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# taz.de -- Hitlers Geburtsort in Braunau am Inn: Dieses verfluchte Haus
> Eine Kleinstadt, hübsch anzuschauen. Doch da steht dieses Haus, in dem
> Adolf Hitler geboren wurde. Jetzt soll dort die Polizei einziehen.
Bild: Künftig Polizeiquartier: Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn
Wird Manfred Hackl im Ausland nach seinem Heimatort gefragt, dann sagt er,
dass er „aus der Nähe von Salzburg“ kommt. Nach Salzburg sind es zwar 60
Kilometer, doch die genaue geografische Angabe vermeidet der
Lokalpolitiker. Weil sie Überraschung, Befremden, vielleicht Argwohn
hervorrufen würde. Weil er genau weiß, dass seine Gesprächspartner sofort
anfangen nachzudenken, wie sie das finden und einordnen sollen. Hackl, 56
Jahre alt, lebt in Braunau. In Oberösterreich, am Inn, an der Grenze zu
Deutschland. Über allem steht: die Geburtsstadt Adolf Hitlers. Und deswegen
weltbekannt.
Er sitzt im Eiscafé Baccili in der Straße Salzburger Vorstadt 13, trinkt
eine Apfelschorle und erzählt davon, wie es ist, in Braunau im Jahr 2020 im
Gemeinderat für die Grünen Politik zu machen. Und immer wieder mit Hitler
und dem Nationalsozialismus konfrontiert zu werden. „Das nervt schon sehr“,
sagt Hackl. Und meint süffisant: „Als Lokalpolitiker ist man nicht stolz
darauf.“ Direkt neben dem Eiscafé steht das Haus Salzburger Vorstadt 15.
Dort wurde Hitler am 20. April 1889 geboren. Sein erstes Lebensjahr
verbrachte er in dem Haus und „füllte die Windeln“, wie manche Einheimische
sagen. Die Familie zog innerhalb Braunaus um und 1892 weiter nach Passau.
Da war Adolf Hitler drei Jahre alt.
Das Haus steht weiter an seinem Platz. Immer und immer wieder wird es als
„Haus des Bösen“ tituliert, als ob man die unermessliche NS-Schuld darauf
abwälzen könnte. Braunau muss mit dem Erbe umgehen, irgendwie. Jetzt gibt
es wieder einmal großen Streit, der bis ins ferne Wien reicht. Das
Innenministerium – Österreich gehört das Anwesen seit 2017 – hat nach der
Einrichtung von zwei Expertenkommissionen beschlossen, dass nichts mehr an
Hitler erinnern soll. Schon im November 2019 hatte der parteilose
Kurzzeit-Innenminister Wolfgang Peschorn gesagt: „Wir wollen das Haus als
Ganzes der Erinnerung entziehen und es so neutralisieren.“ Neutralisieren –
das ist das befeuernde (Un-)Wort. Nach der Renovierung sollen 2023 das
Bezirkspolizeikommando und die Polizeiinspektion Braunau dort einziehen,
womöglich auch eine Polizeischule.
Ein EU-weiter Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben und das Ergebnis
nun am 2. Juni vorgestellt: Sieger ist das Voralberger Architektenbüro
Marte.Marte. Bei diesem Entwurf würde mit nichts mehr auf den Diktator und
Völkermörder hingewiesen. Die Fassade des Hauses wird den Plänen zufolge in
einen historischen Vor-Hitler-Zustand zurückgebaut, auf das hintere
Grundstück – jetzt ein Parkplatz – soll ein moderner Bau als
Konferenzzentrum kommen, daneben ein kleiner Park. In einem Modellbild sind
spielende Kinder zu sehen. Die Polizei sei „ein Garant für Demokratie“,
sagt der amtierende Innenminister [1][Karl Nehammer] von der konservativen
ÖVP. Es gäbe nun „eine klare Perspektive für die Zukunft dieses historisch
belasteten Ortes“.
Ein Problem erledigen, indem man die Vergangenheit löscht? Die Bezüge kappt
und einen Neustart verordnet? Der Schriftsteller Ludwig Laher aus dem 35
Kilometer entfernten St. Pantaleon bezeichnet das als „sehr österreichische
Verdrängungsgroteske“.
