| # taz.de -- Ethikrat-Gründerin über Coronamaßnahmen: „Wir brauchen mehr Pa… | |
| > Die Initiative Niedersächsischer Ethikrat fordert, dass Kinder und | |
| > Jugendliche in die Planung von Coronamaßnahmen einbezogen werden. | |
| Bild: Würde wohl gern dort spielen: Mädchen vor einem abgesperrten Spielplatz | |
| taz: Frau Wernstedt, Sie haben Ende April die Initiative Niedersächsischer | |
| Ethikrat (INE) mitgegründet. Was war der Anlass? | |
| Thela Wernstedt: Wir haben uns zu dem Zeitpunkt kirchlicherseits, aber auch | |
| parlamentarischerseits große Sorgen um Menschen in Pflegeheimen und in der | |
| ambulanten Versorgung gemacht. Die Befürchtung war, dass durch die | |
| rigorosen, nachvollziehbaren Maßnahmen nicht auf deren Bedürfnisse | |
| eingegangen wird. Der schwierigen Abwägung zwischen strengen Notlösungen | |
| auf der einen und Schadensbegrenzung auf längere Sicht auf der anderen | |
| Seite wollten wir Ausdruck verleihen. | |
| Sie fordern insbesondere eine stärkere Einbindung von jungen Menschen in | |
| Entscheidungsprozesse. | |
| Schon Ende April war uns klar, dass es noch mehr Stimmen in der Bewältigung | |
| der Krise braucht. Während der letzten Wochen haben wir uns als | |
| Ethikrat-Initiative selbst sortiert, und unsere Schwerpunkte verändert. Die | |
| Situation von alten Menschen hat sich unserem Eindruck nach verbessert – | |
| etwa durch die Öffnung der Altenheime. Nun macht uns der Umgang mit jungen | |
| Menschen mehr Sorgen. | |
| Inwiefern? | |
| Wir wollen uns für eine andere Sichtweise auf Kinder und Jugendliche in der | |
| Krisenbewältigung einsetzen. Sie müssen nicht nur bespielt und versorgt | |
| werden, oder sind Anhängsel von Eltern, sondern haben ein eigenes Recht auf | |
| Bildung und Partizipation. | |
| Wie wollen Sie Ihre Forderungen umgesetzt sehen? | |
| Wir haben kein offizielles Mandat, sondern geben Denkanstöße für Politik, | |
| Verwaltung und Öffentlichkeit. Natürlich können wir auch nicht wissen, ob | |
| es eine zweite Welle gibt. Trotzdem wollen wir uns jetzt schon Gedanken | |
| machen, wie mit Kindern und Jugendlichen umgegangen werden kann, wenn nach | |
| der Sommerpause Kindertagesstätten und Schulen wieder öffnen. | |
| Wie soll die Einbindung von jungen Menschen in Entscheidungsprozesse | |
| konkret aussehen? | |
| Zur langfristigen Bewältigung der Krise ist mehr Partizipation notwendig – | |
| das wollen wir thematisieren. Wir planen Anhörungen für Anfang September, | |
| zu denen Jugendverbände, einzelne, für etwas repräsentative Jugendliche, | |
| und natürlich auch professionelle Organisationen, die sich mit jungen | |
| Menschen beschäftigen, eingeladen werden sollen. Das Format – ob etwa eine | |
| Anhörung wie aus dem parlamentarischen Bereich das Richtige ist – | |
| diskutieren wir gerade. | |
| Hätte die Politik von Anfang an mehr Rücksicht auf junge Menschen nehmen | |
| müssen? | |
| Wir sagen nicht, dass die anfänglichen Wochen schlecht gelaufen sind. Wir | |
| wussten, dass auch rigorose Isolationsmaßnahmen und ein Herunterfahren des | |
| gesellschaftlichen Lebens – inklusive Schulschließungen – nötig sein | |
| können. Ein paar Wochen lang funktioniert das. Eine Pandemie ist allerdings | |
| eine andere, sehr viel längere, Form der Krise als etwa eine | |
| Massenansammlung von Verletzten nach einem Flugzeugabsturz und betrifft die | |
| gesamte Gesellschaft. Das geht über Monate, über ein Jahr und länger. In | |
| der Langfristigkeit liegen Gefährdungen für bestimmte Gruppen, die auf | |
| Hilfe von außen angewiesen sind. | |
| Wie kann ihnen geholfen werden? | |
| Krisenstäbe der Regierungen und Kommunen können nicht die gesamte Fülle der | |
| Lebensbedingungen überblicken. Es braucht den Blick der Betroffenen. Es | |
| gilt in verantwortlicher Weise eine Abwägung zwischen den berechtigten | |
| Interessen der Kinder und Jugendlichen nach Zusammensein und Lernen und dem | |
| Allgemeinwohl nach Eingrenzung der Infektionsherde und einer geringen Zahl | |
| von Schwerkranken unter Berücksichtigung vieler Perspektiven zu | |
| ermöglichen. | |
| Dass junge Menschen Mitspracherecht fordern, ist nicht neu. | |
| Die Jugendlichen, die etwa bei Fridays for Future mitmachen, verschaffen | |
| sich schon selbst Gehör. Deshalb geht es uns gar nicht so sehr um diese | |
| Gruppe. Gehörtwerden ist in vielen Bereichen des Kinder- und Jugendrechts | |
| eine wichtige Frage, etwa bei Scheidungsverfahren und dem Aushandeln von | |
| Umgangsrechten. Wo es um das Kindeswohl geht, müssen wir noch viel stärker | |
| darauf achten, Kindern auf angemessene Art und Weise Gehör zu verschaffen. | |
| Das ist ein Thema, dass in vielen Kinder- und Jugendpolitikbereichen seit | |
| vielen Jahre präsent ist. Wenn sie auch bei diesen Fragen nach der Krise | |
| mehr gehört werden, hat sich viel bewegt. | |
| Welche langfristigen Ziele hat Ihre Initiative? | |
| Momentan sammeln und formulieren wir weitere Themen, etwa zu Wirtschafts- | |
| und Gleichberechtigungsfragen. Wir sind überzeugt, dass diese Pandemie | |
| nicht spurlos an uns vorbeigehen wird, dass es auch längerfristige | |
| Veränderungen in politischen Bereichen geben muss und wird. Wenn am Ende | |
| mehr und andere Formen von Partizipation der Bürgergesellschaft an | |
| politischen Prozessen ausprobiert, und für gut befunden wurden, dann ist | |
| das etwas Schönes, was wir in unserer Gesellschaft tun können. | |
| 6 Aug 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Carlotta Hartmann | |
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