Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tod in Polizeigewahrsam: Wie starb Rooble Warsame?
> Im Februar 2019 starb der Somalier in einer Schweinfurter Polizeizelle.
> Die genauen Umstände des Todes sind noch immer unbekannt.
Bild: Das Ankerzentrum in Schweinfurt: Hier wurde Rooble Warsame festgenommen
Es ist eine klare, kalte Nacht am 26. Februar 2019 in Schweinfurt, als
Rooble Muse Warsame in Gewahrsam genommen wird. Es hatte Ärger gegeben in
der Anker-Einrichtung am Kasernenweg 1. Rooble Warsame, 22 Jahre alt und
aus Somalia geflüchtet, hatte sich mit einem Bekannten über die somalische
Politik gestritten, sie hatten getrunken und einen ziemlichen Lärm gemacht.
Die Security rief gegen drei Uhr nachts die Polizei. Diese kam, zog wieder
ab. Um 4.45 Uhr wurden die Beamten erneut gerufen und nahmen Rooble Warsame
fest.
Rooble Warsame wird kurz nach fünf Uhr morgens in die Zelle 2 im Keller der
Polizeidirektion Schweinfurt gesperrt. Er muss sich bis auf die Unterhose
ausziehen, aus Sicherheitsgründen. Er erhält eine Wolldecke, ansonsten
befinden sich in dem Raum nur eine Matratze, eine Pritsche und eine
Toilette. Um 6 Uhr ist Schichtwechsel. Aber niemand kommt, um die Zellen zu
kontrollieren. Eineinhalb Stunden vergehen, dann macht der zuständige
Polizeihauptmeister seinen Rundgang.
Gegen halb acht findet er Rooble Warsame in halb kniender, halb sitzender
Position, um seinen Hals liegt ein abgetrennter Streifen der Wolldecke, das
andere Ende ist fünfzig Zentimeter über seinem Kopf verknotet. Der Boden
neben ihm ist mit Blut und Spucke verschmiert. Der Polizeihauptmeister löst
den Knoten und ruft Verstärkung. Zusammen mit seinen Kollegen legt er den
Körper auf die Pritsche. Sie versuchen, Rooble Warsame zu reanimieren. Ein
Notarzt wird verständigt, der um 7.47 Uhr eintrifft. Um 8.10 Uhr stellt er
den Tod von Rooble Warsame fest.
Rooble Warsame soll von einer Wolldecke der Firma Ibena, die eigentlich als
unkaputtbar gilt, einen Streifen abgerissen haben, diesen auf einer Höhe
von etwa 1,50 Metern festgeknotet und sich so erhängt haben. „Wie soll sich
denn ein Mann, der 1,78 Meter groß ist, mit einem Streifen aus einer
Wolldecke strangulieren, der auf einer Höhe von 1,50 Metern angebracht
wurde?“, fragt Rechtsanwalt Eberhard Schultz, der von Warsames Familie
beauftragt wurde. „Und überhaupt, was ist das Motiv? Warsame hatte eine
Aufenthaltsgestattung, Familie und Freunde und war gläubiger Muslim, dem
bekanntlich Suizid verboten ist.“
Ute Kurzbein, die den Fall für die Dokumentation der Antirassistischen
Initiative Berlin aufgearbeitet hat, findet dagegen auffälliger, dass er
die Decke zerrissen haben soll. „Keiner der vernommenen Polizisten kann
sich das erklären. Eigentlich ist das nicht möglich.“
Die Wolldecken der Firma Ibena sind 1,40 mal 2 Meter groß und werden
standardmäßig in bayerischen Haftanstalten verwendet. Sie sollen
ausschließen, dass sich jemand damit stranguliert. Hätte Rooble Warsame den
Streifen mit den Zähnen abgerissen, wie ein Polizeibeamter in der Mainpost
spekulierte, dann hätte das im Obduktionsbericht eigentlich zur Sprache
kommen müssen. Dort ist aber keine Rede von Wollabrieb oder Ähnlichem
zwischen den Zähnen.
