| # taz.de -- „Tatort“ aus München: Kleinbürgerliche Fassade | |
| > Im neuen „Tatort“ aus München regnet es Eidechsen, die Story wirkt wie | |
| > ein entrücktes Gemälde. Es ist wichtig, mit Sehgewohnheiten zu brechen. | |
| Bild: Die Kriminalhauptkommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr am Fundort der L… | |
| Wie erst beim letzten und eher lahmen Weimar-Tatort „Der letzte Schrey“ am | |
| Pfingstmontag zu begutachten war, reicht es nicht, die immer gleichen (und | |
| ja an sich lustigen) Ideen in Varianten auszuschmücken. Weil: viel zu | |
| erwartbar das Ganze. | |
| Wie anders machen das die Münchner in ihrem neuen Fall „Lass den Mond am | |
| Himmel stehn“! Bei Leitmayr und Batic regnet es Eidechsen. Sie krabbeln | |
| durch die Szenerie und wirken wie eine Bildstörung. Überhaupt ist die | |
| Handlung immer wieder durchbrochen von scheinbar nicht zusammenhängenden | |
| Bildtableaus, die wie entrückte Gemälde wirken. | |
| Und in der Tat sind viele dieser Zwischenszenen durch Zufall entstanden, | |
| erzählt der Kameramann Thomas W. Kiennast im Pressematerial zum Film. In | |
| einer Szene sieht man Judith Kovacic (Laura Tonke) laut schreien und | |
| weinen, dann in Stille aus dem Fenster ins Dunkle starren, vor den | |
| Glasscheiben ein Whirlpool, der ohne Unterlass seine Blasen produziert, es | |
| blubbert und blubbert – als wäre nichts passiert. | |
| Dabei ist eine Menge passiert: das Schlimmste, was eine Mutter erleben | |
| kann. Denn Kovacic beklagt den Tod ihres Sohnes Emil (Ben Lehmann). Sein | |
| Bett ist am Morgen leer, am Abend zuvor war er bei seinem besten und | |
| einzigen Freund Basti Schellenberg (Tim Offerhaus). Sie spielten Games. | |
| ## Zu viele Motive | |
| Die Familien sind befreundet. Emil indes, das wird schnell klar, galt als | |
| Außenseiter in der Schule. Und nun wurde Emil ermordet. Leitmayr und Batic | |
| stehen vor einem Rätsel. Und im Laufe der ersten Stunde scheinen so gut wie | |
| alle verdächtig zu sein. Denn jede/r – bis auf die trauernde Mutter – | |
| benimmt sich verdammt merkwürdig. Auch der Stiefvater Emils. | |
| Er und die Schellenbergs agieren, abgesehen von verbalen Äußerungen, | |
| seltsam emotionslos. Bei Basti, gerade mal 13 Jahre alt, geht diese | |
| irritierende Teilnahmslosigkeit entweder als akute Schockstarre oder | |
| permanent-pubertäre Coolness durch. Aber bei den Erwachsenen? | |
| Als ein Parkplatz, ein Treffpunkt für anonymen Sex – für die Jungs so etwas | |
| wie „Sexualkunde in live“ –, ins Spiel kommt, mehren sich die möglichen | |
| Motive für den Mord. Doch das Dickicht aus Ungesagtem, Täuschungen, Lügen | |
| ist schwer zu durchbrechen. Das Böse scheint hinter der kleinbürgerlichen | |
| Fassade immanent. Die immer wieder einkehrende Stille in diesem eh schon | |
| leisen, ästhetisch außergewöhnlichen Krimi unterstreicht das auf fast | |
| mythische Weise. | |
| 7 Jun 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hergeth | |
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