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# taz.de -- Der Corona-Städtevergleich IV: Cocktails am Weichselstrand
> In der Coronakrise schauen wir regelmäßig in europäische Nachbarstädte:
> Von Lockerungen berichten wir aus Paris, Warschau und Rom – plus Berlin.
Bild: Paris nimmt die Abstandsregeln durchaus mit Humor
Paris taz | Viele Boutiquen sind leer, in den Warenhäusern, die ihre ersten
KundInnen bei der seit Wochen ersehnten Wiederöffnung mit Applaus (und
Desinfektionsgel) begrüßt hatten, herrscht kein Gedränge. Offenbar hat der
Pariser Bevölkerung das Shopping in den Konsumtempeln, auf das sie während
Wochen verzichten musste, gar nicht so sehr gefehlt. Ökonomen hatten
vorausgesagt, dass die Leute einen Nachholbedarf hätten und das in den
letzten Wochen gesparte Geld ausgeben würden. Sie kommen indes nur zögernd,
und den Ladenbesitzern zufolge kaufen sie weit weniger als erhofft.
Auch in den Restaurants und Cafés, die in Paris seit dem 2. Juni zunächst
ausschließlich auf ihren Terrassen servieren dürfen, sind viele freie
Plätze vorhanden. Die meisten Lokale, die draußen über Platz für Tische und
Stühle verfügen, haben mit einer Sondergenehmigung der Bürgermeisterin auf
Plätzen, Parkfeldern oder auf dem Gehsteig expandiert. Damit soll dieses
exklusive Openair-Geschäft rentabel werden. Ist vielleicht die Nachfrage
auch in der Gastronomie, die sich zuvor auf den Take-away beschränken
musste, gar nicht groß?
Die Schlussfolgerung ist nur teilweise stichhaltig, denn erst jetzt
realisiert man, dass auf den Straßen und in den Geschäften die sonst so
zahlreichen Touristen und ausländischen KundInnen völlig fehlen. Über den
Daumen gepeilt müssen diese fast die Hälfte der Leute ausmachen, die
normalerweise im Zentrum unterwegs sind. Und als ob die ausbleibende
Kundschaft aus dem Ausland nicht dramatisch genug wäre, macht auch noch das
nasskalte Wetter einen Strich durch die Rechnung der Wirte. Falls sie in
das Wiedereröffnungsgeschäft auch noch viel Geld investiert haben, kommen
sie finanziell vom Covid in die Traufe.
Die Abkühlung würde zu einem Besuch der vielen Pariser Museen einladen.
Diese aber öffnen wie die Sehenswürdigkeiten nur nach und nach mit einer
beschränkten Zahl von reservierten Eintrittskarten. Die größeren Museen wie
das Centre Pompidou oder der Louvre warten bis Anfang Juli.
Doch es ist längst nicht alles ist nur trist: Meiden für gewöhnlich die
PariserInnen auf der Straße den direkten Augenkontakt, schauen sich jetzt
viele mit authentischer Neugier an: Wer verbirgt sich wohl hinter der
Gesichtsmaske? Der Virenschutz ist das unerwartete Modeaccessoire der
Verführung auf der Avenue des Champs-Élysées. Offenbar herrscht auch für
Flirts ein echter Nachholbedarf. Rudolf Balmer
## Polens Regierung fantastische Erfolge bei der Pandemiebekämpfung
Warschau taz | Maria und Filip graben ihre nackten Füße in den feinen Sand
des Warschauer Weichselstrandes und suckeln genießerisch einen grünblau
schimmernden Cocktail. „Das hat uns wirklich gefehlt“, sagt Filip (34) und
lässt den Blick über den knapp einen Kilometer breiten Fluss bis zum
anderen Ufer schweifen. Ringsum stehen bunt gestreifte Liegestühle und
Strandkörbe.
