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# taz.de -- Drohnenlarven als Nahrungsmittel: Echter Bienenstich
> Männliche Bienen werden oft noch vor dem Schlüpfen aus dem Bienenstock
> geschnitten und einfach weggeworfen. Dabei sind sie doch so schmackhaft!
Bild: Vom Drohnenschnitt verschont geblieben: Eine männliche Biene guckt aus e…
Jedes Jahr im Mai und Juni töten Imker:innen schätzungsweise hundert Tonnen
männliche Bienen – allein in Deutschland. Als Puppen oder Larven werden die
Drohnen aus dem Bienenstock geschnitten, mitsamt der Waben, in denen sie
aufwachsen. Anders als die weiblichen Arbeiterinnen sind Drohnen
stachellos, sammeln keinen Honig und gelten daher als „faul“. Ihre einzige
Funktion ist die Begattung von Königinnen.
Was klingt wie die insektoide Variante [1][des
Männliche-Küken-Schredderns], hat einen guten Grund. Viele Imker:innen
entnehmen die sogenannte Drohnenbrut aus dem Bienenstock, um das gesamte
Volk vor der Varroa-Milbe zu schützen, einem gefürchteten Bienenschädling.
Da die Drohnen etwas größer sind als die Arbeiterinnen, brauchen sie ein
paar Tage länger, um sich zu entwickeln – und so nutzen die Milben am
liebsten deren Wabenzellen zur Fortpflanzung.
Im Vergleich zu anderen, teils chemischen Methoden der Schädlingsbekämpfung
gilt der Drohnenschnitt als schonend und effektiv. Pro Bienenvolk fallen
rund zwei bis drei Kilogramm entnommener Waben an, bei größeren Imkereien
kommen so schnell einige hundert Kilo zusammen. Der Großteil des Gewichts
entfällt auf die jungen Drohnen selbst.
Viele Bienenhalter:innen wissen nicht, wohin mit der Drohnenbrut. Einige
schmelzen die Waben ein, um das Wachs zurückzugewinnen. Andere verfüttern
die Drohnenbrut an Vögel, was aus seuchenhygienischen Gründen umstritten
und im Freien auch strafbar ist. „Manche vergraben sie einfach“, sagt Malte
Eisfeld, Bio-Imker in Berlin. „Dabei wäre es doch toll, eine Verwendung
dafür zu haben.“ Doch gibt es die bereits, theoretisch jedenfalls.
## Die Larven sind ein guter Ei-Ersatz
Man kann die Drohnenbrut nämlich essen. Röstet man die Puppen männlicher
Bienen lange genug, entwickeln sie einen Geschmack, der an Pinienkerne
erinnert. Die Larven wiederum eignen sich als Ei-Ersatz und geben Crème
brûlée, Mayonnaise oder Bienennudeln eine besondere Note. Man kann sogar
[2][Unterschiede zwischen Kolonien verschiedener Standorte schmecken]. Auch
für Bienenstich sind Drohnenlarven eine fantastische und höchst nahrhafte
Zutat und geben dem Namen des Kuchens endlich einen Sinn.
Anders als bei uns ist es in [3][vielen Ländern der Welt völlig normal],
Insekten zu essen. Vielerorts, etwa in Asien, gelten Bienen als gesunde
Delikatesse. Auch Bären wissen, was gut ist: Sie lieben nicht nur Honig,
sondern sehen es beim Eindringen in Bienenstöcke vor allem auf die Brut
selbst ab. Wie wir sind sie Allesfresser und schätzen die Mahlzeit voller
[4][Proteine, hochwertiger Fette und Mineralstoffe].
Bienen auch bei uns zu essen wäre also durchaus sinnvoll. Vor allem wenn
man die hip gewordene Idee ernst nimmt, Insekten als Alternative zu
Wirbeltierfleisch zu nutzen. Schließlich ist die Drohnenbrut ohnehin
vorhanden – und ihr Verzehr somit nachhaltiger als beispielsweise Grillen,
die [5][unter kapitalistischen Bedingungen extra gezüchtet werden] und dann
zu Preisen verkauft werden, die sich nur Privilegierte leisten können.
Ein Problem auf dem Weg zum „echten Bienenstich“ ergibt sich in Europa aus
der restriktiven Gesetzgebung. Seit 2018 ist die Europäische Behörde für
Lebensmittelsicherheit (Efsa) [6][für die Zulassung von Insekten als
Nahrung] zuständig. Um diese zu bekommen, sind aufwendige Messungen zu
Pestiziden und anderen Schadstoffen nötig. [7][Erste entsprechende
Untersuchungen] zur Drohnenbrut sollen zwar demnächst publiziert werden,
dürften aber kaum ausreichen. Ein bereits 2019 vom finnischen Imkerbund
eingereichtes [8][Dossier für Bienendrohnen] hat aufgrund fehlender
Informationen noch nicht einmal den Eintritt in den eigentlichen
Prüfprozess geschafft.
## Kein Massenproduktionstier
Daniel Ambühl ist genervt von der bürokratischen Trägheit. „Dieser neophobe
Regulierungsterror muss ein Ende haben“, sagt er. Der Schweizer Künstler,
Publizist, Insekten- und Pilzexperte setzt sich seit Jahren aktiv für den
Verzehr von Drohnenbrut ein. Damit ist er innerhalb der wachsenden
Entomophagie-Bewegung – so nennt man den Insektenverzehr – eher ein Exot.
