# taz.de -- Streaming in Corona-Zeiten: Endlich Reality-TV aus dem Parlament | |
> Seit Corona streamen das Berliner Parlament und viele Bezirke ihre | |
> Sitzungen. Dafür gibt es viel Lob, obwohl die Zahl der ZuschauerInnen | |
> niedrig ist. | |
Bild: Aus dem politischen Raum ins Wohnzimmer: Livestream eines Ausschusses | |
BERLIN taz | Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei hatte | |
gerade zu reden begonnen, da zuckelte das Bild – und dann verschwand | |
Norbert Cioma ganz vom Bildschirm. „Livestream derzeit nicht verfügbar“, | |
stand dort nur noch. Den ZuschauerInnen des [1][Innenausschusses am | |
vergangenen Montag], auch vielen JournalistInnen, blieb verborgen, was der | |
Vertreter der einzigen ernstzunehmenden Polizeigewerkschaft zum lange | |
umstrittenen Polizeibeauftragten zu sagen hatte. | |
Es läuft also noch nicht so richtig rund in Sachen Digitalisierung in | |
Berlin. Das ist nichts Überraschendes. Und dennoch begrüßen viele den | |
Innovationsschub in dieser Hinsicht, ausgelöst durch die Coronapandemie und | |
die daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen. | |
So überträgt seitdem beispielsweise das Abgeordnetenhaus zusätzlich zu den | |
Plenardebatten auch die meisten Ausschüsse im Netz, zugänglich für jede/n, | |
teilweise auch, um Ausschussmitglieder einzubinden, die wegen der | |
Corona-Auflagen keinen Platz mehr im Raum haben. Auch einige | |
Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) ließen Kameras aufbauen, um die | |
Öffentlichkeit unter den veränderten Bedingungen einzubinden, etwa im | |
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, wo schon zwei Sitzungen übertragen wurden. | |
„Ich bin total froh darüber“, sagt der Grünen Abgeordnete Stefan Ziller, … | |
seiner Fraktion zuständig für Digitales. Dabei ist die Zahl der | |
ZuschauerInnen bisher eher niedrig: Aktuell besonders relevante Ausschüsse | |
wie die für Gesundheit und für Inneres werden schon mal von hundert | |
Menschen live verfolgt, andere haben eher niedrige zweistellige | |
Einschaltzahlen. | |
Immerhin: Dadurch, dass die teils dreistündigen Sitzungen später in den | |
Youtube-Kanal des Parlaments eingestellt werden, kommt auch eine Sitzung | |
des Kulturausschusses, wie jene vor zwei Wochen, auf fast 500 Aufrufe. Es | |
gilt auch hier: Umstrittene aktuelle Themen locken mehr Publikum. | |
Trotz der dezenten Zugriffszahlen macht die Übertragung laut Ziller „total | |
Sinn“. Aus mehreren Gründen, wie er findet: So könnten | |
Abgeordneten-KollegInnen leichter mitschauen, die dem Ausschuss nicht | |
angehören, aber an den Themen interessiert sind. „Das bringt auch die | |
parlamentarische Debatte weiter.“ Einfacher werde es auch für die | |
„Fachszene“ – also BerlinerInnen, die sich einem sehr spezifischen Thema | |
zugewandt haben –, die auf diese Weise leichter eingebunden werden könne. | |
„Da ist dann auch die Zahl der ZuschauerInnen nicht das entscheidende | |
Kriterium“, betont der Abgeordnete. Und schließlich sei es dank | |
Liveschalten leichter, ExpertInnen für Anhörungen auch von außerhalb zu | |
bekommen. „Dadurch gewinnt die demokratische Debatte.“ | |
Ähnlich beurteilt das sein Kollege Tobias Schulze, netzpolitischer Sprecher | |
der Linksfraktion: Corona sei ein Digitalisierungsbeschleuniger. Schulze | |
lobt dabei die technische Umsetzung im Parlament: „Die Qualität ist hoch, | |
es gibt mehrere Kameras und Schnitte sowie gute Tonaufnahmen.“ Die | |
Übertragungen seien kein Ersatz für Livebesuche, aber sie ermöglichten viel | |
