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# taz.de -- Tanzwerkstatt Europa in München: Licht am Ende des Tunnels
> Die Tanzwerkstatt Europa ist eine der größeren Kulturveranstaltungen, die
> wieder analog auf die Bühne gehen – mit einem breiten Hygienekonzept.
Bild: In Stephan Herwigs „Rhythm and Silence“ werden die Akteure einfach et…
Walter Heun muss einen besonderen Draht nach oben haben, ob man das nun
theologisch versteht oder politisch. Auch wenn er es „fortune“ nennt oder
schlicht „gutes Timing“. Die Tanzplattform Deutschland, die in diesem Jahr
unter seiner Leitung in München Station gemacht hat, war mit das letzte
kulturelle Großereignis, das vor dem Corona-Shutdown stattfinden konnte.
Vom 4. bis 8. März waren nahezu alle Veranstaltungen mit internationalen
Besuchern voll besetzt. Etwa zeitgleich kamen in Ischgl Superspreader beim
Après-Ski zusammen und die Infektionszahlen schnellten nach oben, während
sich bei der Tanzplattform laut Heun keiner infizierte.
Nun steht die [1][Tanzwerkstatt Europa an, die seine Veranstaltungsfirma
Joint Adventures] seit 1991 allsommerlich für München plant. Und sie wird
vom 28. Juli bis 7. August über die Bühne gehen; in analog und echt, mit 14
Workshops für Tanzprofis und -Amateure und 7 Performances. Anders als etwa
ImPulsTanz in Wien, das nun mit „Public Moves“ umsonst nach draußen geht
oder das Berliner Festival Tanz im August, das eine Special Edition Online
& Outdoor vom 21. – 30. August präsentiert.
Dass die Tanzwerkstatt kein Festival ist, betont Heun immer wieder. Es ist
in erster Linie ein Come-Together für Tanzschaffende, die in München
gemeinsam trainieren, die neuesten Trends im zeitgenössischen Tanz sehen
und sich darüber austauschen können. Dieser soziale Aspekt wird in diesem
Jahr natürlich leiden, sagt die Dramaturgin Veronika Wagner, die sich in
den letzten Monaten zur Hygieneexpertin weitergebildet hat.
## Vertrauensbildende Maßnahmen
„Dinge, die man nie tun wollte“, murmelt die Frau, die für Heun
„möglicherweise die Spezialistin für Coronafragen in der Stadt“ ist. In
ihrem rund vierzigseitigen Hygienekonzept sind alle fünf Veranstaltungsorte
und sämtliche Gewerke vor und hinter den Kulissen gesondert bedacht. Es
wirkt ganz klar als vertrauensbildende Maßnahme und versucht, so Wagner:
„die Balance zu finden zwischen einer optimalen Produktionssituation und
den geltenden Regeln“ – so wechselhaft und unverhältnismäßig sie teilwei…
auch sind.
So wird ein Catering wohl nicht möglich sein, und selbst geraucht werden
darf nicht vor den Locations, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Aber,
so Heun: „Wir werden kreativ.“ So wird ein Symposium zum naheliegenden
Thema „Nähe“ mit einem Picknick im Garten des Institut français kombiniert
und zu jeder vollen Stunde von der siebenminütigen Vorstellung „Fugue
Trampoline“ von Yoann Bourgeois unterbrochen werden: „Wir haben
Picknickdecken produzieren lassen, über die wir Mindestabstände einhalten
können – und Essen mitbringen ist nicht verboten.“
Was sie sonst noch anders gemacht haben als andere? „Wir sind schon früh
proaktiv auf die Künstler zugegangen und haben gesagt, dass wir zweigleisig
planen wollen: ein ganz normales analoges Programm und parallel dazu eine
Version A1, in der sie für ihr jeweiliges choreografisches Denken eine
Übersetzung für den digitalen Raum finden sollten.
Liveness und Interaktion als konstituierende Elemente der Kunstform Tanz
sollten unbedingt beibehalten werden.“ Aus diesem Dialog, sagen die
beiden, hätten sich so spannende Formate entwickelt, dass es fast schade
sei, dass sie nun nicht realisiert würden. Lediglich die Workshops finden
in einer Version statt, die sowohl analog als auch digital funktioniert.
