhardt, der | |
| eigentlich diplomierter Geologe ist, großteils selbst erarbeitet. Das | |
| Schiff verfügt über etwa hundert Solarpaneele mit einer Fläche von 120 | |
| Quadratmetern, die an sehr sonnigen Tagen 27.000 Watt produzieren und damit | |
| allein für den Antrieb des Schiffes und dessen Stromverbrauch an Bord | |
| sorgen. „Das ist das Äquivalent von 27 Wasserkochern“, so Eisenhardt stolz. | |
| Falls der Solarstrom an bewölkten Tagen oder im Winter einmal nicht reichen | |
| sollte, kann auf einen CO2-neutral betriebenen Generator oder Landstrom aus | |
| erneuerbaren Energien ausgewichen werden. | |
| An Deck macht sich dann bemerkbar, dass den höheren Decken im Innenraum und | |
| der Energieautarkie zuliebe doch kleine Abstriche gemacht werden mussten: | |
| Das hydraulisch verstellbare Solardeck kann bei der Sonntagsfahrt erst nach | |
| der Rohrdammbrücke hinter dem Charlottenburger Schloss hochgefahren werden, | |
| denn diese ist mit etwa fünf Metern Höhe recht tief. Bis dahin müssen sich | |
| Besucher unten im Außenbereich oder hinter der Kapitänsbrücke gedulden, wo | |
| das Solardach aufhört. Es folgt ein kurzer Hinweis, bitte jetzt nicht | |
| aufzustehen – denn sonst läuft man Gefahr, einen Kopf kürzer zu werden. | |
| Hinter der Brücke hebt sich das Solardach dann um etwa zwei Meter und gibt | |
| die Fläche darunter frei. Die Gruppen entzerren sich und die Gäste | |
| verteilen sich auf Loungemöbel aus Holz und bunten Hängematten. | |
| Um kurz vor 12 Uhr, nach einem kurzen Halt an der Schleuse Charlottenburg, | |
| findet man sich dann endgültig im Berliner Industriegebiet wieder: Zwischen | |
| großen Klinkergebäuden, Klärwerken und Lagerhallen einer Werft sind immer | |
| wieder eindrucksvolle alte Industriebauten zu sehen wie das Heizkraftwerk | |
| Reuter, das heute von Vattenfall betrieben wird. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zunächst demontiert und Ende der | |
| Vierzigerjahre von den Alliierten mithilfe der Luftbrücke wieder aufgebaut, | |
| um die Stromversorgung in Westberlin zu sichern. | |
| ## Einfach mal entschleunigen | |
| Den Gästen gefällt die kleine Zeitreise: „Dass das Boot eben nicht durchs | |
| Regierungsviertel und die Innenstadt, sondern durchs Industriegebiet fährt, | |
| finde ich total interessant“, sagt Sophia P. aus Moabit. „Auf diese Weise | |
| lernt man eine ganz andere Seite Berlins kennen.“ Ihre Familie macht an dem | |
| Tag schon das zweite Mal die sechsstündige Sonntagsfahrt mit dem Solarboot. | |
| „Hier kann man einfach mal das Nichtstun genießen und entschleunigen.“ | |
| Vorbei am Heizkraftwerk Reuter, vor der Altstadt Spandaus, begibt sich das | |
| Seminarschiff auf die Havel, an den Ufern wird es merklich grüner. | |
| Durch den kleinen Hafen in Pichelswerder hindurchgeschippert, nähert sich | |
| das Schiff dem Anleger vom ehemaligen Wirtshaus Schildhorn, ein | |
| wunderschönes denkmalgeschütztes Ensemble, das Ende des 19. Jahrhunderts | |
| entstanden ist und derzeit renoviert wird. | |
| Etwa die Hälfte der Gäste geht nun von Bord und tritt den Rückweg auf dem | |
| Rad durch den Grunewald an. Die verbliebenen Passagiere können den | |
| einstündigen Aufenthalt im Grünen für einen Spaziergang oder für eine | |
| Erfrischung nutzen: Etwa zehn Minuten vom Anleger entfernt, an der | |
| Badestelle Schildhorn, mündet der Strand flach in die Havel und lädt zu ein | |
| paar Schwimmzügen ein. | |
| ## Unbeschwert mit Musik | |
| Für Geschichtsinteressierte empfiehlt sich ein Abstecher zum | |
| Schildhorn-Denkmal am Nordwesthang der Halbinsel: Hier soll der Slawenfürst | |
| Jaxa von Köpenick 1157 bei der Flucht vor Albrecht dem Bären fast ertrunken | |
| sein. In seiner Verzweiflung rief er den verhassten „Christengott“ um | |
| Hilfe, dem er danach aus Dankbarkeit für seine Rettung sein Schild und Horn | |
| an einen Baum gehängt und die christliche Glaubenstreue geschworen haben | |
| soll – so auch die Erklärung für die Namensgebung der Halbinsel. | |
| Während der Rückfahrt herrscht bei Loungemusik eine unbeschwerte Stimmung | |
| unter den Gästen. Insgesamt ist zwar spürbar, dass sich auf dem | |
| Seminarschiff noch keine wirkliche langjährige Routine bei den | |
| Sonntagsfahrten eingestellt hat – mal hapert es beim Lautsprecher an Deck, | |
| dann ist die Suppe bereits nach einer Stunde aus oder das EC-Gerät an der | |
| Bar ist etwas eigenwillig –, aber das macht es auf sympathische Art und | |
| Weise unprätentiös und familiär. | |
| Jeder kann hier für sechs Stunden walten, wie er will: Zurückgezogen lesen, | |
| sich mit Freunden einen Schwips antrinken, Baden gehen, Radfahren, ein | |
| Nickerchen machen oder mit dem Hund spielen – jeder findet hier seinen | |
| Platz. Und so blickt man doch in sehr gelassene und zufriedene Gesichter, | |
| als das Schiff den Heimathafen Alt-Moabit am Abend gegen 17.30 Uhr wieder | |
| erreicht. | |
| Weitere Infos unter [1][www.seminarschiff.com] | |
| 23 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.seminarschiff.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Kühne | |
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