# taz.de -- Lkw-Fahrerin über ihren Beruf: „Der Konkurrenzdruck ist riesig“ | |
> Lkw-Fahrerin Vivien Blumenthal liebt ihre Arbeit. Mit der taz sprach sie | |
> über Italien, Corona, männliche Kollegen und ihren fünfjährigen Sohn. | |
Bild: Fühlt sich von ihren männlichen Kollegen meist respektiert: Lkw-Fahreri… | |
taz: Gibt es noch so etwas wie Fernfahrerromantik, Frau Blumenthal? | |
Vivien Blumenthal: Ein seltsamer Begriff, eigentlich hat der Beruf des | |
Fernfahrers rein gar nichts mit Romantik zu tun. Trotzdem schaffe ich es, | |
mir das Leben unterwegs schön zu machen. Wenn ich zum Feierabend mit einer | |
Decke und einem Gläschen Wein am Strand sitze, ist das wohl meine | |
persönliche Fernfahrerromantik. | |
An welchen Strand fahren Sie denn? | |
Ich fahre für eine Hamburger Spedition und zurzeit nur noch die Strecke | |
Hamburg–Italien. Ich fühle mich in Italien schon fast wie zu Hause, habe | |
Freunde gefunden und feste Orte für meine Pausen. Jede Woche transportiere | |
ich aus dem Hamburger Raum Leergutgestelle zum Beispiel für Motoren und | |
sammele bei verschiedenen Kunden Ware für den Rückweg. Ich fahre viel rund | |
um Verona, Genua, Venedig, aber auch bis Sizilien oder ins süditalienische | |
Lecce. Dort gibt es schöne Strände, und wenn es geht, nehme ich mir die | |
Zeit dafür. | |
Sind Sie auch während der kritischen Coronaphase nach Italien gefahren? | |
Ja, jede Woche. Mein Disponent fragte mich immer wieder, ob ich wirklich | |
fahren will. Er und mein Chef überließen mir die Entscheidung. Ich dachte | |
mir, wenn niemand fährt, bekommen die Firmen in Italien ja ihre Ware gar | |
nicht los. | |
Wie hat Corona Ihre Arbeit beeinflusst? | |
Weniger, als viele vielleicht annehmen. Klar, ich muss Mundschutz tragen, | |
habe Desinfektionsmittel dabei, Einmalhandschuhe fürs Einkaufen. An den | |
Grenzen wird streng kontrolliert und Fieber gemessen, genauso bei den | |
Kunden. Es ist eine besondere Erfahrung. Unheimlich und irgendwie trotzdem | |
schön. | |
Unheimlich und schön? | |
Auf den Straßen war es fast unheimlich. Normalerweise ist es voll. Lkw an | |
Lkw, Wohnwagen, Pendler. Vor allem ab dem Brenner und rund um Mailand | |
herrscht immer Stau und Chaos. Ich bin teilweise durch leere Straßen | |
gefahren, Mailand war eine Geisterstadt. Ich habe Videos gemacht, weil mir | |
das sonst keiner geglaubt hätte. In manchen Orten standen die Leute auf den | |
Balkonen, haben mir gewunken und geklatscht. Da habe ich schon Gänsehaut | |
bekommen. Die Kunden hatten Tränen in den Augen, wenn ich auf das Gelände | |
gefahren bin, und haben sich bedankt, dass ich trotz dieser Zeit zu ihnen | |
komme. Seit ein paar Wochen verbessert sich die Situation. Die Straßen | |
werden voller und ich sehe Menschen, die spazieren gehen und Eis essen. | |
Mich freut das. | |
Wie reagieren die Kund*innen in Italien eigentlich, wenn eine Frau am | |
Steuer sitzt? | |
Ich werde selten blöd angeschaut, sondern eher wie eine Königin behandelt. | |
Die meisten Kunden schätzen mich sehr, der Umgang ist herzlich. Generell | |
ist die Wertschätzung gegenüber den Fahrern hoch, egal ob Männer oder | |
Frauen. Ich habe zwar auch in Italien auch schon ein, zwei Frauen in der | |
Fahrerkabine gesehen, aber es ist doch sehr selten. | |