Rooble Warsame war bereits drei Wochen vor seinem Tod von der Polizei in
Gewahrsam genommen worden. Auf der Polizeiwache hatte er mehrfach seinen
Kopf gegen die Gitterstäbe der Zellentür geschlagen und gesagt, man möge
ihn umbringen, sonst mache er es selbst, heißt es in der
Einstellungsverfügung der Schweinfurter Staatsanwaltschaft. Daraufhin wurde
er in die Psychiatrie in Werneck gebracht, wo er die Nacht verbringen
musste. Am nächsten Tag wurde er entlassen, Eigen- oder Fremdgefährdung
liege nicht vor, befanden die Ärzte.
Dieser Vorgang wurde vom zuständigen Polizeibeamten in der Nacht seines
Todes allerdings nicht gefunden, weil Warsames Name im
Ausländerzentralregister und in der polizeilichen Vorgangsverwaltung
unterschiedlich hinterlegt war. Deshalb wurde er auch nicht besonders
überwacht.
Nach der Obduktion in der Rechtsmedizin Würzburg soll die Leiche
eingeäschert werden. Die Angehörigen verhindern das mithilfe der
Moscheegemeinde in Schweinfurt. Sie wollen Rooble Warsame nach islamischem
Brauch waschen und beerdigen. Am 4. März, fast eine Woche nach dem Tod
Rooble Warsames, beginnt die Familie mit der Waschung. Der taz liegen
Bilder davon vor.
Die Angehörigen sind erschüttert über die Wunden an Warsames Körper.
Strangulationsmale sehen sie nicht, stattdessen Hämatome am Hals, Blut auf
der Brust, ein aufgeschlagenes Knie. Mohammed Yassin, Stadtrat in Malmö und
der Cousin Warsames, sagt, dass er bei den Verletzungen eher an einen Kampf
denkt als an Suizid.
Im Obduktionsbericht sind Blutspuren in der Nase, im Mund, im linken Ohr
und an den Händen dokumentiert. Es werden Verletzungen am linken Knie, am
linken Unterarm, am rechten Ellbogen, an der linken Schläfe, am rechten
Jochbogen und an der rechten Halsseite beschrieben. Im Obduktionsbericht
werden diese Verletzungen als „Anschlagsverletzungen“ interpretiert. Nur:
Wie können derartige Verletzungen entstehen, wenn ein Mann auf die Knie
sinkt, weil er durch Sauerstoffmangel ohnmächtig wird?
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Anschlagsverletzungen waren“, sagt
Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (Kop) in
Berlin. Die Moscheegemeinde Schweinfurt hatte ihn über den Fall informiert,
daraufhin war er nach Schweinfurt gekommen, um sich mit den Angehörigen zu
treffen. „Er ist ja nicht aus fünf Meter Höhe auf den Boden gefallen.“
Im Obduktionsbericht heißt es zuletzt: „Aufgrund der Sektionsbefunde und
der von der Polizei mitgeteilten Auffindesituation ist im vorliegenden Fall
von einem atypischen Erhängen in suizidaler Absicht auszugehen.
Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende todesursächliche
Gewalteinwirkung ergab die Obduktion nicht.“ Wichtig dabei ist das Wort
„todesursächlich“. Dass Rooble Warsame vor seinem Tod Gewalt angetan wurde,
schließt der Obduktionsbericht nicht aus.
Am Freitag, den 8. März 2019, wird Rooble Warsame beerdigt. Etwa 40
Menschen sind gekommen, darunter Familienmitglieder aus Schweden, Norwegen
und England. Auch die Polizei ist mit mehreren zivilen und uniformierten
Beamten vor Ort. Warum sie dort sind, weiß niemand.
