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# taz.de -- Schule für Mundharmonika in Berlin: Klein und kräftig
> Die Mundharmonika ist die Leidenschaft von Marko Jovanović, mit einem
> Festival wollte er das Instrument ans Licht holen. Dann kam Corona.
Bild: Der Mundharmonikaspieler und -lehrer Marko Jovanović in seiner Kreuzberg…
Berlin taz | Anlässlich des Todes von Ennio Morricone, [1][dem großen Genie
der Filmmusik], erinnerte man sich jüngst natürlich auch noch einmal an
dessen wohl berühmteste Melodie, an „The man with the harmonica“ aus Sergio
Leones Spaghetti-Western „Once upon a time in the West“, der hierzulande
als „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu sehen ist. Zentral in dem Stück: diese
dramatischen, spannungsgeladenen Klänge der Mundharmonika. Wahrscheinlich
ist es der berühmteste Auftritt, den dieses kleine Blasinstrument je hatte.
Zu zeigen, was sich mit der Mundharmonika sonst noch so anstellen lässt,
das ist die Passion von Marko Jovanović und Julia Thurau. Die beiden
betreiben die [2][Harmonica School Berlin], in der das Spielen auf der
Mundharmonika gelehrt wird. Er als Lehrer, sie kümmert sich um die
Administration. Und noch bis vor ein paar Tagen planten sie ein großes,
dreitägiges Festival, das Harmonica FEN Festival, das Ende September in der
Kulturbrauerei stattfinden sollte.
Super Idee, das Line-up stand bereits, Mundharmonikaspieler samt ihren
Bands wollten aus aller Welt anreisen, gar aus Buenos Aires und Taiwan.
Doch bekanntlich leben wir gerade in Zeiten, in denen die Pandemie so
manchem Festivalveranstalter einen Strich durch die Rechnung macht. Und so
kam es nun auch in diesem Fall. Die Veranstaltung, bei der
Mundharmonikaspieler ihr Instrument nach allen Regeln der Kunst mit Zunge,
Mund und Gaumen bearbeiten und wo die Aerosole freidrehen, war nun doch
nicht durchzuziehen. Immer mehr Musiker mussten wegen der unsicheren Lage
absagen. Das Festival drohte, nicht mehr so zu werden, wie man sich das
vorgestellt hatte.
Ungefähr zwei Jahre war man mit der Planung beschäftigt, und nun ist eben
alles erst einmal wieder auf null gestellt. In zwei Jahren, dann auch
wieder im September, will man es noch einmal versuchen mit dem Festival.
## Neu denken
Man trifft sich mit den beiden verhinderten Festivalmachern in Marko
Jovanovićs Wohnung in der Bergmannstraße. Die Adresse ist auch der aktuelle
Standort der Harmonica School. Bis vor Kurzem war diese noch in einem
Gewerberaum ums Eck untergebracht. Der Mietvertrag wurde nicht verlängert,
eine neue Örtlichkeit war eigentlich gefunden, doch noch war nicht alles
unter Dach und Fach. Und dann kam Corona.
„Können wir überhaupt weitermachen mit der Harmonica School und sollen wir
für diese trotz der Unsicherheit extra Gewerberäume anmieten?“, habe man
sich gefragt, so Jovanović, der die Schule 2016 gegründet hat. Man habe
dann den Entschluss gefasst: „Wir denken und erfinden uns neu.“ Seitdem
unterrichtet Jovanović wie so viele gerade via Homeoffice. Ein ganzes
Zimmer hat er sich dafür eingerichtet, mit gleich mehreren Computern, ein
ganzer Satz an verschiedenen Mundharmonikas griffbereit. Einen Teil des
Unterrichtsangebot gibt es jetzt online. Und es laufe gut, so Jovanović,
seine Schüler seien so zufrieden wie er mit der Lösung.
Weltweit gibt es nur wenige Mundharmonikaschulen. Etwa in Hongkong, New
York und Buenos Aires. In Deutschland ist die Harmonica School Berlin die
einzige, die sich auf den Unterricht der Mundharmonika spezialisiert hat.