Genauso wie in Deutschland. Hier beträgt der Frauenanteil unter | |
Berufskraftfahrer*innen keine zwei Prozent. Wieso haben Sie sich gerade für | |
diesen Beruf entschieden? | |
Das war schon immer mein Traumberuf. Mein Papa war auch Berufskraftfahrer. | |
Das Interesse ließ in einem bestimmten Alter nach und ich habe eine | |
Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Wegen einer chronischen | |
Hautkrankheit musste ich mich beruflich umorientieren. | |
Und Sie wurden Lkw-Fahrerin. | |
Im Januar 2017 habe ich meinen Führerschein gemacht. Gleich den großen | |
Schein mit verschiedenen Modulen. Ich darf alles fahren, Gefahrengüter, | |
Kran, Stapler und so weiter. | |
Wie fühlen Sie sich auf so einer Riesenmaschine? | |
Ich habe Respekt, den sollte jeder haben, der so eine Maschine bewegt. Man | |
muss achtsam sein, wenn man mit 40 Tonnen und mehr auf der Straße unterwegs | |
ist. Das ist nicht jedermanns Sache. Enge Straßen oder die Serpentinen in | |
den Dolomiten fordern viel Konzentration. | |
Wie wichtig ist die Deko im Fahrer*innenhaus? | |
Ich muss mich wohlfühlen, es muss sauber sein, schließlich wohne ich auf | |
diesen drei Quadratmetern. Bisher hatte ich Bullenhörner vorn drin und | |
Federschmuck, aber ich fahre einen neuen Lkw und bin noch nicht dazu | |
gekommen. Manche haben Blinkeschilder und massenweise Plüschtiere in der | |
Scheibe. Das ist nichts für mich, die Scheibe muss ich frei haben. Das | |
Wichtigste ist Pauli, mein Hund. | |
Ein Hund? | |
Früher habe ich kritisiert, wenn die Fahrer ihren Hund dabeihaben, vor | |
allem größere Tiere. Das ist für mich Tierquälerei. Bei Pauli bin ich | |
eingeknickt. Er hätte eingeschläfert werden sollen. Ich habe ihn aus dem | |
Tierheim mitgenommen. Er ist ganz kleiner Mischling. Beim Fahren liegt er | |
meist im Bett hinter mir. Er ist mein Ausgleich. Durch ihn bin ich | |
gezwungen, mich in den Pausen viel zu bewegen, wir gehen spazieren, joggen. | |
Bei den Kunden darf er rumlaufen. | |
Sind Frauen die besseren Fahrer*innen? | |
Das würde ich nicht behaupten. Vielleicht fahren Frauen gewissenhafter, | |
aber da will ich jetzt niemanden schlecht machen. Was man aber sagen kann: | |
Es gibt welche, die machen ihren Job besser, andere schlechter, sowohl | |
Männer als auch Frauen. Ich weiß, was ich kann. Es gibt auch Männer, die | |
lassen sich gerne von mir helfen beim Einparken zum Beispiel. | |
Die männlichen Kollegen respektieren Sie also? | |
Generell kann ich sagen, dass die männlichen Kollegen mich akzeptieren und | |
respektieren. Ganz selten gibt es auch mal Schmierlappen, die meinen, sie | |
könnten mich anmachen. Aber ich bin nicht auf den Mund gefallen, ich kann | |
mich wehren. | |
Und wie ist der Kontakt zu weiblichen Kolleginnen? | |
Ich kenne einige Fahrerinnen. Wir schreiben uns mal, aber wir sind nicht | |
alle untereinander vernetzt. Ich bin eher mit männlichen Kollegen | |
befreundet. | |
Berufskraftfahrer*in gehört nicht zu den angesehensten Berufen in | |
Deutschland. | |
Wir sind grundsätzlich die Doofen. Wir überholen, veranstalten | |
Elefantenrennen auf der Autobahn, provozieren Unfälle, blockieren die | |
Innenstädte. Durch die Coronakrise hatte sich das Bild mal kurz geändert, | |
aber das ist schon wieder vorbei. | |
Woran liegt’s? | |