Maria (31) nimmt den Strohhalm aus dem Glas. „Wir verstehen bis heute
nicht, warum die Regierung den Weichselboulevard geschlossen hatte“, empört
sich die zierliche, aber durchtrainierte Polin und deutet auf die leeren
Strandkneipen. „Das Coronavirus ist doch nicht verschwunden. Die
Lockerungen haben wohl eher mit den Präsidentschaftswahlen zu tun.“
Ein Kellner, der einen Mundschutz und schwarze Nitril-Handschuhe trägt,
stellt die leeren Gläser aufs Tablett und nickt. „Wir sind jedenfalls froh,
dass wir wieder Arbeit haben.“ In die Restaurants und Kneipen würden die
Leute so schnell nicht zurückkehren, auch wegen der Abstandsregeln. „Aber
draußen – da ist es fast wie vor Corona!“
Polens Regierung, die schon Anfang März die Grenzen geschlossen, das
öffentliche Leben auf nahezu null runtergefahren und drakonische Strafen
für kleinste Regelverstöße verhängt hatte, lockert seit Ende Mai die
Pandemiemaßnahmen. Restaurants, Cafés, Geschäfte und Hotels dürfen wieder
den vollen Betrieb aufnehmen, Versammlungen bis zu 150 Menschen sind
möglich, auch Kirchen, Synagogen und Moscheen dürfen wieder Gottesdienste
abhalten. Allerdings müssen in geschlossenen Räumen nach wie vor
Atemschutzmasken getragen werden. Wenn irgend möglich, sollte es bei dem
1,5- bis 2-Meter-Abstand bleiben. Seit Samstag dürfen auch Kino- und
Theaterfans wieder ihrem Hobby frönen, wobei in den Vorstellungen jeder
zweite Sessel frei bleiben muss. Auch Sportbegeisterte dürfen wieder in
Schwimmbäder und Fitnessstudios.
Maria und Filip, beide Fitnesstrainer in Warschau, winken ab. „Von unseren
Kunden will zurzeit niemand ins Fitnessstudio zurück. Als alles geschlossen
war, haben wir Trainingsprogramme für draußen – Fahrradfahren, Laufen,
Yoga, Workouts – und für das Online-Training zu Hause entwickelt.“ Sie
hätten sich darauf eingestellt, dass die Corona-Ausnahmesituation rund zwei
Jahre andauern werde. „Niemand weiß, ob die Zahlen in Polen richtig oder
falsch sind“, erzählt Filip. „Premier Mateusz Morawiecki versichert uns
Woche für Woche, wie toll die Regierung alles im Griff habe, dabei sprechen
die Zahlen eine ganz andere Sprache.“
Mit rund 26.250 bestätigten Coronafällen steht Polen zwar EU-weit relativ
gut da, doch hat Polen noch immer nicht den Höhepunkt der Pandemie
erreicht. Die Zahl der Covid-19-Kranken steigt nach wie vor an. Allein am
Samstag gab es in Polen 576 Neuinfizierte. Nur in Frankreich gab es mit 579
ein paar Fälle mehr als in Polen. Maria zuckt ratlos die Schultern:
„Angeblich bekämpfen wir Polen Covid-19 viel besser als die Franzosen und
Italiener, die Spanier und die Deutschen.“ Filip deutet auf die vielen
Spaziergänger auf dem Boulevard. Niemand trägt eine Maske. „In drei Wochen
sind Präsidentschaftswahlen, und dann sollen wir für den Wunschkandidaten
der Regierung stimmen. Also muss jetzt schon alles gut sein!“ Gabriele
Lesser
## Rom blüht auf, die Stadt füllt sich dank der Lockerungen wieder
Rom taz | Gleich mehrere Wunder sind in Rom zu verzeichnen, seit dem Ende
des Lockdowns am 18. Mai. Der Müll, zwei Monate lang pünktlich abgefahren,
quillt wieder aus den Containern, so als würden die Römer*innen plötzlich
das Dreifache wegschmeißen. Die Hunde müssen nicht mehr vor die Tür. Sie
scheinen nach zwei Monaten Coronastress, als sie Frauchen und Herrchen als
Vorwand für Spaziergänge dienten, den Erholungsurlaub genommen zu haben:
Vierbeiner sieht man deutlich weniger im Viertel.
Dafür sind die Zweibeiner unterwegs, als sei da nie etwas gewesen. Auf der
großen Einkaufsstraße um die Ecke herrscht Gewusel wie eh und je. Eines
aber ist dann doch anders als vor drei Monaten. So gut wie alle haben
Schutzmasken auf, ordentlich hochgezogen bis über die Nase. Im Freien ist
das in Rom nicht verpflichtend, kaum einer aber verzichtet auf den Schutz.
Das Hellgrün der chirurgischen Masken dominiert, viele jedoch haben
mittlerweile das Upgrade zum weißen FFP2-Schutz gemacht.
So hoch die Disziplin draußen ist, so sehr lässt sie dann doch drinnen
manchmal zu wünschen übrig. Im Bus der Linie 38 ist es nicht übervoll, der
Abstand von einem Meter jedoch ist kaum zu wahren. Zwei ältere Damen jedoch
haben ihre Masken unter die Nase gezogen, ein Herr schützt bloß sein Kinn
gegen Ansteckung. Die Teenager dagegen, auch in Rom gerne als angeblich
disziplinlose Corona-Hasardeure geschmäht, halten sich brav an die
Maskenpflicht.
