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# taz.de -- Ökonom Rudolf Hickel über Staatshilfen: „Nicht ob man rettet, s…
> 1,2 Billionen Euro hat der Bund für die Rettung der Wirtschaft berappt.
> Der Ökonom Rudolf Hickel will Unternehmen in die Pflicht nehmen.
Bild: Fast jede*r möchte gern gerettet werden. Zugeständnisse machen Unterneh…
taz: Herr Hickel, momentan gibt es riesige Wirtschaftshilfen des Bundes.
Kommt die große Verstaatlichung?
Rudolf Hickel: Das behaupten neokonservative und neoliberale Kräfte immer
gerne. Aber das ist großer Unfug. Ich würde eher sagen, bei vielen
nützlichen Maßnahmen ist eine Möglichkeit verpasst worden: Die
transformatorische Umwandlung von strategisch wichtigen Unternehmen, die
jetzt mit Kapitalbeteiligungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds
gerettet werden, auch beschäftigungsbezogen und ökologisch zu stärken.
Die Politik hat die Unternehmen in den Lockdown gezwungen. Ist es nicht
fair, wenn sie jetzt die Wirtschaft rettet?
In den Wirtschaftsabschwung gezwungen hat uns die [1][Coronakrise]. Es ist
reagiert worden auf die Gefahr der Ausbreitung einer Pandemie. Die vielen
Maßnahmen, die als Lockdown beschrieben werden, musste die Wirtschaft
praktisch ins Koma versetzen. Unverschuldet in die Krise geratene
Unternehmen brauchen jetzt Hilfe.
Also Geld vom Staat.
Absolut. Die Coronahilfe, das sind im ersten Aufschlag 1,2 Billionen Euro,
[2][ein unfassbares Programm aus ganz unterschiedlichen Instrumenten]. Für
die Kleinen gibt es Zuschüsse und Kredite. Das sind völlig korrekte,
notwendige Hilfen, für Betriebe und Solo-Selbständige, die kaum genügend
Kapital haben, und deshalb durch die Coronakrise unverschuldet sofort
abstürzen würden. Dann haben wir mittelständische Unternehmen, die bis zu
150.000 Euro beantragen können. Die Kredite und Bürgschaften sind völlig
richtig.
Und für die großen Player?
Denen nutzt das Konjunkturprogramm, etwa die Reduzierung der
Mehrwertsteuer. Das hilft aber allen betroffenen Unternehmen. Daraus kann
man keine Forderungen an einen Einzelnen ableiten. Bestimmte große
Unternehmen rettet der Staat aber auch direkt, mit Geld aus dem
Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Ich finde auch diese Rettung der großen
Systemrelevanten wichtig, aber die Bedingungen sehr strittig.
Erklären Sie mal!
[3][Nehmen wir die Lufthansa.] Die mit neun Milliarden zu retten, ist
völlig richtig. Dem Unternehmen droht ohne eigenes Missmanagement der
Absturz. Es geht um knapp 140.000 Beschäftigte. Mit ihrem Logistikangebot
und den Cargo-Geschäften ist die Lufthansa systemrelevant. Die Frage ist
also nicht, ob man rettet, sondern wie.
Und wie rettet man richtig?
Eine Möglichkeit ist es, nur kurz Hilfe zu geben, dann zieht sich der Staat
sofort wieder zurück. Oder der Staat beteiligt sich direkt und hat damit
auch unternehmerische Verantwortung. Die Bundesregierung hat einen
Mittelweg gewählt.
Wie sieht der aus?
Für die Lufthansa werden neun Milliarden Euro aufgebracht. 5,7 Milliarden
davon sind eine stille Einlage. Still heißt: Kapital geben, Klappe halten.
Der Staat hängt mit einem Riesenbatzen drin, nimmt aber keinen Einfluss.
Dazu gibt es einen Kredit über drei Milliarden von der KfW. Dann bleiben
von den neun Milliarden noch 300 Millionen übrig: Mit dem Betrag wird der
Staat direkt Aktionär. Die Bundesrepublik wird mit 20,05 Prozent Teilhaber
am Aktienkapital der Lufthansa. Ich habe gefordert, dass es mindestens 25
Prozent plus eine Stimme sind, damit die Sperrminorität erreicht wird. So
kann die Bundesregierung stattdessen sagen: Bei der Strategiefestlegung
sind wir raus.
