| # taz.de -- ADFC-Kampagne geht nach hinten los: Wütende Radfahrer | |
| > Mit der Kampagne „Fahr runter“ wollte der Bremer ADFC gegen Aggressionen | |
| > im Straßenverkehr antreten – und kriegt dafür nun selbst einen Shitstorm | |
| > ab. | |
| Bild: Geht's hier um Vorfahrt, oder doch nur ums Höflich-Bleiben? | |
| Bremen taz | Klingt schon komisch: Da will einer antreten gegen | |
| Aggressivität im Straßenverkehr und für respektvolleres Miteinander – und | |
| bekommt postwendend selbst die volle Breitseite an Wut und Häme um die | |
| Ohren. Insbesondere Radfahrer:innen sind sauer auf die kürzlich gestartete | |
| [1][Kampagne #fahrrunter]: Weil die Plakate, Postkarten und Anzeigen | |
| lebensgefährliches Fehlverhalten von Autofahrern normalisierten und | |
| stattdessen die Wortwahl der potenziellen Opfer zum Thema mache, heißt es | |
| [2][zigfach auf Twitter] und Facebook. | |
| Manche fühlen sich bereits vom Titel aufgefordert, es mit ihren Rechten | |
| einfach sein zu lassen und die Straße für den Autoverkehr zu räumen. Für | |
| sogar bundesweite Aufregung sorgt zudem, dass neben dem ADAC Weser-Ems und | |
| Bremens Verkehrsressort auch der [3][hiesige Landesverband des Allgemeinen | |
| deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC)] an der Entwicklung von #fahrrunter | |
| beteiligt war. | |
| Tatsächlich ist bereits die Zusammenarbeit der naturgemäß verfeindeten | |
| Lobbyverbände eine Premiere, wie ADFC-Sprecherin Pina Pohl der taz | |
| bestätigt – weil die Sorge über wachsende Aggressivität auf der Straße | |
| beide gleichermaßen umgetrieben habe. Seit einem Jahr sammelt eine | |
| gemeinsame Arbeitsgruppe typische Konfliktsituationen wie zu dichtes | |
| Auffahren, zugeparkte Radwege oder die genommene Vorfahrt. Das Ergebnis ist | |
| seit zwei Wochen auf Bremer Plakatwänden zu sehen, wo sich weiße | |
| Strichmännchen auf blauem Grund wechselseitig beschimpfen: „Rechts vor | |
| links, du Hackfresse“, heißt es da etwa, oder: „Mach Platz, du Pisser.“ | |
| „Wir hatten damit gerechnet, wegen der Ausdrucksweise kritisiert zu | |
| werden“, sagt Pohl – die geballte Wut aus der Fahrradcommunity habe sie | |
| dann aber doch überrascht. Die Anspannung könne sie zwar gut verstehen, | |
| aber längst nicht alle Vorwürfe. | |
| Dass der Titel „Fahr runter“ nicht als Aufruf zum Abregen verstanden werde, | |
| sondern zum Verlassen der Fahrbahn, sei „doch absurd“. Weil es in dieser | |
| Kampagne ausdrücklich ums Überreagieren gehe, seien auch extra nicht die | |
| schlimmsten und gefährlichsten Vergehen abgebildet – auch wenn das manche | |
| anders wahrnähmen. Dass [4][die Zeichnung zum Abstandhalten] etwa so | |
| aussehe, als würden sich Fahrradlenker und Autorückspiegel berühren, ist | |
| für Pohl eine Frage der Perspektive des zweidimensionalen Bildes. So oder | |
| so mache Ausrasten jedenfalls nichts besser, sondern sei selbst gefährlich | |
| für alle Beteiligten. Besser sei Abregen, „auch wenn du recht hast“. | |
| Auf den ersten Blick kommt das Fahrrad in der Kampagne gar nicht mal so | |
| schlecht weg: Auf sieben der zehn Bilder liegt der Fehler klar beim Auto, | |
| auch in Sachen Gepöbel führen die Motorisierten deutlich. Aus Sicht vieler | |
| Fahrradfahrer:innen sind aber interessanterweise gerade die Motive | |
| schwierig, auf denen beide Fehlverhalten beim Autofahrer liegen. Wenn der | |
| nämlich erst den Abstand nicht einhält und auf den (auch im Bildtext) | |
| sachlich vorgetragenen Hinweis nur mit „Halt die Schnauze“ reagiert – dann | |
| bleibt die Frage doch offen, was man außer Ertragen und Nachgeben noch tun | |
| soll. | |
| Ohnmacht angesichts extrem ungleicher Kräfteverhältnisse erklärt jedenfalls | |
| sicher einen Teil des Zorn. Dazu kommt die Stimmungslage einer Gesellschaft | |
| im Umbruch: Der Alptraum von der autogerechten Stadt mag politisch tot | |
| sein, nur rasselt die Selbstwahrnehmung gesundheitsbewusster, zweirädriger | |
| Klimaschützer:innen darum nur umso härter auf die abstrakte Freiheit aus | |
| der Autowerbung und die mindestens gefühlten Zwänge motorisierter | |
| Pendler:innen. | |
| Auf Twitter kursiert der zynische Witz, Videos von gefährlichen | |
| Autofahrmanövern oder Unfallnachrichten mit #fahrrunter zu kommentieren, | |
| oder den Slogan gleich umzudeuten als „stirb leise“. Doch auch inhaltlich | |
| ausformulierte Kritik ist zu hören. Neben zahlreichen Privatpersonen hat | |
| sich über den [5][Podcast „Fahrradstadt Magazin“] inzwischen auch der ADFC | |
| Sachsen-Anhalt kritisch mit den Bremer Kolleg:innen auseinandergesetzt. | |
| Ein wesentlicher Gedanke ist hier, dass theoretische Rechte auch praktisch | |
| eingefordert werden müssten. Das gelte sowohl für das Fahren auf der Straße | |
| als auch fürs Beharren auf dem in der frisch novellierten | |
| Straßenverkehrsordnung zementierten Mindestabstand von 1,50 Meter. Es ist | |
| die Strategie weiter Teile der Szene, solange konsequent in die Offensive | |
| zu gehen, bis es auch die letzte Autofahrer:in begriffen hat. | |
| Das sehe auch der Bremer ADFC so, sagt Pina Pohl auf Nachfrage. Nur bedeute | |
| offensiv nicht aggressiv und gerade wer nach außen selbstbewusst auftreten | |
| wolle, müsse innerlich ruhig bleiben. Und das dürfte auch dem Verband schon | |
| leichter gefallen sein als im Moment. | |
| 22 Jun 2020 | |
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| [5] https://www.fahrradstadt-magazin.de/2020/06/17/radpod099-fahrrunter/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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