# taz.de -- Volkshochschulen und Corona: Ohne Kurs nix los | |
> VHS-Dozent*innen in Berlin dürften nun wieder unterrichten. Doch viele | |
> Kurse fallen weiter aus, weil die Bezirke die Organisation verschlafen | |
> haben. | |
Bild: Da fanden sie noch statt: Sprachkurs an einer Volkshochschule in Berlin | |
Monika Richter würde gerne arbeiten, aber sie darf nicht. Normalerweise | |
bringt sie Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, Deutsch bei. | |
Sie ist Volkshochschuldozentin für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Doch | |
ihre Kurse an der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg fallen auf | |
unbestimmte Zeit aus. Eigentlich bieten die Berliner Volkshochschulen nach | |
der pandemiebedingten Schließung seit Anfang Juli wieder Präsenzunterricht | |
an – in Friedrichshain-Kreuzberg aber nur sehr eingeschränkt. Richter | |
verdient deshalb kein Geld und ihre Kursteilnehmer*innen lernen kein | |
Deutsch. | |
Monika Richter heißt eigentlich anders. Aus Angst davor, ihren Job zu | |
verlieren, möchte sie nur anonymisiert in diesem Text vorkommen. Bis Ende | |
Juni hat die Dozentin Ausfallhonorare für die wegen Corona ausgefallenen | |
Kurse erhalten. Jetzt steht sie erst mal ohne Honorar da. | |
Am 16. März wurde offiziell beschlossen, dass an den Volkshochschulen im | |
Zuge der Kontaktbeschränkungen bis auf Weiteres keine Kurse stattfinden | |
können. Der Finanzsenat entschied, die Honorarzahlungen an die Lehrkräfte | |
für die bereits vereinbarten Kurse fortzuführen. „Das war ein Kampf, die | |
Zusagen kamen immer erst nach und nach“, sagt Richter. Und sie seien an | |
Bedingungen geknüpft gewesen. Die Dozent*innen seien angehalten worden, | |
Onlinekurse zu entwickeln und anzubieten und an Fortbildungen teilzunehmen. | |
## Unklare Vorgaben | |
Das Problem dabei: Die Vorgaben seien nicht eindeutig gewesen. Das erzählt | |
Beate Strenge, Sprecherin der Berliner VHS-Dozent*innen-Vertretung, die für | |
bessere Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte kämpft. „Manche Volkshochschulen | |
waren total streng in der Auslegung, andere sehr großzügig“, sagt sie. Für | |
die Dozent*innen bedeutete das monatelange Unsicherheit. „Wir sind | |
ausgebildet für Präsenzkurse. Das ist unsere Qualifikation“, sagt Strenge. | |
Nicht jede Lehrkraft könne einfach so auf Onlineunterricht umstellen, dafür | |
fehle es an den Voraussetzungen. | |
Strenge ist seit Anfang Juli wieder als Dozentin im Einsatz, vor Ort und | |
gemeinsam mit ihren Schüler*innen. „Ich habe gerade einen Kurs gestartet. | |
Die Teilnehmer*innen sind so froh, dass sie wieder unter Leute kommen und | |
Deutsch lernen dürfen“, erzählt sie. Die Volkshochschule Mitte, für die sie | |
arbeitet, habe mit viel Engagement die Voraussetzungen dafür geschaffen, | |
dass der Unterricht im Juli wieder starten konnte. Man habe dort ein | |
Konzept entwickelt, das nun gut laufe und den Präsenzunterricht mit | |
Coronahygieneregeln ermögliche. | |
An der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg, wo Richter arbeitet, ist | |
die Situation anders. In einer Mail an die Dozent*innen, die der taz | |
vorliegt, schreibt der Direktor der VHS, der Deutsch-Bereich sei in den | |
kommenden Wochen nur erschwert erreichbar und die Planung neuer Kurse müsse | |
aufgeschoben werden. | |
## Keine neuen Kurse | |
Gegenüber der taz äußert sich anstelle der Volkshochschulleitung lediglich | |
die Pressestelle des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Ein Sprecher | |
schreibt zwar: „Derzeit finden Kurse in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache | |
statt.“ Neue Kurse für das kommende Semester sind das aber nicht. Angeboten | |
werden nur Kurse, die im März wegen Corona unterbrochen wurden und nun auf | |
Druck des Jobcenters hin beendet werden müssen. Sich in | |
Friedrichshain-Kreuzberg für einen Deutschkurs anzumelden ist aktuell nicht | |
möglich. Das Bezirksamt äußert sich nicht dazu, wie lange das so bleiben | |
soll. | |
Richter kann also auf unbestimmte Zeit keine Deutschkurse geben – und sie | |
versteht nicht, warum das so ist. Es gehe einerseits um die | |
Teilnehmer*innen, die Deutschkenntnisse benötigten, um eine | |
Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Andererseits gehe es um die VHS selbst, | |
die mit der Durchführung der Kurse zusammenhängende Drittmittel vom | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dringend benötige. Und es gehe um | |
die Dozent*innen, die kein Geld verdienen, wenn sie keine Kurse geben | |
dürfen. | |
## Keine finanzielle Absicherung | |
Problematisch ist das besonders deshalb, weil VHS-Dozent*innen in | |
Deutschland keinerlei soziale Absicherung besitzen. Theoretisch könnte | |
Richter jederzeit komplett von ihren Kursen abgesetzt werden – wie eine | |
Kollegin von ihr im Januar 2019. Nach 27 Berufsjahren endete ihre Arbeit | |
für die VHS Friedrichshain-Kreuzberg mit einer E-Mail. Eigentlich standen | |
ihre Kurse bereits im gedruckten Programmheft, dann bekam die Dozentin die | |
Mitteilung, dass sie in Zukunft nicht mehr im bisherigen Umfang | |
unterrichten dürfe. Dagegen klagt sie nun. | |
Monika Richter hofft, möglichst bald wieder Kurse geben zu dürfen. Seit | |
vielen Jahren ist sie Dozentin im Fach Deutsch. Der Job wird sie ohne | |
zusätzliche finanzielle Absicherungen in die Altersarmut führen. Wer 39 | |
Jahre lang als VHS-Dozent*in gearbeitet hat, muss laut Verdi mit 650 Euro | |
Rente auskommen. Warum Richter diesen Job trotzdem noch macht? „Diese Frage | |
stelle ich mir auch“, sagt sie. „Aber es ist eine der schönsten Arbeiten, | |
die ich mir vorstellen kann. Es kommt so viel Wertschätzung zurück.“ Von | |
den Kursteilnehmer*innen, nicht vom Arbeitgeber. | |
21 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Lukas Waschbüsch | |
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