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# taz.de -- Der Corona-Städtevergleich: Städtetrips machen keinen Spaß mehr
> In der Coronakrise schauen wir regelmäßig in europäische Nachbarstädte.
> Von neuen Maßnahmen berichten wir aus Paris, Madrid, Oslo – und Berlin.
Bild: Viele Spielplätze in Madrid sind abgesperrt
Madrid taz | Die Twitter-Nachricht einer Madrider Kinderärztin bringt es
auf den Punkt: „Pläne mit den Kindern fürs Wochenende: Wanderung in den
[1][Bergen von Madrid]? Geht nicht. In den Park nebenan? Geht nicht.
Einkaufszentrum? Geht. Restaurant (Innenraum)? Geht. Es ist eine Schande.“
Während die Spielplätze in den meisten Gemeinden der Region seit Wochen
geschlossen sind, bleiben Restaurants und Wettbüros offen, auch wenn sie
Plätze auf die Hälfte reduzieren, und die Sperrstunde vorverlegen mussten.
In der Hauptstadt Madrid selbst hängen die Plastikbänder, die den Zugang
verbieten seit Ende August an Schaukeln und Rutschbahnen. In den wenigen
Parks wo sie von den Behörden in den letzten Tagen entfernt wurden, wird
darauf hingewiesen, wie viele Kinder gleichzeitig Zugang haben.
Es ist eine der Besonderheiten der Covid-Bekämpfung oder besser
Nichtbekämpfung in der von der konservativen Partido Popular und den
rechtsliberalen Ciudadanos mit der parlamentarischen Unterstützung durch
rechtsextreme VOX regierten Region. Billiger Aktivismus statt effektive
Maßnahmen. Denn die Regionalregierung vermeidet alles, was auch nur
irgendwie die Wirtschaft beeinflussen könnte. Geschlossene Parks und
Spielplätze kostet nichts. Geschlossene Kneipen, Wettbüros oder Geschäfte
schon.
Da es an Personal zur Kontaktverfolgung Infizierter fehlte, als sich die
Neuinfektionen noch hätten genau eingrenzen lassen, ist der Virus längst
wieder zurück in der gesamten Bevölkerung. Ansteckung ist überall und
jederzeit möglich. In der Region Madrid steckten wurden in den vergangenen
sieben Tagen 230 neue Fälle pro 100.000 Einwohner ausgemacht, so viele wie
in keiner anderen Hauptstadtregion Europas.
Die Regionalregierung reagierte auf ihre, die Wirtschaft schonende Art.
Mobilitätsbeschränkungen betrafen Ende September nur arme Stadtteile im
Süden. Der reiche Norden, das Zentrum Madrids, sowie die Gebiete in
unmittelbarer Nachbarschaft großen Einkaufszentren waren ausgenommen.
Das hat sich jetzt auf Anordnung der Zentralregierung geändert. Madrid
sowie acht Vororte stehen seit nun mehr 10 Tagen unter neuen Anti-Covid-
Auflagen. Nur wer einen triftigen Grund wie etwa Arbeit, Ausbildung,
Arztbesuch, Pflege eines Angehörigen hat, darf hinaus oder hinein.
Bereits nach der ersten Covid-Welle im Frühjahr gab es absurde Maßnahmen.
Zeitweise war es dank einer Verordnung der Zentralregierung erlaubt, das
Auto zu nehmen, um sich irgendwo in der Region mit bis zu sechs in einer
Gartenkneipe zu treffen. Aber Spaziergänge durften nur eine Stunde dauern
und mussten in einem Umkreis von einem Kilometer von der eigenen Wohnung
und nur in Begleitung von Mitbewohnern stattfinden. Ausnahme: Wer in die
die Berge Madrids fuhr, konnte dort gegen Bezahlung an geführten
Wanderungen teilnehmen, mit bis zu neun weiteren wildfremden Kunden.