Nicht viele beschäftigen sich mit Drohnen. Zum einen mangelt es an
kulinarischer Aufmerksamkeit, zum anderen fehlen finanzielle Anreize.
Denn anders als in Massen züchtbare Insekten wie Mehlwürmer, Grillen und
Heuschrecken ist die Drohnenproduktion nicht ohne Weiteres erweiterbar. Für
Europa schätzt Ambühl die jährlich vernichtete Drohnenbrut auf rund tausend
Tonnen – angesichts der deutschen Fleischproduktion von acht Millionen
Tonnen im Jahr ist das fast nichts.
Auch bedeutet die hygienisch korrekte Ernte und Verarbeitung von Drohnen
einen erheblichen Aufwand. Viele Imkereien sind klein – und überall
verstreut. Während der frühsommerlichen Drohnensaison haben sie alle Hände
voll mit der Honigproduktion zu tun. Die Imkerin und
Umweltwissenschaftlerin Magdalena Ulmer geht deswegen davon aus, dass es
eines Logistiksystems bedürfte: Die Drohnen müssten durchgehend gekühlt an
einen zentralen Ort gebracht werden.
Ulmer ist Hauptautorin der wohl weltweit ersten [9][Studie zur Ökobilanz
von Drohnenbrut als Nahrungsmittel]. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem
der Transport ins Gewicht fällt. Die Berechnung sei konservativ, betont
Ulmer, „dennoch kann der ökologische Fußabdruck der Honigproduktion um acht
Prozent minimiert werden, wenn man Drohnenbrut als Nebenprodukt,
beispielsweise für Burger-Patties, nutzt“. Beim Landverbrauch seien die
Werte sogar deutlich besser als die des Mehlwurms.
Auch das Herauslösen gefrorener Larven und Puppen aus den Waben per Hand
mit Hilfe von Flüssigstickstoff wirkt sich spürbar negativ auf die
Nachhaltigkeit aus, berichtet Ulmer. Das ist zwar momentan die effektivste
Methode, aber dennoch langwierig. Sicherlich ließen sich bessere technische
Lösungen finden. Ob aber der potenzielle Markt groß genug ist, damit diese
Hürden angegangen werden, ist ungewiss.
## Einsatz als lokales Ökolebensmittel
Vielleicht liegt darin, dass es die Bienendrohnen einer kapitalistischen
Verwertung strukturell schwer machen, gerade ihr Vorteil. So bliebe nämlich
nur, sie dezentral als lokales Ökolebensmittel anzubieten – dann wäre ihre
Ökobilanz sogar noch besser als von Ulmer berechnet.
Einige Pioniere tun das bereits, trotz fehlender Erlaubnis. Erfahrungswerte
kursieren vor allem unter älteren Imker:innen – für einige von ihnen ist es
nichts Neues, Drohnenschnitt mit Nahrung zu assoziieren. Gerade in schweren
Zeiten dürfte es auch hierzulande häufiger vorgekommen sein, dass die
Larven und Puppen in der Pfanne landeten.
Wie das konkret schmecken kann, steht in [10][dem Bienenkochbuch], das
Daniel Ambühl geschrieben hat, „Beezza!“ heißt es. Darin stellt er
einfache, absolut empfehlenswerte Rezepte vor. Wie „Hatschi“, eine
unkomplizierte, von der japanischen Küche inspirierte Art, Bienenpuppen mit
Honig und Sojasauce zu braten. Oder „Bienennudeln Burro e Salvia“ –
phänomenal simpel zu gleichen Teilen aus Teigwarenmehl und Drohnenbrut
hergestellt und dann mit Butter und Salbei angerichtet.
Die Imkerei ist voll mit nur knapp am Existenzminimum vorbeischrammenden
Idealist:innen – ein zusätzlicher Nebenverdienst kann da nicht schaden. In
der Schweiz [11][vermittelt Daniel Ambühl auf seiner Webseite bereits
entsprechende Kontakte] – und empfiehlt als fairen Preis rund 20 Euro pro
Kilogramm Drohnenbrut. Nur als Lebensmittel deklarieren dürfe man sie
nicht, sagt er. „Ich empfehle also: Verkauft sie als Kopie eines Kunstwerks
von Joseph Beuys, als Hundefutter, Fischköder oder Frisbee.“
Transparenzhinweis Der Autor hat 2019 das mit dem „Berliner Startup
Stipendium“ geförderte [12][Bienendrohnen-Projekt „ymbe“] mit gegründet.
Formal als Unternehmen gefördert, machte ymbe zu keinem Zeitpunkt Umsätze
und ist inzwischen eine ehrenamtlich betriebene Plattform zur Vernetzung
und Verbreitung von Wissen.
9 Jun 2020
## LINKS
[1] /Ziel-der-Gefluegelwirtschaft/!5638366
[2] https://www.wageningenacademic.com/doi/abs/10.3920/JIFF2016.0014
[3] /Nahrung-in-Laos/!5583159
[4] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32230865/
[5] /Insekten-essen/!5612482
[6] https://ec.europa.eu/food/safety/novel_food/authorisations/summary-applicat…
[7] https://pdfs.semanticscholar.org/513a/84174794c530e589f5bd601ff4a6ba3c8822.…
[8] https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/safety/docs/novel-food_sum_ongoi…
[9] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0921344919304823#!
[10] http://www.beezza.ch/
[11] http://www.beezza.ch/drohnenbrut.htm
[12] http://ymbe.de/
## AUTOREN
Andrew Müller
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