# taz.de -- Kritik an Kohle-Gesetz: Verzögerung bei Ausstieg befürchtet | |
> Kurz vor der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes wächst die Kritik | |
> – auch weil der entscheidende Vertrag mit den Betreibern noch fehlt. | |
Bild: Darf laut Kohleausstiegsgesetz bis 2028 laufen: Braunkohlekraftwerk Jäns… | |
BERLIN taz | In seiner letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause soll es so | |
weit sein: Am 2. Juli will der Bundestag nach langen Verzögerungen das | |
Gesetz verabschieden, [1][mit dem Deutschland bis zum Jahr 2038 aus der | |
Kohlenutzung aussteigen will]. Doch kurz vor dieser Entscheidung wächst die | |
Kritik von Umweltverbänden und WissenschaftlerInnen. Bisher hatten sie nur | |
bemängelt, dass der Gesetzentwurf hinter den Forderungen der | |
Kohlekommission zurückbleibe und die Kohleverstromung bis 2038 mit den | |
Klimazielen unvereinbar sei. Inzwischen befürchten sie, dass das Gesetz den | |
Kohleausstieg in Deutschland sogar verzögert, statt ihn zu beschleunigen. | |
Grund dafür ist, dass sich die Bedingungen für den Betrieb von | |
Kohlekraftwerken in den letzten Wochen deutlich verschlechtert haben: Zum | |
einen rechnet sich die Kohlenutzung wirtschaftlich oft nicht mehr. Die | |
Kombination aus höheren Preisen für CO2-Zertifikate und [2][steigender | |
Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom], die die Kohle schon im letzten Jahr | |
zurückgedrängt hatte, ist durch den Corona-bedingten Rückgang des | |
Stromverbrauchs zuletzt noch einmal verstärkt worden: Im Mai wurde dadurch | |
nur halb so viel Kohlestrom produziert wie ein Jahr zuvor. | |
Zum anderen hat die EU angekündigt, ihr Klimaziel für 2030 deutlich zu | |
verschärfen: Statt um 40 Prozent sollen die Emissionen um 50 bis 55 Prozent | |
reduziert werden. Das würde bedeuten, dass die CO2-Zertifikate weiter | |
verknappt werden müssten, was die Kohle weiter aus dem Markt drängen würde, | |
schreibt etwa der Thinktank E3G in einer aktuellen Analyse. „Ohne | |
Nachbesserung könnte der Gesetzentwurf die Kohle sogar kostspielig am Leben | |
halten“, warnen die AutorInnen. | |
Diese Sorge hatte bei einer Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss des | |
Bundestags bereits die auf Umweltrecht spezialisierte Anwältin Roda | |
Verheyen geäußert. Denn eine Entschädigung fürs Abschalten bekommen die | |
Betreiber nur, wenn ihre Kraftwerke bis zum vereinbarten Termin tatsächlich | |
weiter Strom produzieren; anderenfalls würde die EU die Zahlungen als | |
unzulässige Beihilfe werten.dena „Durch die späten Abschaltzeitpunkte | |
verbunden mit Entschädigungszahlungen ist für den Betreiber trotz | |
steigendem CO2-Preis gegebenenfalls wirtschaftlich, ihr Kraftwerk weiter zu | |
betreiben“, warnte Verheyen. | |
## Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt | |
Auch Kai Niebert, Präsident des Umwelt-Dachverbands DNR, äußerte bei einem | |
Fachgespräch im Umweltausschuss des Bundestags am Montag die Sorge, „dass | |
das Gesetz in der jetzigen Form die Verstromung aus Braunkohle zementiert, | |
statt sie zu beenden“. Kritik gibt es zudem an anderen Aspekten des | |
geplanten Vertrags, der auch spätere Regierungen binden würde: Dem Gesetz | |
zufolge soll dieser auch „die Kriterien und Rechtsfolgen unzulässiger | |
gezielter nachträglicher Eingriffe in die Braunkohleverstromung“ regeln und | |
die „energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler“ | |
festschreiben. Dies könne die künftigen Handlungsmöglichkeiten der Politik | |
stark einschränken, hatte Felix Matthes vom Öko-Institut schon zuvor | |
gewarnt. | |
Wirklich beurteilt werden können diese Befürchtungen derzeit aber nicht. | |
Denn die Entschädigungen und ihre genauen Bedingungen werden in einem | |
öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen der Bundesregierung und den | |
Kohlekonzernen festgeschrieben – und der liegt noch nicht vor. Wann der | |
Vertrag veröffentlicht wird, konnte das Wirtschaftsministerium am Montag | |
nicht sagen. | |
Niebert hält diese Situation für skandalös. „Liegen die Verträge nicht | |
rechtzeitig zur gründlichen Prüfung vor, darf dem Gesetz aus Sicht des DNR | |
nicht zugestimmt werden“, erklärte er. Auch die Grünen üben Kritik. „Wenn | |
sich die Bundesregierung für 18 Jahre binden will, sollte dem Parlament | |
unverzüglich der Vertrag offengelegt werden, und zwar ohne Schwärzungen“, | |
sagte Fraktionvize Oliver Krischer der taz. „Wenn die Konzerne Milliarden | |
bekommen, müssen auch die Details auf den Tisch.“ | |
15 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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