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# taz.de -- Die Wahrheit: Viertel der Verstörung
> Balkonpflanzen leichtgemacht: Die Farbgebung muss halt stimmen. Bloß
> Obacht, dass man mit dem grünen Daumen nicht in der Balkontür hängt!
Es war ein diesiger Dienstag, als es mir durch Mark und Bein ging. Dabei
hatte alles so beschwingt begonnen. Ich befand mich wie stets dienstags auf
Beutezug durch die Nachbarschaft. Saubere Staubsaugerbeutel säumten meinen
Weg; der Hinterlassenschaften waren viele im Viertel, derer ich entspannt
auf dem Trottoir habhaft werden konnte.
Essbesteck, Pralinen mit Schuss und fesche Regaleinlegebretter aus Laminat
– solch Tand feinsäuberlich abgelegt in meinem Beuteleiterwagen zog ich
bepackt und nachgerade fröhlich pfeifend durchs Viertel. Nichtsahnend griff
ich auf Höhe Truthahnweg zu einem Buch am Wegerichsrand. Schön bunt und
hohl der Titel: „Balkonpflanzen leichtgemacht“. Das konnte nicht
schiefgehen, oder etwa doch?
Im Schatten eines Gartenzwerges blätterte ich im Grünbuch. „Rosen, Tulpen,
Nelken, alle Blumen welken, nur die eine nicht, die da heißt
Vergissmeinnicht.“ So weit, so gut, alles wie gehabt, das kannte ich noch
von asbachuraltfrüher aus meinem Poesiealbum mit den roten Äpfeln auf dem
blauen Halbleineneinband. Auch den Spruch „Wässere jetzt, dann hast du
vorgesorgt während der Pest“ erinnerte ich. Den hatte mir Mareike Trudrung
einst mit fliederfarbener Tinte fälschlicherweise auf der Seite
hinterlassen, die ich eigentlich für meine mittellose, doch geliebte
Erbtante Ingeborg vorgesehen hatte.
Dass Frucht- und Saatfolgen laut „Balkonpflanzen leichtgemacht“ unbedingt
auch auf dem Balkon einzuhalten seien, damit ging ich ebenso d’accord wie
mit der Aussage auf Seite drei, dass ein Bock noch keinen Gärtner mache,
zwei Böcke aber schon. Doch dann kam der Hammer, fiel das Fallbeil bereits
auf Seite vier. „Entscheiden Sie sich für ein Farbkonzept auf ihrem
Balkon!“ Ein Farbkonzept! Nicht zwei oder drei Farbkonzepte oder gar gar
kein Farbkonzept wie auf meinem Balkon. Nein, 1, in Worten ein Farbkonzept!
## Himmel, hilf!
Mir blieb die Spucke weg, die Pralinen mit Schuss taten ihr Übriges. Denn
ich hatte schon ein Kilo von ihnen aus meinem Beuteleiterwagen verzehrt,
die restlichen dreieinhalb schmolzen in der südlich stechenden Sonne meines
mediterranen Viertels genüsslich dahin. Himmel, hilf! Ein einziges,
geschissenes Farbkonzept! Der Gartenzwerg zu dessen riesigen Plattfüßen ich
Sonnenschutz gesucht hatte, schüttelte erregt seine Zipfelmütze.
„Das ist unchristlich“, sagte er plötzlich und vernehmlich. Dann rülpste
er. Ich grinste, nichts anderes hatte ich erwartet von ihm. Der Zwerg
schien mir vernünftig. „Ein Farbkonzept auf dem Balkon ist unchristlich“,
grummelte er ein weiteres Mal in seinen zweimeterzwanziglangen Plastebart
hinein. Dann kackte er in die einfarbig blaue Rabatte hinter ihm. Ich
suchte mit meinem Beuteleiterwagen schleunigst das Weite, nicht ohne dem
Gartenzwerg noch einmal für seine klare Positionierung zu danken. Den Titel
„Balkonpflanzen leichtgemacht“ schleuderte ich über eine widerlich grüne
Thujenhecke.
23 Jun 2020
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Balkon
Zimmerpflanzen
Kolumne Die Wahrheit
Mobilität
Schwerpunkt Angela Merkel
Berlintourismus
Forschungspolitik
Zoom
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