# taz.de -- Digitales Lernen im Kinderzimmer: Vom Sofa in die Abofalle | |
> Der Staat will digitales Lernen fördern. Unternehmen freuen sich über den | |
> direkten Draht ins Kinderzimmer und nutzen das zuweilen aus. | |
Bild: Eine Goldgrube für zweifelhafte Geschäftsleute? Schularbeiten am heimis… | |
BERLIN taz | Seit im März die Schulen geschlossen worden sind, ist Peter | |
Behrens* im Nebenjob auch Lehrer. Seine beiden Kinder haben einige Stunden | |
pro Woche Unterricht in der Schule und verbringen ansonsten einen Großteil | |
ihrer Unterrichtszeit zu Hause. | |
Um SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen den Hausunterricht zu erleichtern, | |
haben Bund und Länder am 26. März beschlossen, den Ankauf von | |
Lernprogrammen zu fördern. Hundert Millionen Euro haben | |
Kultusministerkonferenz und Bundesbildungsministerium für diesen Zweck | |
bereitgestellt. | |
Den Gebrauch eines solchen Lernprogramms empfahl auch eine Lehrkraft an der | |
Berliner Schule von Behrens’ jüngstem Kind. „Die Lehrkraft hat mehrere | |
Familien direkt aufgefordert, ihre Kinder bei Sofatutor anzumelden“, | |
erzählt Behrens. Dieses Unternehmen stellt Lehrkräften | |
Unterrichtsmaterialien kostenlos zur Verfügung und verteilt seit Beginn der | |
Coronapandemie vermehrt Gutscheincodes und Probe-Abos. | |
Zu Beginn sind diese Programme noch kostenlos, doch nach Ablauf der | |
dreißigtägigen Probezeit folgt die unangenehme Überraschung: „Sofatutor | |
lockt Eltern in Knebel-Abos“, sagt Behrens. „Machen die NutzerInnen einen | |
Fehler, landen Sie in einem Zweijahres-Premium-Abo, für das sofort 430 Euro | |
abgebucht werden.“ So war es jedenfalls bei ihm. | |
## 2011 gab es noch Preise für Sofa-Tutor | |
Vera Fricke ist beim Bundesverband Verbraucherzentrale zuständig für | |
Bildung. Sie hat langjährige Erfahrung mit Werbung im Bildungssystem und | |
rät Betroffenen, sich bei vergleichbaren Fällen direkt an den | |
Verbraucherschutz zu wenden. Man sei „diesbezüglich schon geübt“. | |
Zu Sofatutor möchte sie sich nicht direkt äußern, sie spricht aber von | |
systematischen Vorgängen. Ihre Forderung: „Der Gesetzgeber muss Grauzonen | |
schließen, sodass Lehrkräfte nicht alleingelassen werden und ohne passende | |
Ausbildung bei Material und Plattformen differenzieren müssen.“ Die | |
Grauzonen sind in ihren Augen die „Einfallstore“, die es im Bildungssystem | |
„bis zum Umkippen“ gebe. | |
Sofatutor-Gründer Stephan Bayer verwahrt sich indes gegen den Vorwurf, dass | |
Kunden in Abo-Fallen gelockt würden: „An sechs verschiedenen Stellen weisen | |
wir auf Kosten und Ende des Probe-Abos hin. Wir arbeiten nicht mit | |
Abo-Fallen.“ Die Aussage sei „kränkend, kriminalisierend und falsch“. Man | |
leiste in schwierigen Zeiten einen Beitrag zur Unterstützung der Schulen, | |
müsse dabei aber die Balance zwischen Helfen und Wirtschaftlichkeit halten. | |
In seinen Augen sind die monatlichen Kosten von 15 bis 20 Euro fair und von | |
jeder Familie stemmbar, da Einzelnachhilfestunden meist ebenfalls nicht für | |
unter 20 Euro pro Sitzung zu bekommen sein. Außerdem sei man „in hundert | |
Prozent der Beschwerdefälle“ kulant und würde nicht gewünschte Abos wieder | |
annullieren. | |
Auf der Lernplattform des Berliner Unternehmens schauten sich zu | |
Jahresbeginn bereits mehr als anderthalb Millionen NutzerInnen Erklärvideos | |
an, machten interaktive Übungen oder chatteten mit LehrerInnen. Im Zuge der | |
Coronakrise haben sich die Nutzerzahlen auf sechs Millionen NutzerInnen pro | |
Monat vervierfacht. Mittlerweile arbeiten auch mehr als fünftausend Schulen | |
mit Sofatutor zusammen. Das Unternehmen wurde 2011 vom Bundespräsidenten | |
als Ort im Land der Ideen preisgekrönt. In Bremen wurde Sofatutor sogar | |
landesweit ins Schulsystem integriert, Zugänge für Schüler werden aus | |
Landesmitteln bezahlt. | |
## Ein „ausgesprochen lukrativer Absatzmarkt“ | |
Privatwirtschaftliche Unternehmen spielen im Bildungssystem eine immer | |
größere Rolle. Das belegen nicht nur die Geschäftszahlen von Sofatutor und | |
Konkurrenzanbietern. Eine im Mai im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung | |
veröffentlichte Studie zur [1][„Ökonomisierung schulischer Bildung“] geht | |
davon aus, dass die Coronakrise diesen Prozess noch weiter vorantreibt. | |
Die Pandemie, die eindrucksvoll den dringenden Bedarf an digitaler | |
Ausstattung von Schulen belegt, ermögliche „Digitalkonzernen einen | |
großflächigeren Zugang zu den Schulen“ und in Zeiten von Homeschooling auch | |
ins Kinderzimmer, meint Tim Engartner, Autor der Studie. | |
Engartners Studie legt nahe, dass Bund und Länder nicht zuletzt durch den | |
[2][Anfang 2019 beschlossenen DigitalPakt Schule] Digitalkonzernen einen | |
„ausgesprochen lukrativen Absatzmarkt“ geschaffen haben. Aus diesem | |
DigitalPakt stammt auch das Geld für Softwareprogramme. | |
Sofatutor hat mittlerweile einen Abonnenten weniger. Nach deutlicher | |
schriftlicher Beschwerde hat das Unternehmen den Vertrag mit Behrens | |
aufgelöst und die entstandenen Kosten zurückgezahlt. Dass sich die | |
Privatwirtschaft im schulischen Bereich bis zum Bankkonto schmuggelt, | |
findet Behrens nicht korrekt. | |
* Der Name wurde auf Wunsch des Protagonisten geändert. | |
24 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_6-2020_Oe… | |
[2] /Digitalpakt-verabschiedet/!5575155 | |
## AUTOREN | |
Bennet Groen | |
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