## Finanzierung dank Draht nach oben
Natürlich – und da ist er doch, der Draht nach oben – sei das alles nur
möglich gewesen, weil der Münchner Kulturreferent Anton Biebl die
Finanzierung der Werkstatt auch für die digitale Ausgabe zugesagt hätte.
„Nur dadurch“, sagt Heun, „konnten wir auch die Künstler bei der Stange
halten“, für die der Auftritt bei der Tanzwerkstatt nach komplett
kollabierten Tourneeplänen „das Licht am Ende des Tunnels“ ist.
Die meisten von ihnen kommen mit Soli oder einer Abfolge von Soli wie in
Cindy van Ackers „Shadowpieces“ – und zwar programmgemäß: „Da stellte…
als Vorteil heraus, was wir manchmal als Manko empfunden haben“, sagt Heun,
„dass wir sowieso meist kleinteiligere Arbeiten einladen, weil die
spannenderen künstlerischen Entwicklungen eher kleinteilig sind“ – und eher
finanzierbar.
Denn während für die Workshops die laxeren Sportregeln gelten und man
einander berühren darf, dürfen die Tänzer auf der Bühne das nicht. So wurde
nur Ultima Vez’ und Wim Vandekeybus’ „Traces“ auf das kommende Jahr
verschoben, weil beide Seiten für ein hundertminütiges Gruppenstück mit
viel Körperkontakt, permanenter Aktion und entsprechendem Aerosolausstoß
wenig Realisierungschancen sahen.
Der Münchner Choreograf Stephan Herwig kann die vier Körpermusikproduzenten
in seinem Stück „Rhythm & Silence“ an brenzligen Stellen etwas weiter
auseinanderrücken, ohne dass etwas Entscheidendes verloren geht.
## Wird man die Tänzer testen können?
Unklar bleibt wohl bis zuletzt, vor welcher Version von Jefta van Dinthers
„Plateau Effect“ am 28. Juli der erste Vorhang aufgeht: Werden bis dahin
womöglich die Sportregeln auch für die Bühne gelten? Oder die des
alltäglichen Lebens? Wird man die Tänzer testen können? (Was die Bayerische
Landesregierung ja eigentlich jedem verspricht …) Oder wird van Dinther
seinen Improvisationsimpulsen eine coronaverträgliche Ausrichtung geben
müssen?
Dazu kommen die Unwägbarkeiten der Reisebeschränkungen, die Choreografen
wie den in Korea lebenden Vangelis Legakis zur Zwischenquarantäne in
Griechenland zwingen, damit sie sich ihren Workshopteilnehmern auch sicher
nähern können.
Wie viele von ihnen auch Performances besuchen können, steht bis zuletzt
noch in den Sternen, weil die derzeit fast wöchentliche Erhöhung der
zulässigen Gesamtzahl von Zuschauern von 50 auf 100 auf mittlerweile 200
Zuschauer (im Innenraum) nur etwas bringt, wenn zugleich auch die
Abstandsregeln fallen.
## Hoffnung auf schachbrettartiges Modell
Die Hoffnung auf ein österreichisch-Schweizer Modell stirbt zuletzt, das es
erlauben würde, Zuschauer schachbrettartig mit je einem freien Sitz
zwischen ihnen zu platzieren. Bleibt es bei den geltenden Regeln mit zwei
freien Sitzen und einer komplett leeren Reihe, können in der Muffathalle
nur 83 Leute Jan Martens’ und Marc Vanrunxts „lostmovements“ oder Mette
Ingvartsens „21 pornographies“ sehen.
Und im HochX, wo Noé Souliers „Portrait of Frédéric Tavernini“ für eine
einzige Vorstellung gastiert, dürften ganze 28 Zuschauer jene Beinfreiheit
genießen, die es in den Flugzeugen, Flixbussen oder U-Bahnen, mit denen sie
dort hinkommen, längst nicht mehr gibt.
In diesen Zeiten ein Festival zu organisieren, auch wenn es keines sein
will, ist eine Sisyphusarbeit mit kafkaesken Zügen. Heun nimmt es mit
Humor: „1990 habe ich meine kleine Firma Joint Adventures genannt. Jetzt
weiß ich wieder, warum.“
21 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.jointadventures.net/tanzwerkstatt-europa/
## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
Zeitgenössischer Tanz
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