## Die Ermittlungen wurden wieder aufgenommen
Im Oktober 2019 wurden die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft
Schweinfurt eingestellt. Anfang Juli 2020 wurden die Akten jedoch wieder
geöffnet. Der Leitende Oberstaatsanwalt Axel Weihprecht erfuhr durch eine
Medienanfrage, dass ein Zeuge, der neben Rooble Warsame inhaftiert war,
Geräusche gehört haben soll. Dieser Zeuge soll jetzt vernommen werden. „Es
ist nicht so, dass ich etwas auffällig oder verdächtig fände“, sagt
Weihprecht. „Aber ich möchte da einfach nichts mehr im Raum stehen haben.“
Deshalb hat er die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Die Identität des Zeugen taucht in den Ermittlungsakten nicht auf. Nach
Informationen von Aktivisten soll es sich bei ihm um den Mann handeln, der
sich in der Nacht im Ankerzentrum mit Rooble Warsame gestritten hat. Der
Zeuge wurde ebenfalls in Gewahrsam genommen und verbrachte die Nacht in der
Zelle neben Rooble Warsame.
Am nächsten Tag wurde er von der Polizei entlassen, ohne vernommen worden
zu sein. In den Tagen danach ist er aus dem Ankerzentrum verschwunden, mit
unbekanntem Ziel. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder er wurde von
der Regierung Unterfranken in ein anderes Flüchtlingszentrum verlegt. Oder
er ist untergetaucht.
Verwandte von Rooble Warsame, die mit dem Mann gesprochen haben, erzählten,
er habe wahnsinnige Angst vor der Polizei gehabt. Er hatte auch Angst, dass
sich etwas von dem, was er erlebt hatte, negativ auf seinen
Aufenthaltsstatus auswirken könnte. Aber er erzählte ihnen auch, dass er in
der Nacht, als Rooble Warsame starb, Schreie gehört habe, die plötzlich
abgebrochen seien.
## Der fragliche Umgang mit Zeugen
Ein dritter Mann hat sich in dieser Nacht ebenfalls in einer Zelle neben
Rooble Warsame in Gewahrsam befunden. Auch er wurde nicht vernommen. Alle
drei sind Somalier und lebten im Ankerzentrum. Es ist wahrscheinlich, dass
sie sich kannten.
Der Staatsanwalt Axel Weihprecht war bis Anfang dieser Woche nicht über die
Identität und den Aufenthaltsort der beiden Zeugen informiert. Schließlich
schrieb er per Mail: „Ich konnte zwischenzeitlich mit dem polizeilichen
Sachbearbeiter sprechen. Danach hätten sich in den benachbarten Haftzellen
zwei somalische Staatsangehörige befunden. Die Identität beider sei
bekannt. Einer sei in Abschiebehaft gewesen und am 07.03.2019 tatsächlich
abgeschoben worden. Vom zweiten sei eine Anschrift (nicht im hiesigen
Bereich) bekannt, sodass ich davon ausgehe, dass er auch vernommen werden
kann.“
Wie kann ein so wichtiger Zeuge abgeschoben werden? Hätte die Polizei das
nicht verhindern oder ihn zumindest vorher vernehmen müssen? „Man hat sich
von der Vernehmung keinen Erkenntnisgewinn versprochen“, sagt Axel
Weihprecht. „Die Polizeizellen sind so konstruiert, dass eine
Kontaktaufnahme zwischen den Insassen verhindert werden soll. Die
Zellenwände sind abgemauert, die Zelle selbst ist durch eine schwere,
geschlossene Metalltür nach außen abgeriegelt. Es war nicht zu erwarten,
dass ein Zelleninsasse relevante Beobachtungen zu Vorgängen in einer
anderen Zelle machen konnte. Im Übrigen war das Ergebnis der Obduktion
stimmig. Es gab damals keinerlei Anhaltspunkte für Fremdverschulden am Tod
des Herrn Warsame. Auch aktuell sehe ich solche Anhaltspunkte nicht.“
Was auch merkwürdig ist: Der Polizeibeamte, der Rooble Warsame zuletzt
lebend gesehen hat, wird laut Akte nicht persönlich vernommen, so wie die
anderen Polizisten, sondern lediglich zehn Minuten lang angerufen. Der
Beamte war auch bei dem ersten Polizeieinsatz im Ankerzentrum dabei, dazu
wird er jedoch nicht befragt. In der Akte steht über der Vernehmung das
Wort „sinngemäß“ – ganz so, als handele es sich lediglich um ein
Gedächtnisprotokoll. Er gibt an, dass Warsames Verhalten unauffällig
gewesen sei.