mehr Menschen, die Debatten zu verfolgen, die tagsüber keine Zeit hätten. | |
„Das Feedback ist sehr gut“, bilanziert er. Beide Abgeordneten gehen | |
deswegen davon aus, dass auch nach Corona das Streamen der Ausschüsse | |
beibehalten wird. „Es gehört halt im 21. Jahrhundert dazu“, sagt Ziller. | |
Das sieht man auch in der Verwaltung des Abgeordnetenhauses so. „Das Ziel | |
ist, dass es weitergeht – und wir kommen davon ja eigentlich gar nicht mehr | |
runter“, sagt Sprecher Ansgar Hinz. Sogar die MitarbeiterInnen des Hauses | |
hätten davon profitiert, berichtet er: „Wir haben selbst viel geschaut, | |
dank Livestream kriegt man doch neue Dinge mit.“ | |
Einen Teil der Übertragungen habe der Sender Alex – der frühere Freie Kanal | |
– produziert, der auch die donnerstäglichen Plenumssitzungen überträgt; | |
viele Ausschüsse habe das Haus aus Bordmitteln organisiert. Und am Beheben | |
von Pannen werde gearbeitet: „Wir sind noch nicht ganz perfekt, aber das | |
arbeiten wir mit Sicherheit noch mal auf.“ | |
Weniger einheitlich ist das Bild, wenn man in die Bezirke blickt. Als | |
Vorreiter gelten hier Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, die bereits seit | |
mehr als sechs Jahren die Sitzungen der jeweiligen BVV streamen – mit | |
Zuschauerzahlen auf „durchweg niedrigen Niveau“, wie man im Büro des | |
Lichtenberger Bürgermeisters weiß. So wurde die in vier Teile geschnittene | |
Aufzeichnung der jüngsten BVV-Sitzung Ende Mai bis heute von knapp 50 bis | |
knapp 90 ZuschauerInnen geschaut. Wie viele live einschalten, ist unklar: | |
Das werde aus Datenschutzgründen derzeit nicht erhoben. | |
## Links, die ins Nichts führen | |
In Lichtenberg will man das Angebot dennoch weiterentwickeln und den | |
Vertrag mit dem derzeitigen externen Anbieter zum Jahresende kündigen. Das | |
sieht ein Beschluss der BVV von Ende Mai vor. Begründung: Der Service sei | |
„nicht beständig erbracht“ worden, es bestehe jedoch der Wunsch nach einem | |
„zeitgemäßen“ und verbesserten Angebot. Und das ist auch dringend nötig: | |
Sowohl auf der Streamingseite von Lichtenberg wie von Marzahn-Hellersdorf | |
führen in der Mediathek derzeit alle Links von Tagesordnungspunkten ins | |
Nichts. | |
Andere Bezirke können gleichwohl von so einem dichten Angebot nur träumen. | |
Ob etwa Friedrichshain-Kreuzberg sein BVV-Streaming-Angebot nach dem Sommer | |
weiterführe, „entscheidet sich entsprechend der Lage im August“, teilte | |
Bezirksamts-Sprecherin Sara Lühmann auf Anfrage mit. Grundsätzlich gebe es | |
jedoch einen Beschluss aus dem Jahr 2016, der fordert, die in der „BVV | |
Lichtenberg verwendete Streaminglösung für Friedrichshain-Kreuzberg zu | |
replizieren“. Und aus der BVV Pankow heißt es lapidar: „Derzeit bestehen | |
keine Voraussetzungen für das Streaming der BVV-Tagungen.“ | |
Digital richtig erfolgreich ist übrigens der Regierende Bürgermeister, | |
bekanntlich kein digital native. Er lässt zwar keine Live-Einblicke in die | |
dienstäglichen Senatssitzungen zu, was sicher unterhaltsam wäre. Doch die | |
Pressekonferenzen danach auf Youtube werden in Coronazeiten viel beachtet. | |
Jene vom 17. März etwa, auf der die großen Coronabeschränkungen verkündet | |
wurden, hat bis heute fast 18.000 Aufrufe. Und auch aktuell schalteten | |
bisweilen fast 1.000 Leute ein. | |
12 Jun 2020 | |
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[1] /Debatte-ueber-Berlins-Polizeibeauftragte/!5687847 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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