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# taz.de -- Zoff in Radebeul um Autor Jörg Bernig: Kulturkämpfer gibt endlich…
> Jörg Bernig ist mit völkisch-nationalistischen Positionen aufgefallen.
> Nach heftigem Streit tritt er nicht mehr zur Wahl eines Kulturamtsleiters
> in Radebeul an.
Bild: Jörg Bernig steht für einen zweiten Wahlgang nicht zur Verfügung
Der bevorstehende Montag versprach einen heißen Abend im sächsischen
Radebeul bei Dresden. Der Stadtrat sollte ein zweites Mal geheim über den
seit einem Jahr vakanten Posten des Kulturamtsleiters abstimmen, nachdem
Oberbürgermeister Bert Wendsche sein Veto gegen die Wahl des
rechtsintellektuellen Schriftstellers Jörg Bernig am 20.Mai eingelegt
hatte. „Für einen abermaligen Wahlvorgang stehe ich nicht zur Verfügung“,
teilte Bernig jedoch nun nach heftigen Auseinandersetzungen um seine Person
mit.
Klugerweise wird jetzt keine demonstrative Genugtuung über Bernigs Rückzug
laut. Gleichwohl glichen die vergangenen drei Wochen einem Kräftemessen
zwischen Lagern, denen die Causa Bernig nur den Anlass für eine neuerliche
Selbst- und Fremdverortung lieferte. Verschwörungvermutungen blühten dabei
auf beiden Seiten.
Der sächsische AfD-Generalsekretär Jan Zwerg witterte die altböse CDU
hinter der „denunziatorischen Hetzkampagne“ gegen Bernig. Sie habe die
Wahlwiederholung „angeordnet“ – obschon der Personalvorschlag Bernig ja a…
der CDU-Stadtratsfraktion kam! Literatenkreise vor allem aus Dresden ahnten
wiederum den Coup einer Achse, die sich vom Schriftsteller Uwe Tellkamp
über das von Susanne Dagen geführte Buchhaus Dresden-Loschwitz bis hin zum
ultrarechten Antaios-Verlag in Schnellroda zieht.
## Tellkamps Unterstützerbrief für Bernig
Für letztere Vermutung lieferte ein Ende Mai verfasster kurzer
Unterstützerbrief für Bernig den Anlass. Tellkamp reklamiert darin
reichlich abstrakt demokratische Errungenschaften und einen „offen und
respektvoll geführten Streit um die besten Lösungen“ für Bernig. Neben
erwartbaren Unterzeichnern wie Vera Lengsfeld oder Volkskomiker Uwe Steimle
überraschte vor allem die Unterschrift von Christian Thielemann,
Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, der allerdings einen
Tag später zurückzog.
Quantitativ überwog die Ablehnungsfront gegen Bernig bei Weitem. Der offene
Brief Radebeuler Kulturleute zählt mittlerweile mehr als 170 Unterzeichner.
Der PEN, dem Bernig angehört, bat ihn diplomatisch, seine weitere
Mitgliedschaft „zu überdenken“. Das Dresdner Literaturnetzwerk
„Wortwechsel“ konfrontierte ihn mit seiner Kamenzer Rede von 2016 und
stellte ihm Fragen nach seiner nunmehr angestrebten Rolle als
„Systemverantwortlichem“ in einem von ihm selbst denunzierten System der
„Verheimlicher“ und der „Sprach- und Denkkontrolleure“.
Einzelne Unterstützer oder Relativierer Jörg Bernigs erhielten
vergleichsweise breiten publizistischen Raum. Vor allem Weggefährten, die
Bernig als wichtigen Dichter und Denker noch vor seinen befremdlichen
Metamorphosen kannten und schätzten, die mit Pegida und dem
Flüchtlingszustrom 2015 zusammenfielen. Der Lyriker Uwe Kolbe
beispielsweise wandte sich gegen den indirekt nahegelegten PEN-Austritt.
## Bedrohung durch Einwanderung
Bei Friedrich Dieckmanns Seite in der Berliner Zeitung sind die gleichen
Phobien vor einem Untergang deutscher Kultur zu spüren wie bei Bernig.
Beide sehen deren hauptsächliche Bedrohung nicht in einer schleichenden
inneren Erosion, sondern in der Ein- und damit Unterwanderung von außen.
Der Hamburger Historiker Volker Weiß analysiert brillant Bernigs geistige
Verwandtschaft zu neurechten, völkisch-nationalistischen Positionen und
sieht ihn als Werkzeug einer rechten „Metapolitik“. Mit Gramsci gesprochen
geht es um das Streben nach kultureller Hegemonie.
In Bernigs „Was zu sagen ist“-Absagebrief ist auch der rechtsübliche
Vorwurf der Umgehung einer demokratischen Wahl zu lesen. Den Ausschlag für
die Resignation des 56-Jährigen könnte ein Gespräch mit Ministerpräsident
Michael Kretschmer (CDU) und der Radebeuler Jazzlegende Günter „Baby“
Sommer bereits am 5. Juni gegeben haben. Sommer hatte „den guten Moderator
und Mediator“ Kretschmer um Vermittlung gebeten, nachdem beide Kontrahenten
zunächst nur gegenseitige Entschuldigungen verlangt hatten.
Zu einer öffentlichen Erklärung seiner politischen Positionen und einer
Distanzierung von der AfD-Kulturpolitik soll aber auch der
Ministerpräsident den Schriftsteller aufgefordert haben. Bernig wollte sich
„das überlegen“. Fünf Tage später gab er auf, nicht ohne sich als
„unbequeme Person“ und als Opfer „des Totalitären“ selbst zu heroisier…
13 Jun 2020
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Kulturpolitik
Sachsen
Rechts
Politisches Buch
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Liebeserklärung
Schwerpunkt Coronavirus
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