Und dann gibt es noch die Sache mit dem Stein. Der steht seit 1989 kniehoch
auf dem Gehweg vor dem Gebäude und trägt die Inschrift: „Für Frieden,
Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus, Millionen Tote mahnen.“ Er
ist der einzige – indirekte – Bezug zu dem Haus und zu Hitler. Entnommen
wurde er dem Steinbruch im früheren Konzentrationslager Mauthausen bei
Linz. Hermann Feiner, als Sektionschef im österreichischen Innenministerium
mit dem Hitler-Geburtshaus betraut, hatte bei der Vorstellung der
Wettbewerbsentwürfe gesagt, den Stein solle man am besten entfernen und in
Wien im „Haus der Geschichte Österreich“ ausstellen. In Braunau und
anderswo sehen das viele Bürger überhaupt nicht so.
[2][Braunau am Inn] hat 17.000 Einwohner, die historische Altstadt ist
recht klein und angenehm aufgehübscht. Die Leute mögen ihren Ort. Hubert
Esterbauer etwa von der rechtspopulistischen FPÖ und zweiter Bürgermeister,
sagt: „Braunau ist eine schöne, freundliche Kleinstadt.“ Der 63-Jährige w…
42 Jahre lang Polizist und meint: „Ich habe mich mit der Geschichte
auseinandergesetzt, habe alles über das Dritte Reich gelernt.“ Der Grüne
Manfred Hackl wiederum setzt sich für den Ort ein als „Schulstadt,
Radlstadt, Kulturstadt“. Die Verbindung zum niederbayerischen Simbach auf
der anderen Seite des Inns ist eng, man macht gemeinsam Tourismus- und
Wirtschaftsmarketing. Die Braunauer erinnern sich an das verheerende
Hochwasser vom 1. Juni 2016 in Simbach, bei dem fünf Menschen ums Leben
kamen. Selbstverständlich war ihre Feuerwehr ausgerückt, um beim
Wasserabpumpen und Aufräumen zu helfen.
Auch Florian Kotanko empfiehlt das Café Baccili zum Reden. Doch bevor der
71-Jährige Platz nimmt, muss er noch zwei Besucher aufklären. Die fragen
ihn, ob das denn nun das Haus sei – und deuten auf die Salzburger Vorstadt
15. Mit den Handys machen sie Fotos, Kotanko bezeichnet sie als
„interessierte Touristen“ und meint: „Das kommt hier ständig vor.“ Der…
mit dem grauen Bart und dem Sonnenhut auf dem Kopf war bis zu seiner
Pensionierung Rektor des Braunauer Gymnasiums und gilt als wandelndes
historisches Ortslexikon. Er setzt sich, sagt: „Ich bin in Braunau geboren
und bin kein Nazi.“ Bei Marco bestellt er Espresso und Wasser. Marco
Baccili, Betreiber des Cafés neben dem Hitler-Haus, sitzt für die
konservative ÖVP im Gemeinderat. Irgendwie kennt jeder jeden in Braunau.
Das Haus vom Mahnstein trennen?
Kotanko steht dem lokalen „Verein für Zeitgeschichte“ vor und besitzt eine
ziemliche Erklär- und Deutungsmacht für den Ort, das Haus, Hitler. Was also
tun? Der ehemalige Lehrer für Latein und Geschichte holt aus. „Das Haus ist
vom Mahnstein zu trennen“, sagt er. Das Haus gehört der Republik
Österreich, der Stein der Gemeinde. Der Bundesstaat hatte die
Vorbesitzerin, eine gewisse Gerlinde Pommer, 2017 enteignet. Pommer wohnt
in Braunau und ist ein Phantom. Kaum einer kennt sie oder hat sie je
gesehen. Die Frau hatte sich geweigert, das Haus für die dort ansässige
„Lebenshilfe“ umzubauen. Nach dem Auszug des Vereins, der sich für Menschen
mit Behinderungen einsetzt, hatte sie das Haus seit 2011 leer stehen
lassen. Sie ging, so wird berichtet, auf keinen Vorschlag für die weitere
Nutzung ein, schlug Gesprächsangebote aus. Für das enteignete Haus erhielt
sie nach Gerichtsverhandlungen 812.000 Euro Entschädigung.
