| # taz.de -- Italien nach dem Corona-Lockdown: Rom findet einen neuen Rhythmus | |
| > Nach mehr als zwei Monaten kehren die Römer*innen langsam zur | |
| > Normalität zurück. Das Stadtzentrum bleibt leer, doch die Radwege füllen | |
| > sich. | |
| Bild: Endlich wieder Espresso schlürfen: Café in der Innenstadt von Rom in Co… | |
| ROM taz | „Bitte den Fuß heben … und jetzt den anderen, danke.“ Es ist e… | |
| Anweisung, die man bei einem Friseurbesuch eigentlich nicht erwartet. Doch | |
| am Eingang des Salons werden erst mal die Schuhsohlen mit | |
| Desinfektionsspray eingenebelt, auf dass der Kunde das Virus bitte schön | |
| nicht hineinträgt. | |
| Auch das ist wohl Teil der „neuen Normalität“, die in Rom am 18. Mai | |
| angebrochen ist. Nach mehr als zwei Monaten Pause dürfen die [1][Menschen | |
| in Italien] zwar wieder so gut wie alles, außer Discos, Konzerte oder Kinos | |
| besuchen. Allerdings bringt das allerlei indiskrete Fragen mit sich. „Sind | |
| Sie miteinander verwandt und leben Sie im selben Hausstand?“, will die Frau | |
| am Telefon auf die Frage hin wissen, ob auf der Terrasse ihres Restaurants | |
| wohl noch ein Tisch für zwei frei sei. | |
| Nein, sie macht sich keine Sorgen um den gesitteten Lebenswandel ihrer | |
| Gäste – sie will nur wissen, ob sie die zwei Personen nah | |
| nebeneinandersetzen darf oder auf Distanz achten muss. Denn theoretisch | |
| drohen ihr saftige Geldbußen, wenn die strengen Hygienenormen wie | |
| Maskenpflicht für Personal und Gäste nicht eingehalten werden. | |
| Der Tabakhändler stöhnt, erst am Morgen hatte er einen Polizisten im Laden, | |
| der ihn sofort zurechtwies, weil die Maske unter das Kinn gerutscht war. | |
| ## Endlich Freizeit in der Coronazeit | |
| Friseur Stefano dagegen gehört zu den Hygienehardlinern, die Schuhsohlen | |
| desinfiziert er auf eigene Initiative. Er findet die strengen Vorschriften | |
| rundum positiv. Und er gehöre auch nicht zu denen, die während des | |
| Lockdowns gemeckert hatten, zu all den Ladenbesitzerinnen, | |
| Restaurantbetreibern, Chefs und Chefinnen von Friseur- und Beautysalons, | |
| denen die Aufhebung der Schließung gar nicht schnell genug gehen konnte. | |
| Klar, auch er sei im Minus gelandet, rechnet er vor, doch mit der | |
| Steuergutschrift von 60 Prozent der Ladenmiete in den Ausfallmonaten und | |
| der Hilfe für Selbstständige in Höhe von 600 Euro monatlich sei er über die | |
| Runden gekommen. | |
| „Auf der anderen Seite waren das zwei herrliche Monate für mich“, strahlt | |
| er plötzlich. Seit Jahrzehnten habe er sich jedes Jahr nur zwei Wochen | |
| Sommerurlaub gegönnt, „so viel Zeit für mich wie jetzt habe ich seit | |
| Ewigkeiten nicht mehr gehabt“. | |
| Gut gelaunt ist auch der Besitzer des Fahrradladens um die Ecke. „Neue | |
| Normalität“ – das heißt für ihn eine lange Schlange von Kund*innen. Busse | |
| und U-Bahnen sind derzeit out in Rom, das Fahrrad ist plötzlich in. Staat | |
| und Stadt helfen der neuen Leidenschaft kräftig nach. Die Regierung hat 240 | |
| Millionen Euro bereitgestellt, um den Zweiradkauf zu fördern. 60 Prozent | |
| der Kaufsumme, bis maximal 500 Euro, gibt es jetzt vom Staat, egal ob für | |
| das klassische Rad, fürs Mountain- oder fürs E-Bike. Die Stadt Rom wiederum | |
| legte [2][150 Kilometer neue Radwege] an – per Pinselstrich, auf Kosten der | |
| Autospuren. | |
| ## Unsichere Anfänger*innen auf dem Rad | |
| Eine „neue Seuche“ will der missmutige Nachbar mit vielleicht etwas | |
| unpassender Wortwahl in den Scharen neuer Radler*innen ausgemacht haben, | |
| „rollende Verkehrshindernisse“ nennt er sie. Gewiss, viele der | |
| Anfänger*innen sind an ihrem langsamen Antritt, ihrer unsicheren | |
| Fahrweise sofort zu erkennen, doch das ändert nichts daran, dass Rom vor | |
| allem in einem Punkt wieder „normal“ geworden ist: Hupend und stinkend | |
| schieben sich wie vor Coronazeiten die Schlangen der Pkws und Kleinlaster | |
| durch die Stadt. | |
| Und wären da nicht die Schutzmasken, die so gut wie alle auf der Nase oder | |
| auch nur auf dem Kinn haben – in den Stadtvierteln scheint Rom zum Leben | |
| vor Corona zurückgekehrt zu sein. Die Einkaufsstraßen sind belebt, die | |
| Tische vor den Espressobars oder den Pizzerien gut besetzt. Ganz anders das | |
| Bild im Stadtzentrum. Dort sind gegenwärtig die Römer*innen die einzigen | |
| Touristen. | |
| Maurizio, Inhaber eines kleinen Restaurants hinter dem Pantheon, hat gerade | |
| erst wieder geöffnet. Er würde sich über Gäste aus Berlin freuen und | |
| rechnet vor: „In Rom mit seinen 3 Millionen Einwohnern lag die Zahl der | |
| täglichen Neuansteckungen mal bei 2, mal bei 5 oder 7“ – Berlin liege da | |
| deutlich drüber. Er rät dazu, sofort in die Ewige Stadt zu reisen. Wann, | |
| wenn nicht jetzt, gebe es die Gelegenheit, das Kolosseum, den Petersdom, | |
| den Trevi-Brunnen zu sehen, [3][ohne sich durch Besuchermassen schieben] zu | |
| müssen? | |
| 7 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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