## Die Polizei ermittelt gegen sich selbst
Der Fall Rooble Warsame zeigt noch ein weiteres Problem, das in diesem
Zusammenhang immer wieder auftaucht: Sterben Menschen in Polizeigewahrsam,
ermittelt die Polizei gegen sich selbst. Die Ermittlungen übernahm zwar das
bayerische LKA, die Tatortarbeit und die Leichenschau wurden jedoch auf
Anweisung des LKA durch Schweinfurter Polizisten durchgeführt. Auch bei der
Obduktion in Würzburg ist ein Schweinfurter Polizist anwesend. Verfolgt man
den Schriftwechsel, so wird auch der Mangel an Distanz zwischen LKA und der
Schweinfurter Polizei deutlich: Die Beamten duzen sich.
Ein ehemaliger Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes im Ankerzentrum
beschreibt Rooble Warsame als einen ruhigen Jungen, der gut Deutsch
gesprochen habe. „Er hat keinen Stress gemacht, wir hatten keine Probleme
mit ihm. Er war gut drauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich
umgebracht hat“, sagt er.
„Ich könnte mir vorstellen, dass er einfach seinen Mund nicht halten
konnte“, sagt Mohammed Yassin, der Cousin von Rooble Warsame, der Stadtrat
in Malmö ist. „Er hat sich vor seiner Verhaftung mit der Polizei
gestritten. Er konnte etwas Deutsch. Es ging darum, dass er Alkohol
getrunken hatte. Die Polizei hat ihn dafür kritisiert, aber er sagte, dass
man den Alkohol ja an einem Automaten im Ankerzentrum kaufen könne – wo das
Problem sei? Vielleicht hat er sie genervt.“ Yassin sammelt jetzt zusammen
mit seiner Familie Geld. Sie wollen genug zusammenbekommen, um ein externes
Gutachten in Auftrag geben zu können.
Am Samstag vor einer Woche demonstrierte eine Gruppe Somalier vor dem
Kanzleramt. Sie forderten Aufklärung des Todes von Rooble Warsame. Eine
Frau hält sein Bild in die Höhe. Darauf angesprochen, sagt sie, dass er ihr
Bruder ist. Ihr Bruder im Herzen. „Wir haben kein leichtes Leben hier“,
sagt sie. Dann steigen ihr Tränen in die Augen, und sie wendet sich ab.
Die taz hat neben Rooble Warsame noch weitere Fälle untersucht, bei denen
Menschen, die von Rassismus betroffen waren, in Polizeigewahrsam ums Leben
kamen. [1][Alle 24 Fälle dokumentieren wir in diesem Artikel.]
18 Jul 2020
## LINKS
[1] /24-Todesfaelle-in-Gewahrsam/!5700481
## AUTOREN
Steffi Unsleber
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Ankerzentren
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Polizei
Gewalt
Ankerzentrum
Lesestück Recherche und Reportage
Polizei Berlin
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Security-Gewalt in Ankerzentrum: Mitnichten ein Einzelfall
Ein Geflüchteter wird von Wachleuten in einem Ankerzentrum misshandelt.
Eine Anzeige bleibt erfolglos, das Verfahren wird eingestellt.
24 Todesfälle in Gewahrsam: Wie fahrlässig handelte die Polizei?
Die taz hat 24 Fälle untersucht, bei denen Menschen, die von Rassismus
betroffen waren, in Gewahrsam ums Leben kamen. Eine Dokumentation.
Tod im Polizeigewahrsam: Lagebedingtes Systemversagen
Aristeidis L. erstickt an Händen und Füßen gefesselt, während ihn vier
Einsatzkräfte auf dem Bauch fixieren. Kein Einzelfall.
Tod im Gewahrsam: Tatort Polizeistation
Immer wieder sterben nicht weiße Menschen in Gewahrsam. Dem will die
antirassistische Kampagne „Death in Custody“ etwas entgegensetzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.