Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Elvis oder nicht Elvis?
> „Be bop al lula“ oder „A-bop-bop-a-loom-op a-lop-bop-boom“? Eine drin…
> notwendige musiktheoretische Abhandlung.
Es sind dies gute Tage. Die Wahrheit, man muss es so sagen, steht überall
hoch im Kurs; Lügen, Korruption und Videos hingegen sitzen überall auf dem
absteigenden Ast und sägen sich munter ins eigene Fleisch. Fake News und
Verschwörungstheorien haben im neuen goldenen Zeitalter des Rationalismus
keine Chance. Es sind dies gute Tage!
Umso schlimmer, wenn ausgerechnet auf diesen Seiten, den wahren Seiten der
Wahrheit, Falschheiten, verdrehte Tatsachen, unrichtige Behauptungen
verbreitet werden, wie am vorigen Wochenende geschehen.
Wir erinnern uns: Unter der Überschrift „30 Silberlinge unterm Wahlkreuz“
rückte dort der Wahrheit-Redakteur Michael Ringel den King des Rock ’n’
Roll, Elvis Presley, nicht nur in die Nähe des amtierenden US-Präsidenten
Trump, sondern, welch Frevel, brachte ihn mit einer bestimmten Songzeile in
Verbindung: „Hauptsache, er war sauber an der empfindlichen Stelle zwischen
Bibelgürtel und ‚Be bop a lula‘“, heißt es in der spitzfindigen
Trump-Analyse: „Ja, Elvis war schon auch ein höheres Wesen für ihn, aber
letztlich nur der King.“
An dieser Stelle schlägt die Empörung hohe Wellen. Aber nicht wegen der
Formulierung „letztlich nur“, sondern vor allem wegen: „Be bop a lula“.…
das Berliner Rock-’n’-Roll-Institut, im Folgenden kurz RKI genannt, in
einer Eildepesche am Sonntagmorgen bereits festgestellt hat, liegt hier
nämlich eine Verwechslung vor. So ist „Be bop al lula“ (Refrain: „Be bop…
lula, she’s my baby / Be bop al lula, don’t mean maybe“) im Original
mitnichten von Elvis, sondern von Gene Vincent, der übrigens schon sechs
Jahre vor dem King, nämlich im Jahr des Herrn 1971, an einer Magenblutung
starb.
Von Elvis hingegen kursiert nur eine einzige Version dieses Klassikers, und
das auch nur im Internet, nicht auf irgendeiner Schallplatte. Es ist dies
der Mitschnitt eines Duetts mit Jerry Lee Lewis, dem Horst Eckel des Rock
’n’ Roll, mit anderen Worten: des letzten noch lebenden Veteranen. Eine
umwerfende Version aus den Archiven von Sun Records, die es dennoch nicht
mit der von Gene Vincent aufnehmen kann.
## Tutti frutti, au rutti / Alles Früchte, so Gerüchte
In der strittigen Abhandlung des Wahrheit-Redakteurs war offenbar ein ganz
anderes Stück gemeint, da sind sich RKI und Experten ausnahmsweise einig:
„Tutti Frutti“. In diesem Song heißt es bekanntlich bereits zum Auftakt:
„A-bop-bop-a-loom-op a-lop-bop-boom“. Und im Folgenden etwas erratisch:
„Tutti frutti, au rutti“. Was sollte das sein, Italienisch? Alles Früchte,
so Gerüchte? Selbst das RKI rätselt noch. Und fragt sich wieder einmal, ob
Elvis „die Hüfte“ Presley dort nicht einer in der Rhetorik beliebten
stilistischen Klangfigur, nämlich der „Annominatio“, erlegen ist, einer
Sonderform der Paranomasie, die als Wortspiel auf der Ähnlichkeit eines
Lautes in zwei Wörtern beruht. Schon auch ein freches Früchtchen gewesen,
dieser Elvis the Pelvis!
Aber ach! Es ist, beim Licht eines Mikroskops betrachtet, alles noch viel
komplizierter! Selbst dieses Stück ist indes gar nicht von Elvis Presley
selbst, sondern von dem erst kürzlich verstorbenen Little Richard. Bei dem
es darüber hinaus heißt: „Whop bop b-luma b-lop bam bom“, und im Folgende…
„Tutti frutti, good booty“, und: „Tutti frutti, all rooty“ – je nach …
der Zensur und erwünschter Anzahl fliegender Unterwäsche.
Aber das ist noch nicht alles: So hat Peter Kraus, zu Unrecht als
„deutscher Elvis“ verschrien – ein Nimbus, mit dem der rüstige Schlagers…
bis heute aufopferungsvoll zu kämpfen hat –, auf seiner allerersten Single
von 1956 tatsächlich „Wop-bop-a-loo-lop a-lop-bam-boo / Tutti frutti, oh
rootie“ gesungen. In der ersten Strophe gar: „Die Comfort-Bar, die ist toll
/ Dort tanzt man Rock ’n’ Roll“, hahaha!
Während die Swinging Blue Jeans aus Liverpool in ihrer deutschsprachigen
Fassung „Wabadadooda wambambam“ und „Tutti Frutti all route it“ sangen.…
das überhaupt Deutsch ist? Das zeigt sich erst in der folgenden Strophe,
„Von Liverpool kommen wir / Mit einem tollen Beat. Gestern war es noch neu;
/ Heut’ tanzen alle mit! / So geht’s jeden Tag / So geht’s jede Nacht / B…
uns der Rhythmus crazy macht!“. Aber das nur nebenbei.
