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# taz.de -- Prekäre Arbeitsbedingungen: VHS-DozentInnen sind arm dran
> DozentInnen an Volkshochschulen unterrichten zum Beispiel Deutsch für
> Fremdsprachler. Ihre Jobs sind prekär. Eine Dozentin geht jetzt vor
> Gericht.
Bild: Die Sprache zu beherrschen ist für Integration unabdingbar. Dafür brauc…
Im Januar 2019 erhält Inez Sand eine E-Mail. Sie ist Dozentin für das Fach
„Deutsch als Fremdsprache“ an der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg,
die E-Mail kommt von ihrer damaligen Direktorin Bärbel Schürrle und
beinhaltet Sands Kündigung. 27 Jahre lang unterrichtete die Dozentin
AusländerInnen in deutscher Sprache, erledigte wichtige Integrationsarbeit
– und wird nun per elektronischer Mitteilung vor die Tür gesetzt.
Inez Sand heißt eigentlich anders, fürchtet aber, dass ihre Chancen auf
eine Arbeitsstelle bei anderen Volkshochschulen in Berlin schwinden würden,
wäre ihr Name in der Zeitung zu lesen. Am 23. September startet ihr
Gerichtsprozess gegen die VHS. Sand kämpft um eine Entschädigung, die
Gewerkschaft Verdi unterstützt sie. André Pollmann, bei Verdi
Fachbereichsleiter für Bildung, Wissenschaft und Forschung, sagt der taz:
„Wir führen einen individualrechtlichen Prozess, der aber für das große
Ganze steht.“
DozentInnen an Volkshochschulen in Deutschland arbeiten auf Basis
kurzfristig geschlossener Honorarverträge. „Gerade im Sprachbereich
übernehmen die DozentInnen langfristige Aufgaben, bekommen aber nur
kurzfristige Verträge angeboten“, sagt Pollmann. Er fordert
Planungssicherheit für die DozentInnen und einen Bestandsschutz: „Wer in
einem gewissen Volumen arbeitet, darf nicht von jetzt auf gleich
heruntergestuft werden.“
Sands Kündigung voraus gingen Streitigkeiten mit Maik Walter, dem damaligen
Fachbereichsleiter „Deutsch als Fremdsprache“ der VHS. Im Herbst 2017 ins
Amt gekommen, habe er zunächst regelmäßige Planungstreffs abgeschafft,
erzählen ehemalige KollegInnen Sands der taz. Auch sie möchten anonym
bleiben – aus Angst um ihren Job. „Walter hat einen autoritären
Führungsstil mitgebracht“, sagen sie. Statt gemeinsam mit allen DozentInnen
über Planungsfragen zu sprechen, seien Kurse plötzlich im Hinterzimmer
verteilt worden.
## Glück beim Puzzeln
Als eine längere Krankheit Sand Ende 2017 dazu zwang, ihre Kurse
vertretungsweise abzugeben, teilte Walter ihr schriftlich mit, es sei nicht
sicher, ob sie den Unterricht noch mal übernehmen könne. Bei einem Pool aus
fast 100 DozentInnen glücke das „Puzzlespiel“ der DozentInnenverteilung
zwar in vielen Fällen, es gehöre aber immer auch „ein Quäntchen Glück“
dazu, schrieb er Sand in einer E-Mail, die der taz vorliegt. Walter
puzzelte dann doch zu Sands Gunsten, die Dozentin konnte ihre Kurse wieder
übernehmen.
Etwa ein Jahr später passte das Puzzleteil Inez Sand aber nicht mehr ins
Gesamtbild: Sie erzählt, Walter habe ihr im Dezember 2018 mitgeteilt, er
führe eine neue Altersregelung ein, ihr Arbeitspensum werde halbiert – das
habe sie schockiert. Im Programmheft, das die VHS jedes Jahr produziert,
waren ihre Kurse bereits mit ihrem Namen aufgeführt, nun sollte sie sie
doch abgeben.
Das Programmheft ist für Verdi und Sand wichtiger Beleg dafür, dass Sands
Kurse bereits fest vereinbart waren und ihre gerichtliche Forderung nach
finanzieller Entschädigung rechtens ist. Zum Schuljahr 2019/2020 wurde
vonseiten der VHS eine Änderung im neuen Programmheft eingeführt: Die Namen
der kursleitenden DozentInnen tauchen nirgendwo mehr auf.
Nach einem zweiten, ergebnislosen Treffen mit Walter verfasste Sand eine
ausführliche E-Mail, die der taz ebenfalls vorliegt. Darin fasste sie die
Gespräche in wesentlichen Punkten zusammen und bat Walter, sie zu
bestätigen. Es antwortete nur die damalige Direktorin Schürrle – mit der
Kündigung.
Die VHS Friedrichshain-Kreuzberg erklärt auf taz-Anfrage, sie befürworte
die adäquate Bezahlung von Honorarkräften, könne zu laufenden Verfahren
aber keine Stellung beziehen. Walter selbst, mittlerweile vom
Fachbereichsleiter zum Direktor aufgestiegen, äußerte sich bis zum
Redaktionsschluss am Montag nicht.
## Kaum Geld für DozentInnen
Voll arbeitende VHS-DozentInnen verdienen nach Abzügen weniger als 20.000
Euro im Jahr. Für eine Unterrichtseinheit von je 45 Minuten Unterricht und
45 Minuten Vor- und Nachbereitung, erhalten sie 35 Euro, davon zahlen sie
beispielsweise den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberanteil ihrer
Rentenversicherung. Das alleine sind rund 20 Prozent Abgaben. Deshalb
erhalten DozentInnen in Berlin mittlerweile Zuschläge vonseiten der Stadt
und kommen auf 44 Euro pro Unterrichtseinheit.
Der Gewerkschafter Pollmann erklärt aber, eigentlich sei für die
DozentInnen ein Lohn von 60 Euro pro Unterrichtseinheit angemessen, um
faire Verhältnisse zu schaffen. Nicht nur deshalb, weil Kurse auch vor- und
nachbereitet werden müssen, erzählen die KollegInnen. Viele der
KursteilnehmerInnen benötigten Hilfe bei bürokratischen Aufgaben, etwa bei
der Anmeldung ihrer Kinder in einer Kita oder bei Problemen mit der eigenen
Hausverwaltung.
Wer derzeit als VHS-DozentIn tätig ist, muss damit rechnen, in die
Altersarmut abzurutschen. Nach 40 Berufsjahren liegt die Rentenprognose bei
etwa 900 Euro pro Monat. „Prekäres Arbeiten wird bei DozentInnen an
Volkshochschulen auf die Spitze getrieben“, sagt Pollmann. „Es gibt
keinerlei Arbeitnehmerrechte, keine arbeitsrechtliche Vertretung. Der
Status als Selbstständige darf nicht dazu führen, dass VHS-DozentInnen
gegenüber Angestellten Lehrkräfte dritter Klasse sind.“
Warum tun sich die DozentInnen diesen Job an? Ein Kollege Sands erzählt von
einem Kurs, an dem eine Palästinenserin und eine Israelin teilnahmen. Zu
Beginn habe die Israelin Gebäck mitgebracht. Die Palästinenserin habe sich
geweigert, davon zu probieren. Einige Monate später, nachdem sich die
TeilnehmerInnen kennen und schätzen gelernt hatten, sei er auf eine
Kursparty bei der Israelin zu Hause eingeladen worden. Veranstaltet wurde
die Feier von der Israelin und der Palästinenserin gemeinsam.
17 Sep 2019
## AUTOREN
Lukas Waschbüsch
## TAGS
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