„Ich empfinde den Umbau nicht als ein Streichen der Geschichte“, sagt der
parteilose Historiker Kotanko. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn die
Lebenshilfe wieder einzieht. Die will aber nicht. Eine Begründung dafür
hatte schon Ende 2016 Marianne Karner, damals Mitarbeiterin des Vereins
Bizeps für „Selbstbestimmtes Leben“, geschrieben: „Es kann und darf niem…
gezwungen werden, in diesem Haus leben und/oder arbeiten zu müssen.“ Und
sie fragte weiter, wie man dazu komme, gerade behinderte Menschen als
„Alibi-Lösung“ anzusehen.
Florian Kotanko stellt nun erst einmal fest, dass die österreichische
Bundesregierung sich dazu entschieden hat, die Polizei in das Haus
einzuquartieren. Doch er spricht auch von einer erforderlichen
„historischen Kontextualisierung“. Diese könnte so aussehen wie in der
KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Brandenburg. Dort werde in einer
Ausstellung in einem Raum gezeigt, „was war“. Den Stein sieht Kontanko
nicht im Museum in Wien. Entsprechende Signale habe er mittlerweile von der
Bundesregierung erhalten.
## Zweifel an der gefundenen Lösung
Im Sommer verströmt Braunau die Aura einer etwas verschlafenen Kleinstadt
mit sehr hübschen Ecken. Ein paar Meter vor dem Hitler-Geburtshaus ist in
einer Flachbau-Baracke die Tabak-Trafik, daneben sitzen Leute am
„Vorstadt-Imbiss“ und trinken Bier. Geradeüber dem Haus ist der Weltladen,
vier Stadthäuser entfernt der Naturladen, weiter oben der Hanfladen.
Schmale, teils überbaute Altstadtgassen gehen seitlich ab. Es dominiert der
erstmals 1966 in seiner alten Form wieder aufgebaute Stadttorturm. An
dessen oberer Fassade ist ein großes Plakat angebracht: „Braunau. Simbach.
Inn. Einzigartig. Vereint. Grenzenlos #sosindwir“. Und inmitten davon
dieses Haus Salzburger Vorstadt 15 mit seiner schmutzig-gelben Fassade,
ohne Straßennummer. Drei Stockwerke hoch, ein wuchtiges Gebäude, unbewohnt,
hinter den Fenstern Leere.
Die Polizei kommt rein, der Gedenkstein davor bleibt – also alles gut in
Braunau? Die Geschwister Elisabeth Wimmer und Martin Simböck, 64 und 66
Jahre alt, haben da massive Zweifel. „Man kann das Haus nicht
neutralisieren“, sagt Elisabeth Wimmer. Die zierliche Frau mit langen
weißen Haaren ist ein Braunauer Urgestein, von Beruf Goldschmiedin, lange
Jahre war sie Gemeinderätin für die sozialdemokratische SPÖ. Sie meint:
„Die Polizei war ja nicht immer ein Garant der Demokratie, vor allem nicht
im letzten Jahrhundert.“ Ihr Bruder Martin Simböck hat kürzlich in einem
Leserbrief an die Lokalzeitung geschrieben: „Wenn man sich die Augen
zuhält, ist das Haus dennoch da.“ Und er sagt: „Geschichtslosigkeit rächt
sich.“
Die beiden singen im „Demokratischen Chor“ Braunau, regelmäßig treten sie
am 8. Mai bei der Gedenkstunde zum Ende des Zweiten Weltkriegs und der
Befreiung von der Nazi-Diktatur auf. Der Chor singt Arbeiter-,
antifaschistische und Brecht-Lieder. Jetzt sagt Innenminister Nehammer, aus
dem Haus werde „ein Ort, an dem Demokratie und Menschenrechte verteidigt
werden“. Ein Anziehungspunkt für Nazis soll es nicht mehr sein. Martin
Simböcks Urteil: „Der Nehammer, verzeihen Sie mir, ist ein bisschen ein
Trottel.“ Die Angst, dass das Haus zur Nazi-Pilgerstätte werde, sei
unbegründet. Ein Mal, am 20. April 1979, seien 500 rechtsradikale Studenten
aufmarschiert. Das ist mehr als 40 Jahre her. „Braunau ist kein
NS-Anziehungspunkt“, ist sich Elisabeth Wimmer sicher.
Doch was tun mit dem Haus, das kein Täterort ist – im Gegensatz zu den
NS-Zentralen in Berlin, in München, auf dem Obersalzberg, wo Krieg und
Völkermord geplant wurden? Und natürlich zu den Vernichtungslagern und den
unzähligen Orten der Gräuel und Kriegsverbrechen.