Gab es das Geld etwa ohne Bedingungen?
Es wurden schon Bedingungen gestellt. Erstens: Der Staat bekommt zwei
Aufsichtsratsmandate. Da bleibt die Frage: Gehen da kritische Köpfe hin
oder werden nur Posten vergeben? Die zweite Bedingung: keine
Dividendenzahlung in der Zeit der Rettung. Die Boni der Geschäftsvorstände
werden nicht wie gefordert gestrichen, sondern nur gekürzt. Damit ist dann
auch schon Schluss. Nochmal: Wichtig gewesen wäre die Sperrminorität.
Was hätte der Bund damit anfangen können?
Damit könnte er im Aufsichtsrat um eine neue Unternehmensstrategie kämpfen.
Der Staat könnte Transformationspolitik betreiben. Zwei Punkte wären
wichtig: Wir hätten der Lufthansa einerseits ökologische Ziele in die
Strategie einpflanzen können wie die Reduzierung der Inlandsflüge oder eine
Vorgabe, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bei Air France ist das gemacht
worden.
Was ist der zweite Punkt?
Es hätte eine Beschäftigungsgarantie verankert werden müssen. Es ist ein
Skandal, wenn jetzt 9 Milliarden fließen und gleichzeitig massenhaft
Beschäftigungsabbau stattfindet. Es gibt Planungen, dass von derzeit knapp
140.000 Stellen etwa 40.000 abgebaut werden. Auch Bremen ist betroffen, vor
allem das Personal am Schalterservice am Flughafen. Die meisten davon sind
Frauen.
Aber kann man von Unternehmen, die man gerade vor dem Abgrund rettet,
fordern, dass sie sich transformieren?
Ja. Der Steuerzahler muss das ja mitfinanzieren. Wenn wir schon retten,
wenn wir schon Verluste vergesellschaften, um später wieder Profite zu
privatisieren, dann müssen wir die Mitbestimmung ausbauen. Das
Gegenargument ist, dass die Regierung in der allgemeinen Umweltpolitik ja
vorschreibt, [4][wie sich die Binnenflüge entwickeln sollen]. Aber mit
Lobbyismus wird alles getan werden, um so ein Gesetz zu verhindern.
Insofern ist es viel besser, wenn das Ziel den Unternehmen eingepflanzt
wird.
Wie ist das bei TUI und anderen? Wird der Staat da klüger retten?
Bei TUI weiß man noch nicht, wie es ausgeht, die wollen keine Beteiligung.
Die Lufthansa wollte ja auch den Staatseinfluss nicht. Jetzt steht der für
sie angenehme Kompromiss: Ja, Staat, wasch mir den Pelz, aber mach mich
nicht nass.
Was macht den Unternehmen solche Angst? Airbus will sich lieber
kleinschrumpfen als Hilfe anzunehmen...
Bei Airbus ist es etwas schwierig mit den Staatsgeldern, als
internationales Konsortium. Im Unterschied zur Lufthansa sind die
unternehmerischen Argumente für den Beschäftigungsabbau höchst
problematisch. Generell werden die großen Kapitalgesellschaften in Not
versuchen, aus dem Fonds mit seinen 200 Milliarden Euro eine stille Einlage
zu bekommen. Unternehmen wollen den sich stillhaltenden Finanzier, also
keine Politisierung.
Kann man für die Zukunft denn überhaupt mehr durchsetzen, jetzt, da die
Lufthansa so billig weggekommen ist?
Man muss es zumindest immer mit einbringen. Das geht auch vor Ort: Wenn der
Staat Wirtschaftsansiedlung fördert, müssen Bedingungen gestellt werden,
ein Unternehmen erhält dann nur eine Flächenerschließungssubvention, wenn
es für einen Zeitraum einen Mindestbestand an Beschäftigung garantiert. In
Bremen wurde das früher in die Verträge geschrieben, aber eingelöst wurden
die Auflagen oftmals nicht. Jetzt steht es schon gar nicht mehr drin in den
Verträgen.
12 Jul 2020
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## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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