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# taz.de -- Fernsehkomödie „Now or never“: Das Ziel fest vor Augen
> Mit dem letzten neuen „FilmMittwoch“-Film vor der Sommerpause wagt sich
> die ARD in ein riskantes Genre vor: die Sterbehilfe-Komödie.
Bild: Vor dem Ende noch mal richtig auf die Piste: Tinka Fürst als Rebecca
Das Thema ist todernst und aktuell. Im Februar erst wurde wieder kontrovers
darüber diskutiert, als nämlich das [1][Bundesverfassungsgericht das Verbot
der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt] hatte. Vor dem Hintergrund und im
Angesicht des ganz und gar berechtigten Vorwurfs an die
Öffentlich-Rechtlichen, sie würden sich mit ihrem Programm nichts trauen,
kann man sich nur wundern über diesen neuen Film.
Eine Sterbehilfe-Komödie – das kann doch gar nicht anders als schiefgehen.
Zumindest dann, wenn sie es wirklich ernst meint mit ihrem Gegenstand und
die Sterbehilfe nicht nur als MacGuffin, als Vorwand begreift. Wie Philippe
de Broca in seinem zugegebenermaßen sehr lustigen Film „Die tollen
Abenteuer des Monsieur L.“ Jean-Paul Belmondo gibt da einen lebensmüden
Multimillionär, der seinen eigenen Auftragsmord bestellt, nur um das Leben
auf der Flucht vor seinen Killern wieder lieben zu lernen.
(It’s) „Now or never“ – Elvis’ schmachtende Zeilen, denen der Filmtit…
entnommen ist, nicht ohne Ironie, sind durchaus existentialistisch, so wie
der Text, den Henry (Michael Pink) bei seiner Arbeit zu sprechen hat:
„Dieses Gemisch lässt Sie nach wenigen Augenblicken sterben. Trinken Sie es
also nur, wenn Sie das wirklich möchten. – Möchten Sie aus freiem Willen
sterben?“ Henry ist Sterbehelfer. Das Hospiz … die Agentur, für die er
arbeitet, ist genau auf die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz
gebaut. Bevor er der an Knochenkrebs Erkrankten das Glas mit dem in
Orangensaft aufgelösten Pulver reicht, muss er darauf achten, dass das Bett
auch auf der Schweizer Seite des Zimmers steht.
Die Frau ist ihm dankbar, dass er ihre quengelnden Angehörigen etwas rabiat
aus diesem befördert hat. Ein Kollege meint hingegen, er hätte ein Problem
mit „Anstand“ und „Pietät“. Seine müden Augen und die arg nachlässig
gebundene Krawatte bezeugen, dass es mit ihm nicht zum Besten steht. Den
Grund dafür erfährt der Zuschauer erst viel später im Film – seine
Berufswahl hat damit zu tun. Sie steht nun zur Disposition, seine Chefin
gibt ihm noch eine „letzte Chance“.
## „Hoffentlich nicht wieder jemand mit Nekrose.“
„Nein, Henry. Es ist einfach nur eine junge Frau, die an einem Hirntumor
leidet. Und sich einen kurzen und schmerzlosen Tod wünscht.“
Rebeccas (Tinka Fürst) Plan sieht eigentlich so aus: „Heute Nacht werden
noch mal so richtig die Ferkel gefüttert. Und morgen Nachmittag wird
gestorben.“ „Bereit auszuchecken?“, fragt Henry also auch sie, als sie si…
nach einer gemeinsamen wilden Clubnacht in dem Sterbezimmer eingefunden
hat. Da fängt sie plötzlich von einem Wunderheiler an, von dem sie im Radio
gehört habe. Henry kennt das schon: „Du bist noch nicht so weit. Du bist
jetzt in einem Stadium, in dem der Sterbende noch nicht wahrhaben will,
dass seine Zeit abgelaufen ist.“ „Du musst mich da hinbringen“, sagt sie.
„Ich bin Sterbehelfer und kein Chauffeur“, sagt er.
Natürlich chauffiert er sie, und weil der angebliche Wunderheiler irgendwo
hoch oben in den Schweizer Bergen praktizieren soll, wird aus der
Sterbehilfe-Komödie nun auch noch ein Roadmovie mit einer erlesenen Auswahl
alter Autos (Saab 900 Cabrio, Fiat Panda, Cadillac DeVille Convertible).
Und weil sich den beiden noch Henrys ehemaliger bester Freund und Rebeccas
Ehemann (und ein Elvis-Imitator) an die Fersen heftet, auch noch eine
Verfolgungskomödie – genretypische Blechschäden inklusive. „Wir wollten u…
zusammen eine Existenz aufbauen. Ich muss meine jetzt abbauen“, begründet
Rebecca ihre Flucht vor dem Mann, der sie liebt. Das ist flott formuliert,
dabei tieftraurig, wahrhaftig und maximal unsentimental – wie der ganze
Film (Buch: Belo Schwarz; Regie: Gerd Schneider).
Und deshalb kann der Wunderheiler am Ende auch kein Wunderheiler sein und
der Hirntumor keine Fehldiagnose. Kann Rebecca den Film, anders als
Monsieur L., nicht überleben. Kann der Film – der vor dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts abgedreht war – den irren Spagat schaffen und
beides sein: eine lustige Komödie und ein ernst gemeintes Plädoyer für ein
selbstbestimmtes Sterben.
23 Jun 2020
## LINKS
[1] /Grundsatzurteil-zu-Sterbehilfe/!5666895
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
ARD
Komödie
Sterbehilfe
Tatort
Fernsehserie
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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