Ländlicher Tourismus nannte sich das. Reiner Wandler
## Alarmstufe Scharlachrot in Paris
paris taz | Nach einer mehrmonatigen Pause wegen der restriktiven
Coronavorschriften hatte das Pariser Luxushotel „Lutétia“ (für
Nicht-Asterix-Leser: Das ist der lateinische Name für Paris) erst gerade im
September wieder seine Tore geöffnet. Das Vergnügen für die Nachtschwärmer
war von kurzer Dauer: Aufgrund der neuen Restriktionen musste die Piano-Bar
„Chez Joséphine“ in diesem geschichtsträchtigen Art-déco-Palast, den neb…
diversen Berühmtheiten auch während der Besetzungsjahre die Gestapo in
Beschlag genommen hatte, schon wieder schließen. Bis auf Weiteres gibt es
bei „Joséphine“ weder Jazz noch Cocktails. Der Barbetrieb ist auf Beschluss
der Behörden vorerst für 14 Tage eingestellt.
Das Hotel und die Brasserie dagegen dürfen unter Einhaltung der strengeren
Vorschriften weiterhin Gäste empfangen. Für die berühmteste Bar von Paris
gelten dieselben Regeln wie für eine heruntergekommene Kneipe neben
Pigalle.
Seit einer Woche bereits gilt für [2][Paris die „maximale Alarmstufe“]. In
der Corona-Fachsprache heißt dies, dass in dieser letzten Vorstufe zum
„allgemeinen Notstand“ die Warnlichter nicht nur bloß rot, sondern in
(bewusst) beängstigender Manier „scharlachrot“ blinken. Für einen Teil der
Bevölkerung ändert dies aber nicht viel im Alltag. Schon vorher musste sie
bei der Arbeit, im Unterricht, beim Shopping und selbst beim Spazieren auf
der Straße Masken tragen und mindestens 1 Meter Abstand wahren.
Weil dies aber zu wenig respektiert wurde oder zu wenig genützt hat, wurde
das Ausgehverbot verschärft, das vor allem die Jüngeren trifft. Denn
Speiselokale dürfen weiterhin öffnen, auch für die meisten Cafés samt ihren
Terrassen; nur die auf Alkoholausschank und abendliche Gäste
spezialisierten Bars sind im Visier der Verbote.
Neu ist: In den Restaurants ist am Eingang auf einem handgeschriebenen
Zettel oder ausgedruckten Blatt die Zahl der Sitzplätze angegeben. Auch
neu: Die Wirte sollen ein Register ihrer Gäste führen, das es den
Gesundheitsbehörden ermöglichen soll, nachträglich eventuell infizierte
Personen zu kontaktieren.
Wer den Flop der hausgemachten französischen App „StopCovid“ für ein
Contact tracing kennt, zweifelt an der Wirksamkeit dieser umstrittenen
Erfassung von Personendaten, die im Prinzip nach zwei Wochen gelöscht
werden müssten.
Auch für die Museen, Theater, Kinos und Konzertsäle hat sich mit der
höheren Alarmstufe nichts geändert. Es bleibt bei den Sicherheitsdistanzen
und den obligatorischen Masken für die Besucher*innen. Viel härter trifft
es die Fitnesszentren. Sie mussten erneut schließen, weil das
Muskeltraining ohne Maske als mögliche Quelle der Virenverbreitung
eingestuft ist. Sport ist offenbar schädlicher für die Gesundheit als die
Kultur. Rudolf Balmer
## Maskenempfehlung im Osloer Nahverkehr
Oslo taz | Zum „Corona-Europameister“ rief die Osloer Tageszeitung VG am
vergangenen Mittwoch Norwegen aus. Nun, wo Finnland und Island, bisherige
„Konkurrentinnen“ um diesen Titel, das Land bei der Zahl der
Corona-Infizierten überholt hätten und Dänemark sowieso das „neue Schweden…
geworden sei, liege man in Europa zusammen mit Zypern allein unter der
Grenze von 30 Coronafällen pro 100.000 EinwohnerInnen. Und das ohne Masken,
ohne geschlossene Kitas, Schulen und Restaurants, „und wir durften joggen,
mit dem Hund Gassi gehen und zu unseren Hütten fahren“.
Womöglich könnte die VG-Redaktion Norwegen gleich zum „Weltmeister“
ausrufen, wenn da nicht Oslo wäre. Die Hauptstadt versemmelt nämlich mit
Corona-Fallzahlen zwischen 80 und 90 die Bilanz. Außerhalb der Stadtgrenze
begegnet man den EinwohnerInnen Oslos daher derzeit mit Distanz.