Es waren schon heiße Zeiten damals, und Anzügliches wurde gern einmal
gekonnt in solcherlei harmlos scheinenden Liedzeilen versteckt. Der
Tutti-Frutti-Komplex, wie er vom RKI kennerisch genannt wird, zieht aber
noch viel weitere Kreise, beinahe in unsere pandemische Gegenwart hinein.
So hat die spätgeborene Neue-Deutsche-Welle-Band Trio, die großspurig als
Rolling Stones von Großenkneten aus der Norddeutschen Tiefebene
herauskroch, in ihrer um 1982 veröffentlichten Version den legendären
Auftakt sehr minimalistisch auf die Zeile „Bebobalubabalabamboo“ verkürzt.
Dabei ist Bamboo, wie man heute weiß, doch in Wahrheit ein „von Atlassian
entwickelter CI- und Build-Server für kontinuierliche Integration“, wie uns
eine weltweit bekannte Suchmaschine denn auch recht zuverlässig mitteilt.
## Do be do be do / Zu sein zu sein zu
Aber derlei Verwechslungen wie die des musiktheoretisch unbeleckten
Wahrheit-Redakteurs passieren in diesen digitalen Zeiten leider immer
öfter. So wird in dem bekannten Dreireiher „To do is to be“ (Nietzsche),
„To be is to do“ (Kant), „Do be do be do“ (Sinatra) nicht nur suggerier…
dass sich der von der New Yorker Mafia zu Weltruhm und Trunksucht
gepamperte Frank Sinatra schon früh mit den Abgründen des Deutschen
Idealismus auseinandergesetzt hat und Nietzsche schon vor Hermann Kant des
Englischen mächtig war. Wie gefälschte Unterlagen zeigen, hat der späterhin
geistig verwirrte Ur-Nietzscheaner und Nihilist Friedrich Nietzsche
allerdings erst zwei Semester nach Kant den Einführungskurs Englisch A1 an
der VHS Sigmaringen belegt.
Auch hat es Sinatras „Strangers in the Night“, aus dem das Dubidu stammen
soll, nie zur Titelmelodie von „Eine schrecklich nette Familie“ gebracht.
Das wurde „Love and Marriage“, gesungen vom Serienkiller Al Bundy
höchstselbst. Ja, Wissen ist Macht!
Höchst ärgerlich ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung von
falschen sogenannten Memes, kleinen, durchs Netz huschenden Bildern mit
meist lustigen Weisheiten. Da sieht man zum Beispiel den blonden Sänger von
Hot Chocolate, darunter den Spruch „Glaub nicht alles, was du über Corona
liest“ und als Autorenangabe „Ed Sheeran, Posaunist der Beatles“! So geht
es nun wirklich nicht. Da ist es besser, etablierten Institutionen wie eben
dem Berliner Rock-’n’-Roll-Institut (RKI) zu vertrauen. Und nicht Ed
Sheeran mit Neil beziehungsweise Luis Armstrong oder „Be Bop A Lula“ mit
„Tutti Frutti“ zu verwechseln.
Oder um es abschließend mit der Spider Murphy Gang aus Hamburg-Harburg zu
sagen: „Da da da, aha, aha, aha.“ Oder war das jetzt Trio?
13 Jun 2020
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Elvis Presley
Donald Trump
Popmusik
Rock'n'Roll
Fußball-Bundesliga
Haus und Hof
Kolumbus
Maus
Café
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
US-Musiker Jerry Lee Lewis: Rock-'n'-Roll-Ikone mit 87 gestorben
Neben Elvis, Chuck Berry und Little Richard machte Lewis in den 50ern
Rockmusik populär. Vor seinem Tod wurde er noch in die „Country Music Hall
of Fame“ aufgenommen.
Die Wahrheit: Sie sind die 20 Prozent!
München muss leider draußen bleiben: Die Fußball-Bundesliga startet ohne
Bayern in neue Saison. Aber manchmal mit Zuschauern.
Die Wahrheit: Es ist Zeit für ein Haus
Seit Jahren ist die Instandsetzung im Gange und nicht der Rede wert. Das
Haus steht da wie ein verwundeter offener Körper.
Die Wahrheit: Schiffe versenken für Ideologen
Kolumbus’ Santa Maria wurde von Roland Kaiser besungen. Wahrscheinlich
liegt sie deshalb schon lange nicht mehr im Hafen von Barcelona.
Die Wahrheit: Mäusejagd im Moloch
Die Kolumne mit der Maus: Deutet sich hier ein Fortsetzungsroman an? Oder
nur der ganz normale Wahnsinn in einem Berliner Altbau.
Die Wahrheit: Das Loch im Geschehen
Eine auf den ersten Blick unschuldige Szene in einem Café. Wie in einem
Song. Es wird Kaffee getrunken, Kuchen bestellt. Aber wer ist die Täterin?
Die Wahrheit: Endzeitstimmung auf der Endmoräne
Das Dorf im flachen Bauerwartungsland am Niederrhein muss nicht nur dem
Klimawandel trotzen, es verliert auch noch seine letzte Kneipe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.