Der Bürgermeister ist in einer Stadt keine unmaßgebliche Person. Doch
Johannes Waidbacher von der ÖVP hält sich raus. Mit der taz und anderen
Medien möchte er nicht sprechen, stattdessen verschickt er eine inhaltsarme
Presseerklärung. Darin steht, dass der Architektenwettbewerb „die
Rückführung des Gebäudes auf die historische Fassade“ vorsehe. Dies sei von
verschiedenen Institutionen angeregt worden, es „dient der Neutralisierung
des Objektes und wurde als zielführend erachtet“. So zeigt ein
Bürgermeister, dass er keine eigene Meinung hat. Manch andere haben sie.
Die Geschwister vom „Demokratischen Chor“ sagen etwa, ein „Haus der
Verantwortung“ wäre gut.
Das ist eine schon 20 Jahre alte Idee, die von dem Innsbrucker Politologen
Andreas Maislinger aufgenommen und forciert wurde. Er will in dem Haus eine
„internationale Stätte der Begegnung und Versöhnung“ errichten. Junge
Menschen aus der ganzen Welt sollen sich demnach dort zu Workshops treffen
und über gesellschaftliche Themen der Vergangenheit und Zukunft arbeiten.
Doch die Umsetzung des Vorschlags ist nicht weit gediehen, er findet keine
Mehrheiten. Unverdrossen sammelt Maislinger weiter Unterstützer im
Internet, mehr als 1.000 hat er mittlerweile beisammen. „Für bestimmte
Dinge braucht man einen langen Atem“, sagt er am Telefon. Nach jetzigem
Stand der Dinge hat sein Plan keine Chance, das Innenministerium hat anders
entschieden. Dennoch will Maislinger nicht aufgeben. Die Entscheidung für
die Polizei hält er für grundlegend falsch: „Nach einem Einzug wird es
große Probleme geben, denn dann kann sich alles vor dem Hitler-Geburtshaus
entladen.“ Mit einem „Haus der Verantwortung“ indes würde Braunau „sein
Stigma verlieren“.
Zeit für eine Einordnung bei so viel hitziger Rede. Zeit für einen Besuch
beim Schriftsteller [3][Ludwig Laher]. Der 65-Jährige kommt nicht aus
Braunau, hat den Ort aber immer aus der Nähe betrachtet. Geboren in Graz,
studierte, promovierte und arbeitete er als Lehrer in Salzburg. 1993 zog er
ins kleine, unscheinbare St. Pantaleon, auf halbem Weg zwischen Braunau und
Salzburg. „Um in Ruhe zu schreiben“, wie er sagt.
Jetzt sitzt der Mann mit den längeren grauen Haaren in seinem Garten,
streichelt die Katze und sagt: „Die Vorstellung, man könne dem Gebäude
seinen Symbolwert entziehen, und dann ist alles in Butter – das ist
unglaublich naiv.“ Man könne dem Phänomen „nicht durch Ignorieren oder
Niederreißen beikommen“. Schon 2016 wollte der damalige ÖVP-Innenminister
Wolfgang Sobotka das Haus „schleifen“. Das wäre „die sauberste Lösung�…
meinte er. „Die Kellerplatte kann bleiben.“
Je ruhiger und freundlicher Ludwig Laher spricht, umso schärfer werden
seine Worte. Er beklagt die „mangelnde Souveränität der Stadtpolitiker“ in
Braunau. Und: „Die strukturelle Vermeidungshaltung eint trotz Abstufungen
alle politischen Lager.“ Man schiebt also die Verantwortung nach Wien und
ist womöglich ganz froh darüber.
Laher kann sich neben Wohnungen und Büros auch gut ein „Haus der
Verantwortung“ vorstellen oder „eine ähnliche zukunftsorientierte Lösung
ohne direkten Bezug auf die NS-Zeit“. Braunau müsse als Ort versuchen, „dem
Phänomen und der Bürde offensiv zu begegnen“. Nach der Enteignung hätte es
dafür viel Zeit gegeben, auch um eine Haltung, einen Anspruch gegenüber
Wien zu formulieren. Doch nun hat die Bundesregierung entschieden – alles
sieht danach aus, dass schon bald die Polizei bei Adolf Hitler einzieht.
3 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_02136/index.shtml
[2] https://www.braunau.at/stadtamt
[3] http://www.ludwig-laher.com/index2.htm
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Adolf Hitler
Österreich
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