# taz.de -- Die Wahrheit: Wannsee in Flammen | |
> Zum touristischen D-Day am 15. Juni heißt Berlin wieder mal die Welt | |
> willkommen. Aber auch die Gegenbewegung der BKWBDR ist am Start. | |
Bild: Sieht aus wie der Eiffelturm, ist aber nur die Spitze des Berliner Funktu… | |
Albert von Röschen klatscht vor Freude seine gedeckte Breitcordhose ab. Der | |
gelernte Schwiegersohn, der einst im Nebenfach Betriebsnudel mit | |
Schwerpunkt Tourismus studierte und ein Adelsprädikat sein Eigen nennt, ist | |
am Ziel seiner schlaflosen Träume angelangt: Berlin klappt wieder die | |
Bürgersteige runter, kurz BKWDBR! | |
Werden am 15. Juni bis in den hinterletzten Winkel des Schengenraums alle | |
Zugbrücken gen Himmel gezogen, und hat zeitgleich Außenminister Heiko Maas | |
alert seine weltweite Reisewarnung in länderspezifische Maaseinheiten | |
persönlich für Europa umgeschrieben: Dann ist von Röschen, dann ist der | |
Chef des Wirtschaftsmarketing BKWDBR! vor Ort in Berlin und reißt Karten | |
ab. | |
„Karten für was?“, fragen wir beim Pressetermin, bei dem die Wahrheit und | |
von Röschen in einem gemeinsamen Frischluftraum am Berliner Funkturm | |
skypen. Dazu wird im Abstand von 1,75 Meter von volltätowierten Jungs in | |
bärigen Kostümen Berliner Weiße mit Beerenschuss gereicht. Voll süß, aber | |
wie schon gefragt: „Karten, für was?“ Albert von Röschen wischt auf seinem | |
tragbaren Telefon herum. „Für alles, gnädige Frau, für alles!“ | |
Was wir uns denn in der gegenwärtig nur noch leicht lebensweltlich | |
beschränkten Situation unter „alles“ vorzustellen hätten, wollen wir | |
wissen. „Nun, Berlin all inclusive: Tierpark, Mauerpark, Nacktleben“. Der | |
BKWDBR!ler wird immer grundsätzlicher. Ausholend, ja rotweinwangig doziert | |
er vom „D-Day“ des gesamteuropäischen Tourismus, von Berlin als neuerlicher | |
Frontstadt des Easyjetsets, von Luftbrücken für Pauschaltouristen. Rosinen | |
statt Nüsschen seien aber nur hinflugtechnisch inklusive. Und: „Ab 15. Juni | |
wird wieder zurückgekotzt!“ Das sei doch schon mal volks- und | |
schankwirtschaftlich eine hervorragende Perspektive, so von Röschen. | |
## Wir verstehen nur Lehrter Bahnhof | |
„Aber warum D-Day?“, wollen wir wissen und greifen noch eine Berliner Weiße | |
mit extra Beerenschuss von dem süßen Bären ab. „Gnädigste, vermehrt werden | |
uns Touristen übers Wasser erreichen, und davon hat die deutsche Hauptstadt | |
ja bekanntlich viel. Mehr Liter als Venedig, sternihagelvoll ist hier | |
alles, wir verstehen uns?“ Wir verstehen zwar nur Bahnhof und dort, etwa am | |
Berliner Hauptbahnhof Tief, imaginieren wir, dass Touristen ab dem 15. Juni | |
wieder einfahren werden. Aber wie bloß wird die Reisemeute die | |
Berlinerinnen und Berliner explizit übers Wasser erreichen? Mit Tret- oder | |
Schlauchbooten, gar mit Schwimmreifen oder gleich FKK? | |
Von Röschen hüstelt gekonnt ins Fischgrätjacket. Dann grinst er wie ein | |
Westberliner Kudammpferd, das Aluscheuklappen trägt und brav besoffen auf | |
einer hygienischen Verschwörerdemo mittrottelt. „Gnädigste, alles wird in | |
Flammen sein, arrivieren die Globetrotter wieder mit ihren Rollkoffern und | |
ihren Plüschbärchen dran und mit ihren verrutschten Trägerhemdchen und | |
ihren viel zu kurzen Shorts. Alles wird dann in Flammen sein, alles – der | |
Fernsehturm, unser Regierender Michael Müller und der Wannsee sowieso.“ | |
Wir bleiben bei der mittlerweilen fünften Berliner Weiße mit Beerenschuss | |
hart, fragen erneut nach: „Aber warum D-Day am 15. Juni?“ Unser | |
BKWDBR!-Mann bleibt gleichfalls hart: „Gnädigste! Sie müssen sich | |
vorstellen: Wenn der Wannsee in Flammen ist und alles brennt, dann rennen | |
doch die Touristen mit ihren Rollkoffern und ihren Plüschbärchen dran und | |
mit ihren verrutschten Trägerhemdchen und ihren viel zu kurzen Shorts – | |
also dann stolpern die schnurstracks aus dem Wasser auf den Strand – wie | |
damals am 6. Juni 1944 die Alliierten in der Normandie. Ab da geht es dem | |
Virus an den Kragen! Hier beginnt der finale Untergang von Corona!“ | |
Am Berliner Funkturm ist die gemeinsame Frischluft in einem Raum mit Albert | |
von Röschen aufgebraucht. Wir suchen schnurstracks und hackedicht das | |
Weite, nicht ohne dem Chef des Wirtschaftsmarketing BKWDBR! unser | |
aufrichtiges Beileid für diesen beschwipsten Beginn der Berliner | |
Touristensaison am 15. Juni 2020 ausgesprochen zu haben. Vielleicht kommt | |
ja doch noch was dazwischen. | |
15 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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