# taz.de -- Rechtsextreme Drohmailserie: Polizeichef ist Job los | |
> Auch die Kabarettistin İdil Baydar wurde von hessischen Polizeicomputern | |
> ausgespäht. Nun tritt der Landespolizeipräsident zurück. | |
Bild: Geht in Rente, ein bisschen plötzlich: Landespolizeipräsident Udo Münch | |
BERLIN taz | Die [1][rechtsextreme Drohmailserie] gegen Politikerinnen und | |
Prominente, mit Schwerpunkt in Hessen, hat nun auch personelle | |
Konsequenzen. Am Dienstagnachmittag verkündete Hessens [2][Innenminister | |
Peter Beuth (CDU)] den Rücktritt von Landespolizeipräsident Udo Münch. | |
Dieser habe eingeräumt, ihn nicht rechtzeitig über Datenabfragen zu später | |
Bedrohten auf Polizeicomputern informiert zu haben, sagt Beuth. Man sei | |
sich einig, „dass eine derart herausragende Information, sowohl für die | |
Ermittlungen als auch für die politische Bewertung dieser Drohungen, | |
unmittelbar hätte erfolgen müssen“. | |
Zuletzt war bekannt geworden, dass es auch zu der Kabarettistin İdil Baydar | |
eine Datenabfrage auf einem hessischen Polizeicomputer gegeben hatte. | |
Baydar erhält seit vielen Monaten rechtsextreme Drohschreiben, nach eigenen | |
Angaben zuletzt auch von einem Absender namens „SS Obersturmbannführer“. | |
Unter dem gleichen Alias wurden zuletzt die hessische | |
Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, die Linken-Bundestagsabgeordnete | |
Martina Renner und die Berliner Linken-Fraktionschefin Anne Helm bedroht – | |
hier zusätzlich mit dem Kürzel „NSU 2.0“ und unter Angabe persönlicher | |
Adressdaten. | |
Beuth bestätigte, dass es zu Baydar eine Datenabfrage auf einem Wiesbadener | |
Polizeirevier gab. Dies und einen möglichen Zusammenhang zu der | |
Bedrohungsserie nannte er „ungeheuerlich“. Die Abfrage soll im März 2019 | |
erfolgt sein. Wer dafür verantwortlich war, sei noch nicht geklärt. Ein | |
identifizierter Beamter bestreitet offenbar die Abfrage – er wird in den | |
Ermittlungen nur als Zeuge geführt. | |
Auch im Fall Wissler erfolgte die Abfrage in Wiesbaden, und auch hier | |
bestreitet der Beamte, unter dessen Login dies erfolgte, diese Abfrage. | |
Demnach nutzten womöglich andere Polizisten seinen Account. Schon im August | |
2018 war es zudem zu „NSU 2.0“-Drohschreiben gegen die Frankfurter Anwältin | |
Seda Başay-Yıldız gekommen, auch hier mit Nennung persönlicher Daten und | |
ebenfalls zuvor abgerufener Polizeidaten, damals in einem Frankfurter | |
Revier. | |
Ermittlungen mit „höchster Priorität“ | |
Der Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen all diesen Drohungen und | |
eine Polizeibeteiligung geben könnte, „lastet schwer“, sagte Beuth. Noch | |
aber sei ein kausaler Zusammenhang nicht nachgewiesen. Die Ermittlungen | |
dazu liefen mit „höchster Priorität“. Beuth bekräftigte, dass er erst am | |
vergangenen Mittwoch von den Datenabfragen gegen Wissler und Baydar von | |
Landespolizeipräsident Münch informiert wurde. | |
Diese späte Mitteilung sei „nicht akzeptabel“. Beuth hatte zunächst das L… | |
Hessen dafür verantwortlich gemacht und einen Sonderermittler für die | |
Behörde ernannt. Mehrere Medien berichteten dann aber über interne | |
Vermerke, nach denen das LKA das Polizeipräsidium bereits im März über die | |
Datenabfrage zu Wissler informierte. | |
Dies räumte Münch, der die hessische Polizei seit zehn Jahren anführte, nun | |
ein. Er habe in einer Videokonferenz von der Datenabfrage erfahren, diesen | |
Sachverhalt aber nicht bewusst wahrgenommen und deshalb auch Beuth nicht | |
informiert. Münch selbst habe um seine vorzeitige Versetzung in den | |
Ruhestand gebeten, so Beuth. Dem sei er nachgekommen. Der Minister lobte | |
Münch als „redlichen und verbindlichen Mann“. „Er übernimmt als oberster | |
Polizist Verantwortung für Versäumnisse, die er nicht allein zu vertreten | |
hat.“ | |
İdil Baydar machte der Polizei dagegen schwere Vorwürfe. „Was ich wirklich | |
seltsam finde, ist, dass sich kein einziger Polizist bei mir meldet“, sagte | |
sie der taz. „Meine Bedrohungslage scheint der Polizei egal zu sein.“ Auch | |
Martina Renner und Anne Helm hatten das LKA scharf kritisiert. Seda | |
Başay-Yıldız sagte dagegen, das LKA sei die einzige Institution, die sie | |
schütze. | |
Opfert sich der Präsident? | |
Beuth kündigte nochmals Reformen bei der hessischen Polizei an. Alle | |
Strukturen würden nun „gründlich geprüft“, um Missstände abzustellen. A… | |
sollen alle Polizisten neue Log-in-Daten für die Datensysteme erhalten und | |
eine Weitergabe bestraft werden. Man drücke den „Reset-Knopf“. | |
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen zu den Drohmails | |
führt, erklärte, dass sie in dem Komplex seit August 2018 „unter | |
Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden und kriminalistisch sinnvollen | |
Ermittlungsmöglichkeiten ohne Unterlass“ ermittele. Neben den Beschuldigten | |
seien mehr als 30 Zeugen befragt und eine Vielzahl an | |
Kommunikationsüberwachungen veranlasst worden. Dass die Bedrohungen aber | |
„aus der Anonymität des Internets“ kämen, schaffe Herausforderungen. | |
Die hessische SPD nannte den Münch-Rücktritt einen „Akt der politischen | |
Verzweiflung“. Dessen Loyalität zu Beuth sei legendär. Dass er den Minister | |
nicht informierte, sei „schlicht nicht glaubhaft“. Der Polizeipräsident | |
opfere sich, um Beuth zu schützen. Auch die Linke forderte, dass sich Beuth | |
„nicht länger wegducke“ und für Fehler geradestehe. | |
14 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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