An klassischen Musikschulen werde das Instrument kaum unterrichtet, so
Jovanović. „Für staatliche Musikschulen brauchst du als Lehrer staatliche
Zertifikate, die du normalerweise als Mundharmonikaspieler nicht hast. Für
die Lehrerausbildung fehlt die ganze Infrastruktur.“
Auch Jovanović ist Autodidakt auf seinem Instrument. Sein Onkel, ein guter
Blues-Mundharmonikaspieler, habe ihn in Kontakt mit dem Instrument gebracht
und das Wesentliche beigebracht, der Rest kam im Selbststudium. Seit seinem
dreizehnten Lebensjahr spielt er Mundharmonika, seit er 15 ist, tritt er
auf Bühnen auf, seit mehr als 15 Jahren gibt er Unterricht.
## Raus aus der Nische
Aktuell friste die Mundharmonika ein Nischendasein, so Jovanović. Das war
einmal ganz anders. Von den zwanzigern bis in die fünfziger Jahre war die
Mundharmonika ein äußerst populäres Instrument. Dann kamen die Beatles, die
Rolling Stones, Led Zeppelin: Alle hatten sie große Songs, in denen
Mundharmonikaparts vorkamen. Der klassische Blues brachte große Virtuosen
auf dem Instrument hervor. Auch nicht zu vergessen: Der junge Bob Dylan und
Neil Young, dessen Hit „Heart of Gold“ ohne Mundharmonika ein ganz anderer
Song wäre. Auch die Soli, die Stevie Wonder auf dem Instrument zum Besten
gab, veredelten so manchen Popsong. Doch das ist alles eine Weile her.
Aktuelle Popstars wie Billie Eilish oder Kanye West haben es nicht so mit
der Mundharmonika.
Jovanović aber glaubt: Sein Instrument werde gerade wieder populärer. Es
spräche ja auch so einiges für dieses: „Es ist charmant und liebenswürdig,
günstig, und man kann es überall mit hinnehmen. Außerdem verschafft das
Instrument rasch Zugang zur Musik. Denn viel wichtiger als das Notenlesen
ist bei der Mundharmonika das Gefühl.“
Die wachsende Aufmerksamkeit für das Instrument komme durch das Internet,
glaubt er. Den Effekt, den er seit einer Weile beobachte, führt er im
Folgenden ein wenig aus. So gut wie jeder habe noch irgendwo eine
Mundharmonika herumliegen, die er mal von Oma oder Opa geschenkt bekommen
habe, erzählt er. Beim Aufräumen stößt man dann zufällig wieder auf das
Instrument und bläst ein paar Töne auf ihm. Jovanović schnappt sich zur
Demonstration eine Mundharmonika und bläst ganz passabel eine Melodie.
„Dann surfst du ein wenig im Internet herum, stößt auf ein Youtube-Tutorial
und der Typ dort spielt auch die Mundharmonika, nur ganz anders.“ Jovanović
bläst erneut zur Illustration seiner Worte, dieses Mal gefühlvoll und
virtuos. „Das kann doch nicht sein, denkst du dir, das muss doch ein
anderes Instrument sein“, sei dann die Reaktion des Mundharmonika-Novizen.
Und so entstehe das Interesse, mehr darüber erfahren zu wollen, wie man
eine Mundharmonika richtig spielt.
Mit ihrem Festival wollten die beiden von der Harmonica School Berlin die
verschiedenen Aspekte rund um die Mundharmonika zusammenbringen. FEN hätte
für Fascination, Education und Network stehen sollen. Man wollte gleich
größer denken und dreiteilig planen. In diesem Jahr sollte es zum Start um
die Faszination gehen, bei folgenden Festivals dann um die beiden anderen
Punkte.
„Wir wollten aufzeigen, dass es da dieses tolle Instrument gibt. Und Leute,
die bereits gute Lehrprogramme für dieses haben. Aber beides ist
hierzulande derzeit noch kaum miteinander verbunden. Man weiß zu wenig
voneinander. Und die Öffentlichkeit weiß schon gar nichts darüber“, fasst
Jovanovic die Gedanken hinter dem „FEN“-Konzept zusammen.
Wäre also alles recht ausgeklügelt gewesen auf dem Mundharmonikafestival in
Berlin. Wäre.
17 Jul 2020
## LINKS
[1] /Filmkomponist-Ennio-Morricone-ist-tot/!5698305
[2] https://harmonica-school-berlin.de/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Blues
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Jazz
Ennio Morricone
Musik
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