Maskenpflicht gilt natürlich auch sonst überall in geschlossenen Räumen.
Kein Geschäft, in das man ohne Vermummung hineinkäme, kein Geschäft auch,
in dem nicht gleich am Eingang das Desinfektionsgel für die Hände stünde.
An dem einen oder anderen Ort jedoch wird die Vorschrift dann doch recht
locker genommen. Zum Beispiel in der orthopädischen Abteilung des
Universitätsklinikums. Dutzende Menschen drängen sich im Wartesaal.
Desinfektionsmittel jedoch sind nirgends zu sehen. Und keiner vom Personal
fühlt sich bemüßigt, die Wartenden auf die Maskenpflicht hinzuweisen. Als
dann einer der Patienten eine Frau höflich darauf hinweist, sie möge doch
ihren Mundschutz hochziehen, kommt sie mit der kruden Theorie, unter der
Maske staue sich das Stickoxyd, mit dem Teil könne man einfach nicht atmen.
Michael Braun
## Die BerlinerInnen werden nachlässiger. Prioritäten verschieben sich
Berlin taz | Am Steg der BVG-Fähre über den Wannsee nach Kladow stehen die
Passagiere am Wochenende in einer langen Schlange artig aufgereiht. Die
Sache mit dem Mindestabstand haben die BerlinerInnen ganz gut
verinnerlicht, allerdings schrumpft der gefühlt inzwischen – nicht nur in
der Warteschlange vor der Wannseefähre – eher auf pi mal Daumen 1 Meter
statt der eigentlich Corona-verordneten 1,50 Meter.
Die „Alltagsmaske“ (Mund-Nasen-Bedeckung) hängt ohnehin bei den meisten
schon länger auf halbmast, das heißt unter der Nase. So einige versenken in
der S-Bahn auch nur noch ihre Nasenspitze im hochgezippten Jackenkragen
oder halten sich, wie die aristokratischen Gesellschaften in historischen
Filmen, ein Stofftuch mehr oder weniger vornehm vors Gesicht.
Mit den zahlreichen Lockerungen in der strengen Coronaverordnung des Senats
seit Mitte Mai lockern sich auch die BerlinerInnen wieder merklich. Vieles
ist ja inzwischen wieder erlaubt. Die Demo-Beschränkungen sind aufgehoben –
rechtzeitig, damit am Samstag Zehntausende Menschen auf dem Alexanderplatz
gegen Polizeigewalt und Rassismus demonstrieren konnten. Sogar die Kneipen
dürfen ihre Innenräume wieder bewirtschaften. Und morgens sind auch die
breiteren Radwege wieder gut gefüllt mit Menschen, die aus der Kurzarbeit
oder dem Homeoffice zurück sind und zur Arbeit fahren.
Die Berliner Corona-Ampel, das Frühwarnsystem, das der Senat zeitgleich mit
den Lockerungen installiert hat, zeigt bisher meist auf Grün – Entspannung
ist angesagt, sowohl bei den Neuinfektionen als auch bei der Auslastung der
Intensivbetten und der Reproduktionszahl, dem R-Wert, der angibt, wie viele
Menschen eine infizierte Person ansteckt. Dieses Frühwarnsystem ist relativ
kompliziert, und genau deshalb kommt in der Öffentlichkeit vor allem an:
Die Ampel ist grün. Dass der R-Wert ein paar Tage wieder in den Bereich des
exponentiellen Wachstums kletterte, beeindruckt auch deshalb nicht, weil
die Ampel ja scheinbar von alleine wieder auf Grün springt – obwohl man
einfach weiter in die Kneipe gegangen ist.
Auf der Fähre nach Kladow am Samstag drückt sich ein recht betagtes Paar in
die vollbesetzten Sitzreihen. Von denen dürfte eigentlich nur jede zweite
nutzbar sein, wenn man den Mindestabstand wirklich einhalten wollte.
Auf dem vollen Alexanderplatz, bei der Demo gegen Polizeigewalt und
Rassismus, erklärt am selben Nachmittag eine junge Teilnehmerin einem
Reporter, warum es wichtig ist, „Prioritäten zu setzen“: Auf der einen
Seite eine Krankheit, die man behandeln könne, wie sie meint, auf der
anderen Seite die Krankheit Rassismus, gegen die man eben auch aufstehen
müsse.
Die Prioritäten verschieben sich wieder. Das ist notwendig. Und lässt viele
mit einem neuen Gefühl der Schutzlosigkeit zurück. Das ist das
Spannungsfeld gerade. Anna Klöpper
9 Jun 2020
## AUTOREN
Gabriele Lesser
Rudolf Balmer
Michael Braun
Anna Klöpper
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