Viele Leute können sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn wir | |
nicht mehr fahren würden. Wir liefern ja nicht nur Klopapier. Ob Kleidung, | |
Fertigmauern für Häuser, Brückenteile, Lebensmittel, Maschinen, alles fährt | |
mit uns auf dem Trailer. Ich wäre dafür, dass in Deutschland mal alle | |
Lkw-Fahrer für eine Woche streiken. Dann werden die Leute vielleicht | |
wirklich wach und registrieren endlich, was wir eigentlich für Arbeit | |
leisten. | |
Die Diskussion über bessere Arbeitsbedingungen für Berufskraftfahrer*innen | |
ist nicht neu. Warum ändert sich nichts? | |
Der Konkurrenzdruck auf dem Speditionsmarkt ist riesig. Viele | |
osteuropäische Speditionsfirmen kaufen die Touren für wenig Geld weg, | |
teilweise liegen die Preise für den Kilometer unter einem Euro. Das kann | |
kein deutscher Fahrer leisten. Es müsste europaweit einheitliche Lösungen | |
geben, aber der Wille, das zu ändern, scheint nicht da zu sein. | |
Wie ist die Stimmung zwischen deutschen und osteuropäischen Fahrer*innen? | |
Die Fahrer aus Osteuropa sind in meinen Augen ganz arme Schweine. Die | |
sitzen wochenlang mit zwei Leuten in einem Auto und kochen sich Essen auf | |
kleinen Gaskochern, weil sie es sich nicht leisten können, ins Restaurant | |
zu gehen. Auch unter den deutschen Kollegen ist der Umgang untereinander | |
sehr eigen geworden. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Ich kann das zwar nach drei Jahren im Beruf noch nicht wirklich bewerten, | |
aber es macht sich im Straßenverkehr bemerkbar. Jeder will, oder muss, der | |
Erste, der Beste, der Schnellste sein. Die überholen im Überholverbot, | |
scheren kurz vor der Baustelle erst ein, das ist auch nicht mehr schön. Der | |
Konkurrenzdruck ist enorm. | |
Sie sind Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Unter der Woche sind Sie auf | |
Achse, wie kriegen Sie das hin? | |
Mein Sohn Nevio ist unter der Woche bei seinem Vater. Wir leben getrennt, | |
verstehen uns aber gut. Auch meine Eltern unterstützen mich. Sie holen | |
Nevio vom Kindergarten ab und nehmen ihn für den Nachmittag. Ohne die | |
Unterstützung von meinen Eltern oder Nevios Vater könnte ich den Beruf | |
nicht ausüben. Als Lkw-Fahrerin Beruf und Familie zu vereinen, ist fast | |
unmöglich. Für ein intaktes Familienleben ist der Job ungeeignet. | |
Was sagt Ihr Sohn zu Ihrem Beruf? | |
Der ist natürlich stolz auf seine Mama. Als er noch kleiner war, nahm er es | |
als selbstverständlich hin, dass ich Sonntagabend los bin und die Woche weg | |
war. Je älter er wird, desto mehr hinterfragt er das Ganze. In letzter Zeit | |
fällt ihm der wöchentliche Abschied schwer. Er weint und pokert um jede | |
Minute, die ich länger bleibe. Ich bringe es mittlerweile kaum übers Herz | |
loszufahren. | |
Wollen Sie trotzdem weiterfahren? | |
Ich habe eine Entscheidung getroffen. So sehr ich den Fernverkehr liebe, | |
Ende des Jahres werde ich in den Nahverkehr wechseln, also nur noch | |
bundesweit fahren. Ich will mehr Zeit mit meinem Sohn verbringen. | |
Glücklicherweise unterstützt mich mein Chef in dieser Entscheidung. Aber | |
dann heißt es erst mal: Tschüss, bella Italia. | |
9 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Juliane Preiß | |
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