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# taz.de -- Streit um Polizeieinsatz: „Massive Gewalt“
> Hat sich die Polizei bei den Auseinandersetzungen an dem
> Quarantäne-Wohnblock in Göttingen verhältnismäßig verhalten? Dazu gibt es
> mehrere Meinungen.
Bild: Kundgebung am Zaun: Die Bewohner des unter Quarantäne gestellten Wohnkom…
Göttingen taz | 13 Ermittlungsverfahren, 36 Tatverdächtige, elf verletzte
Beamte sowie „eine lange Liste“ von Straftatbeständen: Gut sechs Wochen
nach den [1][heftigen Auseinandersetzungen] zwischen Bewohnern eines
Wohnblocks in Göttingen, der im Juni unter Quarantäne stand, und der
Polizei hat die danach eingesetzte Sonderkommission jetzt eine vorläufige
Bilanz vorgelegt. Gleichzeitig erneuern linke Gruppen ihre Kritik an
„massiver Gewalt“ der Polizei. Der Solidaritätsverein „Rote Hilfe“ pra…
unverhältnismäßige Ermittlungsmethoden an und ruft zu politischer und
finanzieller Unterstützung der von Strafverfahren betroffenen Personen auf.
In den als soziale Brennpunkte geltenden Hochhäusern hatten sich etwa 120
Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Die Stadt Göttingen ordnete
daraufhin am 18. Juni für die rund 700 gemeldeten Bewohner Tests an und
verhängte eine Ausgangssperre. Unter ihnen sind viele Hartz-IV-Empfänger
und Migranten, auch etwa 200 Kinder und Jugendliche leben dort in prekären
Verhältnissen. Für knapp 600 Bewohner übernimmt die Stadt die Mietkosten.
Alle durften die Gebäude für eine Woche nicht verlassen, die Zugänge zu dem
Komplex wurden verschlossen. Zwei Tage später eskalierte die Situation:
Mehrere Dutzend der eingesperrten Bewohner rüttelten an den Absperrungen
und bewarfen Polizisten mit Gegenständen, Beamte setzten Tränengas ein.
Zeitgleich demonstrierten etwa 250 junge Leute in unmittelbarer Nähe der
Gebäude gegen „Mietenwahnsinn“.
Wie die Polizei am Montag mitteilte, wurden inzwischen Ermittlungsverfahren
wegen schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs auf
Polizeivollzugsbeamte, gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung,
Sachbeschädigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung, versuchter
schwerer Brandstiftung sowie wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz
eingeleitet. Ermittelt werde derzeit gegen 36 Tatverdächtige, von denen 25
von der Sonderkommission sicher identifiziert worden sein. „Die
Identifizierung weiterer Tatverdächtiger dauert an“, sagte eine
Polizeisprecherin.
Ihren Angaben zufolge wurden bei den Ausschreitungen insgesamt elf
Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt. Drei von ihnen seien vorerst nicht
mehr dienstfähig gewesen. Die Betroffenen seien unter anderem von
Pflastersteinen getroffen oder mit Gegenständen, wie beispielsweise
Metallstangen, beworfen worden.
Göttingens Polizeichef Uwe Lührig kündigte zudem eine „gesonderte
rechtliche Prüfung“ des Verhaltens von Demonstranten an, die Beifall
geklatscht hätten, als die Einsatzkräfte beworfen und verletzt wurden. „Bei
allen Differenzen, die es zwischen Polizei und Demonstranten geben mag,
haben auch die Einsatzkräfte ein Mindestmaß an Respekt und Achtung
verdient“, so Lührig. Denn sie setzten sich jederzeit für die Sicherheit
der Bürger sowie den Bestand von Demokratie und Verfassung ein.
Daran hegt die Rote Hilfe Zweifel. Die Polizei habe am 20. Juni
Pfefferspray auch gegen Kleinkinder eingesetzt, Demonstranten seien äußerst
„gewaltvoll“ festgenommen worden. Auch in den Folgetagen seien Beamte in
die abgesperrten Wohnblöcke eingedrungen, um einzelne Bewohner
festzunehmen.
Überhaupt sei die für die Hochhäuser verhängte Vollquarantäne
unverhältnismäßig gewesen. Die Stadtverwaltung sei organisatorisch zudem
nicht in der Lage gewesen, die Versorgung der Bewohner sicherzustellen.
„Stattdessen wurde versucht, die Betroffenen mit Polizeigewalt
einzuschüchtern und buchstäblich für Ruhe zu sorgen“, sagte ein Sprecher
der Roten Hilfe. Die Initiative fordert „komplette Straffreiheit für alle
Betroffenen“, weil die Situation erst durch den unrechtmäßigen
Polizeieinsatz entstanden sei.
Selbst die Göttinger CDU-Ratsfraktion bemängelt inzwischen die Wohn- und
Mietsituation in den betreffenden Gebäuden. Jedes Jahr überweise die Stadt
rund eine Million Euro direkt auf die Konten der Vermieter. Sie halte damit
– wenn auch ungewollt – ein System aus Immobilienspekulationen und
Profitmaximierung am Leben.
Die Gruppe Basisdemokratische Linke stellte unterdessen das Göttinger
Rathaus symbolisch unter Quarantäne. „Aufgrund einer akuten Gefährdungslage
für die Stadtgesellschaft müssen wir das Rathaus leider vorerst abriegeln“,
sagte eine Sprecherin. Mit der Aktion sollte die Wohnungs- und
Krisenpolitik der Stadtverwaltung kritisiert werden. Mitglieder der Gruppe
hatten ein Stück Zaun mitgebracht und sich Schutzanzüge übergezogen, um die
Situation während der Quarantänezeit in dem Wohnkomplex nachzubilden, vor
dem es am 20. Juni zu den Auseinandersetzungen gekommen war.
4 Aug 2020
## LINKS
[1] /Ausschreitungen-wegen-Corona-Quarantaene/!5690924
## AUTOREN
Reimar Paul
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