KommunalpolitikerInnen im Umfeld der Hauptstadt haben ihren BürgerInnen
empfohlen, auf Besuche dort besser ganz zu verzichten. Auf ausländische
TouristInnen und UrlaubsrückkehrerInnen, die das Virus im Gepäck hatten,
konnte man die steigenden Fallzahlen am Ende des Sommers aber nicht
schieben. Dazu hatte sich Norwegen seit dem Frühjahr zu perfekt von der
Umwelt abgekapselt.
Die Gesundheitsbehörde macht für den Anstieg vor allem die „jüngere
Generation“ verantwortlich. Die sei mit ein wenig zu viel Feierlaune aus
den Semesterferien zurückgekehrt. Tatsächlich scheint die
Infektionsstatistik hierfür Belege zu liefern. Die Zahlen stiegen nicht so
sehr in den östlichen Stadtteilen, wo die weniger gut Betuchten wohnen und
es einen hohen Anteil migrantischer Bevölkerung gibt, sondern im „reichen“
Westteil der Hauptstadt. Mit rund 140 bis 160 Corona-Neuinfektionen pro
100.000 fiel dabei der als Studiwohnviertel populäre Stadtteil St.
Hanshaugen auf. Polizei und BewohnerInnen berichten, dass da im September
ausgiebig und ohne Rücksicht auf Corona-Verhaltensregeln gefeiert worden
sei.
Erst als die staatliche Gesundheitsbehörde die Hauptstadtpolitik öffentlich
rüffelte, sie nehme Corona offenbar nicht mehr ernst, reagierte diese und
verhängte Restriktionen: Nun gilt Maskenempfehlung im öffentlichen
Nahverkehr, wenn man nicht einen Meter Abstand halten kann, Privatfeste
dürfen nur noch mit höchstens 10, Veranstaltungen in Innenräumen mit bis zu
50 TeilnehmerInnen stattfinden, in Restaurants und Kneipen sind Gästelisten
obligatorisch.
Oslo muss außerdem nachsitzen. Die Erleichterungen, die ansonsten ab Montag
landesweit in Kraft treten und die nun Veranstaltungen von bis zu 600
TeilnehmerInnen und Alkoholausschank auch wieder nach Mitternacht erlauben,
gelten in Oslo erst einmal nicht. Reinhard Wolff
## Sperrstunde in Berlin
Berlin taz | Im eigentlich nimmermüden Berlin ist seit dem Wochenende
Schluss mit lustig. Dort, wo man den Sommer über noch – halblegal, aber
problemlos – in der Hasenheide oder dem Mauerpark in großen Gruppen raven
konnte, dürfen sich von 23 Uhr bis 6 Uhr nur noch fünf Personen oder
Menschen aus zwei Haushalten im Freien treffen. Auch Kneipen, Bars,
Restaurants und Spätis müssen in dieser Zeitspanne schließen. Selbst in
Tankstellen bekommt man nachts weder Sekt noch Sterni.
Gastronom*innen sind sauer, haben sie wegen der halbierten Zahl an Tischen
und dem trüben Herbstwetter ohnehin schon Einbußen. Einige haben gegen die
Sperrstunde geklagt. Viele Berliner*innen hingegen zeigten in Anbetracht
der steigenden Zahlen Verständnis, als sie Samstagabend um elf erstmals die
Kneipen verlassen mussten. Am Montag wurden 252 Berliner*innen positiv auf
das Virus getestet. Der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen
binnen sieben Tagen stieg auf 63,2 an. Ab 50 gilt eine Region als
Risikogebiet.
Das bringt teilweise den Herbsturlaub in Gefahr: Einige Bundesländer,
darunter das Nachbarland Brandenburg, haben ein Beherbergungsverbot für
Reisende aus Berlin verhängt, Berlin will diese Regelung aufweichen. Was
Berliner*innen bei all den Verboten noch dürfen? Ohne Mund-Nasen-Maske
spazieren gehen und mit so vielen Leuten demonstrieren, wie sie wollen.
Rieke Wiemann
13 Oct 2020
## LINKS
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[2] /Paris-verschaerft-Corona-Einschraenkungen/!5715987
## AUTOREN
Rieke Wiemann
Rudolf Balmer
Reinhard Wolff
Reiner Wandler
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