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# taz.de -- Black-Lives-Matter-Protest in Deutschland: Es ist nicht mehr zu ert…
> Nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis haben auch in Deutschland
> über hunderttausend Menschen gegen Rassismus protestiert. Warum erst
> jetzt?
Bild: Der Alexanderplatz in Berlin war nur ein Ort von vielen, an denen am Woch…
Warum jetzt erst? Diese Frage stellen sich viele Menschen nach dem
vergangenen Wochenende, an dem noch mitten in der Coronapandemie
deutschlandweit über [1][hunderttausend Menschen gegen Rassismus]
demonstriert haben. Warum jetzt? Wo wir doch im Land der NSU-Morde leben;
dem Land der rassistischen Pogrome, auf dessen Landkarte Solingen, Mölln,
Rostock-Lichtenhagen und Halle und Hanau zu finden sind. Und die Leute
gehen jetzt erst auf die Straße?
Abgesehen davon, dass das nicht ganz stimmt – beispielsweise demonstrierten
schon 2018 [2][über 200.000 Menschen unter dem Motto „Unteilbar“] in Berlin
gegen Rassismus – irritiert nicht die Tatsache, dass nun so viele Menschen
demonstrieren, sondern es irritiert zunächst die Frage selbst ein wenig.
Weil die Antwort banal erscheint: Die Menschen begehren auf, weil sie die
Schnauze voll haben von schreiender Ungerechtigkeit. Und es sind vor allem
junge Menschen, die Ungerechtigkeit nicht mehr hinnehmen möchten.
Sicherlich sind die Radikalität der Proteste in den USA und auch die
protestierenden Menschenmassen weltweit dem Umstand geschuldet, dass der
unerträgliche Tod von George Floyd durch ein Video weltweit unmittelbar
erfahrbar wurde. Aber zugleich ist dieses Video nicht das erste seiner Art.
Und eigentlich ist es nur die bildliche Manifestation von etwas, über
dessen Existenz wir schon sehr lange Bescheid wissen. Aber warum jetzt so
vehement, so kompromisslos, so angstfrei? Vielleicht weil mittlerweile viel
zu oft erlebt wurde, dass diese Ungerechtigkeit nicht mit den Mitteln zu
beseitigen ist, die das gegenwärtige System den Menschen bietet.
Vielleicht jetzt so heftig und so entschlossen, weil sich die gegenwärtige
Wut aus der Summe all der vergangenen Verletzungen speist, mitsamt der
darauf folgenden Enttäuschungen darüber, dass versprochene Gerechtigkeit
nicht einkehrt.
Vielleicht jetzt so, weil jetzt Quantität in Qualität umschlägt.
Die Erniedrigungen haben möglicherweise eine Zahl erreicht, die sich nicht
mehr in einen normalen Alltag integrieren lässt, nicht mehr zu ertragen ist
– weshalb jetzt, in Reaktion auf die Quantität, also die lange Geschichte
der Erniedrigungen, eine qualitative Veränderung eintritt, eintreten muss.
Andere qualitative Veränderungen wie die weltweit sehr kurz gewordenen
Kommunikationswege mögen diesen Prozess beschleunigen. Und auch eine junge
Generation, die so kommuniziert, aber ohnehin lebensweltlich so
kosmopolitisch sozialisiert ist wie keine Generation vor ihr; eine
Generation, die sich nicht einreden lassen möchte, dass die Welt eine Welt
von Nationen und Kulturen ist, die es streng zu unterscheiden gilt.
Viele Menschen, die am Wochenende auf die Straße gegangen sind, dürfte es
deshalb auch irritieren, wenn ältere Kommentatoren im Zusammenhang mit der
Frage „Warum jetzt erst?“ [3][von „Türken“ und „Arabern“ als „un…
Schwarzen“ schreiben], was nicht nur deshalb bedenklich ist, weil es auch
Schwarze Deutsche gibt und es keine „Türken“ braucht, damit diese das
US-amerikanische Äquivalent spielen können. Oder wenn im postmigrantischen
Milieu ein [4][Überbietungswettbewerb darüber beginnt], wer denn nun am
meisten betroffen ist: gar nicht die Türken, sondern die Aleviten und
Kurden?
Natürlich hat Rassismus seine spezifische Geschichte in jedem Land. Aber
aus diesen Unterschieden heraus narzisstische Bedürfnisse nach Abgrenzung
zu befriedigen, scheint einfach nicht mehr zeitgemäß zu sein. Weshalb
genannte Fragen irritieren. Das wäre genauso einfach, wie bei der nicht
ganz unberechtigten Kritik stehen zu bleiben, dass in Deutschland
Antirassismus mit Zeigefinger auf die USA ein gemütliches Unterfangen ist.
Möglicherweise hat die Generation, die jetzt auf die Straße geht, den
vorangegangenen Generationen genau das voraus: alle Unterschiede zu kennen
und trotzdem gemeinsam für ein geteiltes, universelles Anliegen zu kämpfen;
für eine Idee nämlich, die bisher nur als unerfülltes Versprechen jener
vorigen Generationen existiert. Die Idee, dass alle Menschen gleich sind,
unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht; das Versprechen, das jetzt
endlich eingelöst werden soll. Vielleicht deshalb jetzt.
8 Jun 2020
## LINKS
[1] /Black-Lives-Matter-Proteste-in-Berlin/!5687710
[2] /Ueber-200000-bei-Unteilbar-Demo/!5542697/
[3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus209065699/Empoerung-nach-Tod-von…
[4] https://twitter.com/profcopur/status/1269541091080011776?s=20
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
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