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# taz.de -- Der spanische Christian Drosten: Wirres Haar, heisere Stimme
> Fernando Simón ist mit verständlichen Erläuterungen rund um die
> Coronakrise zur Kultfigur geworden. Das Antlitz des Virologen ziert sogar
> T-Shirts.
Bild: Fernando Simón, Chef des Koordinationszentrums für sanitäre Notfälle …
Es ist das T-Shirt des Sommers. „Fucking Master“ steht über dem Porträt
eines Herrn mit wirrem, weißem Haar und herausgestreckter Zunge. Albert
Einstein? Nicht ganz, wie ein Blick auf die Unterzeile verrät. Dort steht
ein leicht abgewandeltes Zitat des deutschen Nobelpreisträgers: „Zwei Dinge
sind unendlich. [1][Das Coronavirus] und die menschliche Dummheit. Aber
beim Virus bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Der „Fucking Master“ ist Fernando Simón, Chef des Koordinationszentrums
für sanitäre Notfälle (CCAES) in Madrid und damit so etwas wie der
spanische [2][Christian Drosten]. Der 56-jährige Virologe, der seit März
mit seiner heiseren Stimme täglich über die Entwicklung der Pandemie
informiert, ist das Symbol der harten Ausgangssperre und einer nicht enden
wollenden Covid-19-Krise, die das Land auf der Iberischen Halbinsel so hart
getroffen hat wie nur wenige andere.
„Fucking Master“ ziert neben Shirts auch Badetaschen und Tassen. Es ist
nicht das einzige Motiv. „Mehr Simónes und weniger Borbones“ dürfte den
Gegnern der Monarchie gefallen. Und für Kinofans unterstreicht „Clean
Simón“ den Satz „Was an den zwei Metern Abstand hast du nicht verstanden?�…
mit vorgehaltener Waffe.
Der Slogan „Ich habe die Mandel überlebt!“ erinnert an einen Hustenanfall
zu Beginn einer Pressekonferenz. Alle fürchteten das Schlimmste, bis Simón
beruhigte: „Entschuldigung. Ich habe kurz vor Beginn eine Mandel gegessen.“
Covid hatte er damals schon zwei Wochen hinter sich. Trotz Fieber stand er
aus der heimischen Quarantäne immer wieder Rede und Antwort.
## Der heilige Simón
Im Netz sind Datensätze für Simón-Figuren aus dem 3-D-Drucker zu finden. In
Valencia ziert ein J.-Warx-Graffiti des Hustenanfalls eine Wand. In Madrid
ist es ein gepixeltes Porträt aus Kacheln von Basket of Nean, neben dem
Schild der „Straße des Heiligen Simon“. Natürlich darf der CCAES-Chef auch
in der beliebten Satiresendung „Polònia“ des katalanischen TV3 nicht
fehlen. Und das Titelblatt der Wochenendbeilage der Tageszeitung El País
zeigte den Arzt in Lederjacke auf seiner schweren Maschine.
Mit Ruhe und Bescheidenheit, wie sie selten in Spanien anzutreffen sind,
erklärt Simón der Bevölkerung Hygienemaßnahmen und den Stand der tragischen
Dinge. Er stellt sich geduldig der Presse, offen und direkt. Wenn er einmal
eine Studie nicht kennt oder sich etwas nicht erklären kann, gibt er das
zu: „Fragen sie morgen noch mal, ich mache mich schlau.“
Er fordert Solidarität von Jugendlichen mit den gefährdeten Älteren, lobt
die Kinder „für ihr vorbildliches Verhalten“ und fordert sie auf zu helfen,
dass zu Hause die Stimmung nicht kippt. Gefragt, warum Hotels und Kneipen
so schnell zu einer neuen Normalität übergehen sollen, wird er fast
philosophisch: „Vielleicht sind wir eines Tage ein Land, das von der
Wissenschaft lebt. Aber derzeit sind wir ein Land, das vom Tourismus lebt.“
So sehr ihn die Linke liebt, so sehr hassen ihn die konservative Partido
Popular (PP) und die rechtsextreme VOX. Sie sahen in dem Wissenschaftler
von Anfang an das schwächste Glied der Kette, um die Linksregierung
mithilfe der Pandemie zu Fall zu bringen. Sie werfen ihm vor, die Zahl der
Toten zu beschönigen, und vergessen dabei, dass diese von den
Regionalregierungen erhoben werden.
## Den Rechten ein Dorn im Auge
Unstimmigkeiten gibt es dabei immer wieder dort, wo die Rechte regiert.
Außerdem werfen sie Simón vor, kein Verbot der Frauentagsdemonstrationen am
8. März empfohlen zu haben. Das habe die Ausbreitung des Virus
beschleunigt. Auch hier vergessen sie, dass am gleichen Wochenende VOX eine
Großveranstaltung abhielt. Einer der Führer, die das Bad in der Masse
genossen, erkrankte wenig später an Covid-19.
Simón gilt der Rechten „als Lügner, der die sozialkommunistische Regierung
weißwäscht“, als deren „fahrlässiger“ und „unfähiger Büttel“. Da…
vergessen sie eines. Als der Virologe 2003 nach längerem Aufenthalt in
Afrika und Lateinamerika sowie an einem namhaften Institut in Paris
beauftragt wurde, das CCAES aufzubauen, regierte die PP. Und als er 2012
zum Chef des CCAES ernannt wurde und während der Ebola-Krise erstmals im
Fernsehen zu sehen war, ebenfalls.
Simón bleibt ruhig. Er lässt sich ebenso wenig von seinen Gegner
provozieren wie vom Personenkult beeindrucken. Denjenigen, die ihn als
Popikone vermarkten, legt er nahe, „wenn irgend möglich“ einen „kleinen
Teil der Einnahmen an NGOs zu spenden“. Und seine Nachricht an alle auf dem
Weg in die Sommerferien: „Wir müssen uns bewusst sein, dass das noch nicht
um ist.“ Simón wird wohl noch länger zum täglichen Fernsehprogramm gehöre…
6 Jul 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Spanien
Epidemiologie
Pandemie
Pop-Kultur
Walter Benjamin
Schwerpunkt Rassismus
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